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1002.11.2010

Ich wache heute sehr spät auf und verspäte mich natürlich dadurch. Yail und ich laufen zehn Minuten später los als sonst, aber zum Glück hat sich auch unsere Lehrerin verspätet.

Als wir ankommen, stehen alle vor dem Klassenzimmer und warten, obwohl der Unterricht eigentlich seit sieben Minuten angefangen haben sollte.

Erst fünf Minuten nach unserer Ankunft erscheint unsere Lehrerin, die sich aus irgendwelchen privaten Gründen verspätet hat.

Vermutlich hat es etwas mit ihrem Sohn zu tun, der an irgendeiner schlimmen Krankheit leidet und sie sich deswegen oft um ihn kümmern muss.

Sie sieht sehr komisch aus, als hätte sie sich in einem dunklen Zimmer angezogen und nicht gewusst, was sie überhaupt in der Hand hält.

Sie trägt eine schwarze Bluse mit riesigen, weißen Knöpfen, die sehr lang ist, zumindest in Kombination mit dem Midi-Rock, den sie dazu trägt. Die Bluse ist ansonsten ziemlich schlicht und simpel.

Okay und dieser genannte Midi-Rock ist das Highlight-Stück. Ich bin sprachlos und finde keine richtigen Worte dafür, weil er einfach unbe-schreiblich hässlich ist. Hässlich ist übrigens sehr nett ausgedrückt, für das, was ich gerade sehe.

Es handelt sich um einen Geschenkpapier-Rock, ja ihr habt richtig gelesen, ein Geschenkpapier-Rock. Der obere Teil besteht wie bereits gesagt aus diesem Geschenkpapierartigem Stoff und der mittlere Teil besteht aus Sternen, die man auf ein verpacktes Geschenk klebt. Ja genau. Ach und dann kommt am Ende wieder so eine Schicht, wie beim oberen Teil.

Zu ihrer Verteidigung muss ich natürlich erwähnen, dass die Sterne nicht raushängen, die sind quasi reingemacht.

Ich hoffe, man kann sich die Katastrophe gut vorstellen. Das Verwunderli-che ist, dass sie sonst immer schick angezogen ist, deshalb ist der Anblick ziemlich ungewohnt. Alle anderen scheinen auch geschockt zu sein.

Ich glaube, ich habe noch nicht erwähnt, warum ich so spät dran war. Gestern war kein angenehmer Tag, weder für meine Mama noch für mich, denn schon als ich von der Schule heimging, hatte ich starken Husten und eine pfeifende Atmung.

Den ganzen Tag hat meine Mutter neben mir gesessen und das hat sich im Endeffekt auch in die Nacht reingezogen. Jegliche Versuche meiner Eltern, mich zum Arzt zu bringen, lehnte ich ab. Irgendwann hatte sich alles verbessert und ich konnte die restlichen Stunden noch schlafen. Als ich heute Morgen verschlafen aufwachte, spürte ich komischer- aber glücklicherweise nichts mehr.

Meine Mutter wollte mich zwar auf keinen Fall in die Schule schicken, durch die Probe, die wir aber heute schreiben, war sie sozusagen gezwungen.

Die Probe ist im Fach Arabisch und wir schreiben sie trotz der Verspätung der Lehrerin.

Die Probe läuft sehr gut, was allerdings nicht so gut läuft ist mein Husten – es wird irgendwie immer schlimmer und meine Mitschüler scheint es langsam gewaltig zu stören, was ich absolut verstehen kann.

Aus meinem Husten entsteht zusätzlich wieder wie gestern eine pfeifende Atmung, die unglaublich nervig ist.

Es ist jetzt die zweite Unterrichtsstunde und ich merke und sehe ein, dass es mir schlecht geht.

Nach langem Überlegen teile ich es der Lehrerin mit und sie informiert daraufhin meine Eltern.

Die nervige, pfeifende Atmung hat zwar aufgehört, aber jetzt werden meine Atemzüge mit jedem Mal kürzer. Ich merke, wie alle um mich herum anfangen zu flüstern.

Durch die Ablenkung wird meine Atmung noch schlimmer, weshalb ich versuche, alles um mich herum zu ignorieren und mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich stehe auf und will mich in Richtung Tür bewegen, bleibe aber bei der Hälfte des Weges stehen.

Ich bekomme es nicht hin, mich gleichzeitig auf das Laufen und auf meine Atmung zu konzentrieren, es klappt einfach nicht.

Ich setze mich auf den Boden und versuche wieder die Atmung in Ordnung zu bringen, aber es gelingt mir nicht. Es wird kein bisschen besser, obwohl ich mich genau an jedes Wort von meinem Arzt halte. Ich kann nicht atmen, nicht mehr.

Yail setzt sich zu mir und ich halte seine Hand, doch auch seine Hand, die mich sonst immer beruhigt, gibt mir heute keinen Halt. Ich kann nicht mehr atmen. Ich atme ziemlich schwer ein, dann wieder ein und wieder ein, aber es kommt sehr wenig Luft wieder heraus. Und bei den nächsten Atemzügen wird auch das Einatmen schlimmer.

Jetzt kann ich nicht mehr atmen. Mir rollen die Tränen runter und ich beginne zu weinen. Auch meine anderen Mitschüler kommen und setzen sich ebenfalls zu mir. Manche gehen auch, um nach der Lehrerin zu schauen, die eigentlich meine Eltern informieren sollte.

Das sage ich jetzt mindestens zum 10. Mal, aber ich kann nicht richtig atmen.

Ich weine einfach nur, weil ich Angst habe – keine Ahnung wovor. Vielleicht habe ich Angst, dass es mir nicht mehr besser gehen oder dass sich meine Lage nur noch verschlimmern wird.

Vielleicht habe ich auch nur Angst vor den Gedanken meiner Mitschüler, aber ich sehe in ihren Augen nichts Schlimmes, ich sehe nur, dass sie mit mir mitfühlen. Yail unterbricht meine Gedanken oder eher gesagt meine Suche nach einem Grund, warum ich gerade Angst habe. Ich kämpfe weiterhin mit dem Atmen.

„Yasmin, wo ist dein Spray? Hast du nichts dabei?“, sagt er mit Tränen in den Augen. Seine Stimme zittert.

Natürlich. Meine Mutter packt jeden Tag meine Notfall-Tasche in meinen Schulranzen. Wie konnte ich das nur vergessen?

Ich nicke weinend und zeige auf meinen Schulranzen. Er wischt sich eine Träne weg und steht schnell auf. Wenige Sekunden später hat er auch schon meine Notfall-Tasche aus meinem Schulranzen rausgeholt und als ich ihm zunicke, kommt er auch schon zurück zu mir.

Ich weiß nicht, warum das genau in diesen Momenten geschieht, aber leider fällt ihm die Tasche aus der Hand und leider hatte er sie schon geöffnet, damit er mir so schnell wie möglich das Spray herausholen kann, also fliegt alles irgendwo anders hin.

Alles wird nur schlimmer, auch meine Atmung. Jetzt geht wirklich weder Luft rein noch geht Luft wieder raus.

Es hat sich die ganze Zeit schon so angefühlt, als würde irgendeine schwere Last auf meiner Brust liegen, doch die Last fühlt sich jede Minute schwerer an.

Es dauert einige Minuten, bis alles wieder in der Tasche ist, weil jedes Teil woanders liegt und man sie erst suchen muss, aber ein paar meiner Mitschüler helfen Yail dabei.

Leider ist mein Spray das letzte Stück, das gefunden wird. Amira eilt damit zu mir. Ich zittere so sehr, dass ich es erst nicht schaffe, es richtig in der Hand zu halten.

Als ich es endlich und nach einigen Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, geschafft habe, das Spray richtig in meiner immer noch zittrigen Hand zu halten, sehe ich, dass die Lehrerin mit meinen anderen Mitschülern im Klassenzimmer ankommt.

Sie müssen gerannt sein, denn alle sind komplett außer Puste. Ich bin gerade dabei, das Spray zu benutzen, als sie zu mir rennt und sich zu mir setzt.

Sie nimmt mir das Spray ganz langsam aus der Hand, nachdem ich einmal gedrückt habe.

„Bitte geht alle auf eure Plätze und seid ruhig“, sagt sie ganz ruhig, dann schaut sie wieder zu mir. „Yasmin, setz dich bitte ganz aufrecht hin. Du kannst atmen, denk daran.“

Ich folge natürlich ihren Anweisungen.

„Du kannst atmen, du brauchst das Spray nicht. Bald kommt der Kranken-wagen, aber dir geht’s gut. Auch deine Eltern kommen bald.“

Nein, ich kann nicht atmen und mir geht’s auch nicht gut. Sie versucht es weiterhin und wiederholt ihre Worte nochmals.

Es dauert zwar ein bisschen, aber ich beruhige mich tatsächlich ein wenig. Natürlich kann ich immer noch nicht normal atmen, aber ich merke, dass die Last auf meiner Brust leichter wird.

Sie versucht es weiter mit mir, aber mehr erreichen wir nicht, ich bleibe auf diesem Stand.

Es dauert nicht so lang, bis der Krankenwagen ankommt und zur selben Zeit kommt auch meine Mama ins Klassenzimmer. Sie kommt mit Tränen in den Augen zu mir gelaufen, aber die Sanitäter halten sie zurück, damit sie mich behandeln können.

Die Behandlung ist schnell verlaufen und danach fahren wir auch nach Hause. Den restlichen Tag verbringe ich ruhig im Bett.

Ich mache nicht mehr viel, bekomme nur zweimal Besuch. Beim ersten Mal ist es Yail, der aber nur kurz bei mir bleibt.

In der Zeit, in der er da ist, erzählt er mir noch, was alles passiert ist, als ich dann weg war.

„Alle waren unglücklich, dass es dir nicht so gut ging und haben mit dir mitgefühlt“, erzählt er.

Das ist wirklich schön zu hören. Irgendwo freue ich mich, dass sie jetzt über meine Krankheit Bescheid wissen. Meine beiden Geheimnisse sind jetzt draußen und ich fühle mich viel freier.

Beim zweiten Mal sind es zwei meiner Freundinnen, die mich sozusagen im Namen meiner Mitschüler besuchen, um zu sehen, wie es mir geht. Auch sie bleiben nicht so lang, damit ich mich gut ausruhen kann.

Es ist, glaube ich, sehr früh, als ich dann einschlafe, denn ich bekomme auch nicht mit, dass mein Vater wieder zu Hause ist.

Leiser Schrei

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