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Revolte im Politknast – Aufstand in Zeithain

Dezember 1989

Ein anderes Kamerateam von Spiegel TV besuchte in diesen Tagen das Gefängnis Zeithain, den angeblich modernsten Knast der DDR. Auch hier hatten die überwiegend politischen Häftlinge mitbekommen, dass die Staatsmacht bröckelte. Vor allem die wegen Republikflucht Verurteilten warteten auf ihre Freilassung.

Reisefreiheit und Haft für Republikflucht passten nicht mehr zusammen. Cassian von Salomon und Georg Mascolo durften Einblick in ein Renommierobjekt sozialistischen Strafvollzugs nehmen.

Haftanstalt Zeithain, Mittwoch, 7. Dezember 1989, 4.00 Uhr früh. Der Knastalltag begann. Das Team drehte, wie sich in den mit jeweils vierzehn Mann belegten Zellen die Gefangenen auf die Zwangsarbeit in dem nahen Stahlwerk vorbereiteten.

Arbeitsverweigerung wurde bestraft. Das Durchschnittsalter der Häftlinge betrug zweiundzwanzig Jahre. Rund fünfzig Prozent der Insassen waren sogenannte Politische, verurteilt nach § 213, Republikflucht. Die anderen waren Sittlichkeitsverbrecher und Kleinkriminelle.

Ziel der Haft, so hieß es, sei die Umerziehung zum sozialistischen Menschen.

Der Anstaltsleiter erklärte den Reportern: »Auch die Wende muss hier erfolgen. Aber das müssen wir mit den Strafgefangenen gemeinsam machen. Da gibt es bereits eine ganze Menge Vorschläge.«

Inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass ein westliches Kamerateam zu Besuch war. Spontan verweigerten die Gefangenen die Arbeit. Vor laufender Kamera formulierten sie ihren Protest: »Wir wollen raus.«

Dann verlangten sie ein Gespräch mit der Anstaltsleitung. Als der Gefängnisdirektor erschien, erhoben sich die Gefangenen brav. Als das Kamerateam auftauchte, gab es Beifall. Eine Forderung der Häftlinge war seit langem Öffentlichkeit. So erhielt Anstaltsleiter Oberstleutnant Günther Hoffmann zum ersten Mal Einblick in das Innenleben seiner Anstalt, so wie die Gefangenen es sahen.

»Sitzt einer von Ihnen noch wegen Delikten gegen die staatliche Ordnung?«, fragten die Reporter.

Einer der Häftlinge antwortete: »Dreizehn wegen Republikflucht Verurteilte sollten am 4. Dezember nach Hause gehen. Die sind noch hier und konnten bis zum heutigen Zeitpunkt nicht entlassen werden, weil sich die Staatsanwälte ins kapitalistische Ausland abgesetzt haben.«

Die Reporter erkundigten sich, ob es stimme, dass Briefe der Gefangenen abgelichtet wurden.

Der Anstaltsleiter gab dies zu. »Schließlich muss man wissen, welche Probleme die Strafgefangenen auf dem Herzen haben.« Die Häftlinge lachten. Einer der Gefangenen beschwerte sich, dass er vom Wachpersonal misshandelt worden sei.

»Dann geben Sie mir das schriftlich«, sagte der Gefängnisleiter, »wann, von wem geschlagen. Die Bitte hätte ich noch mal.«

In unmittelbarer Nähe des Gefängnisses lag das Rohrkombinat Riesa. Von den 950 Arbeitern kamen 215 aus der Haftanstalt. Seit Jahren hatten sich die Gefangenen über die dortigen Arbeitsbedingungen beschwert. Immer wieder war es zu Unfällen gekommen.

»Hier weiß bestimmt keiner der Strafgefangenen, dass vor vier Jahren dort ein tödlicher Unfall stattgefunden hat«, bemerkte einer der Häftlinge. »Weiß keiner«, stimmten ihm die anderen zu. Die Fabrik werde seit Jahren auf Verschleiß gefahren.

Ein anderer Häftling meinte: »Wir gucken uns mal an, wie die Leute da drüben arbeiten und unter welchen Bedingungen. Das muss abgeschafft werden.«

Die Forderung wurde durchgesetzt. Die Werkshallen durften besichtigt werden. Die Gefangenensprecher erhielten die Erlaubnis, die Führung zu übernehmen. In dem hoffnungslos veralteten Werk arbeiteten die Häftlinge für sieben Mark Ost am Tag. Produziert wurde fast ausschließlich für den Export. An diesem Tag hatten die eingesperrten Werktätigen zum ersten Mal Gelegenheit, sich beim Leiter des Werks zu beschweren. Vor laufender Kamera aus dem Westen.

Verbrennungen, Quetschungen und Knochenbrüche waren hier an der Tagesordnung. Die Werksleitung versprach Besserung.

Gegen 14.00 Uhr hatten die Gefangenen von Zeithain ihre Forderungen bei der Anstaltsleitung durchgesetzt. Auf Beschluss des Häftlingsrates sollte jetzt nur noch eine Erklärung über Lautsprecher vorgelesen werden. Der Anstaltsleiter stellte die Technik und den Raum zur Verfügung. Einer der Sprecher nahm das Mikrophon: »Ohne Gewalt. Das Streikkomitee fordert alle auf, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren, keine Gewalt anzuwenden gegen Mitgefangene und Vorgesetzte.«

Am Ende dieses Tages hatten die Gefangenen ihren Knast verändert. Es herrschte wieder Ruhe in Zeithain. Das Kamerateam reiste ab. Wenige Stunden später kam die Amnestie.

Deutschland, Deutschland

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