Читать книгу Ausgewählte Briefe, Band 1 - Sophronius Eusebius Hieronmyus - Страница 20

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9. An den Mönch Chrysocomas in Aquileja

[Vorwort]

Auch dieser Brief legt Zeugnis davon ab, wie schwer es Hieronymus fiel, auf den Verkehr mit seinen alten Freunden aus Aquileja verzichten zu müssen. Er bittet einen sonst unbekannten Mönch Chrysocomas aus dieser Stadt, der alten Freundschaft eingedenk zu bleiben und ihm doch ab und zu einen Brief zu schreiben. Der vorliegende Brief stammt aus der ersten Zeit des Wüsten“ aufenthalts, also etwa aus dem Jahre 375.

[Brief]

Unser gemeinsamer Freund Heliodorus 112 hat Dir berichten können, wie groß meine Liebe zu Dir ist. Er, der Dir nicht minder zugetan ist als ich, hat Dir gewiß erzählt, wie ich ständig Deinen Namen im Munde führe, wie ich bei der erstbesten Unterhaltung mich des angenehmen Zusammenseins mit Dir erinnere, wie ich Deine Demut bewundere, Deine Tugend preise. Deine Liebe rühme. Du aber gleichst den Luchsen, die alles vorher Gewesene vergessen, sobald sie sich umwenden. 113 Was die Augen nicht mehr sehen, schwindet aus ihrer Erinnerung. Ähnlich hast auch Du unsere alte Freundschaft ganz vergessen und jenen Brief, der nach dem Worte des Apostels ins Herz der Menschen geschrieben ist, 114 nicht nur durch flüchtiges Glätten, sondern, wie man zu sagen pflegt, durch völliges Auskratzen des Wachses ausgelöscht. Die eben erwähnten Luchse legen sich in den Zweigen dichtbelaubter Bäume auf die Lauer nach flüchtigen Rehen oder scheuen Hirschen. Haben sie sich auf ihre Beute gestürzt, dann sucht das Wild vergeblich sein Heil in der Flucht; denn es schleppt seinen Feind mit sich, der es von oben her mit seinem furchtbaren Gebiß zerfleischt. Die Luchse denken nur solange an die Jagd auf Beute, als der leere Magen die vom Hunger ausgetrocknete Kehle reizt. Sobald aber die Bestie ihren Blutdurst gestillt und die leeren Eingeweide gefüllt hat, setzt mit der Sättigung das Vergessen ein. Erst wenn der Hunger wieder mahnt, späht sie nach neuer Beute. Du kannst Dich doch an mir noch nicht gesättigt haben. Warum machst Du unserer Freundschaft so bald nach ihrem Beginn ein Ende? Du hältst sie kaum fest und läßt sie schon wieder fahren? Oder wirst Du mir auch mit der Entschuldigung kommen, welche die Trägheit stets bereit hält, und mir sagen: ich weiß nicht, was ich schreiben soll? Dann solltest Du mir zum mindesten mitteilen, daß Du keinen Stoff zum Schreiben hast.

Ausgewählte Briefe, Band 1

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