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Vorbemerkungen

Dieses Buch ist ein subjektives Protokoll von fünfzehn Monaten erlebter Zeitgeschichte. Es ist die Geschichte der Expeditionen, die Reporter und Kamerateams von Spiegel TV durch die Wendezeit unternahmen. Insofern ist es nicht nur ein Streifzug durch die Zeit des Mauerfalls, des Untergangs der DDR und der Wiedervereinigung, sondern auch eine Erinnerung an die ersten Jahre von Spiegel TV.

Es war für mich, und sicher auch für die meisten meiner damaligen Kollegen, die journalistisch interessanteste Zeit überhaupt. Wir waren privilegierte Zeitzeugen. Eineinhalb Jahre zuvor war Spiegel TV gestartet, als Magazin am Sonntagabend auf dem neuen Privatsender RTL. Ein unabhängiges Fenster der DCTP (Development Company for Television Programs) des Schriftstellers, Filmemachers und Universalgenies Alexander Kluge garantierte uns vollkommene redaktionelle Unabhängigkeit. Die Basisfinanzierung kam aus den Werbeerlösen von RTL, Spiegel-Gründer und -Herausgeber Rudolf Augstein stellte – außer dem Namen Spiegel – den anfangs zusätzlich notwendigen Etat zur Verfügung, und der Rest lag in unseren Händen.

Es waren paradiesische Zeiten für junge Fernsehjournalisten, die bereit waren, jeden Tag und jedes Wochenende zu arbeiten, ihre Nase und das Objektiv ihrer Kamera in jede Angelegenheit zu stecken und das dokumentarische Fernsehen neu zu entdecken.

Und dann brach die politische Nachkriegsordnung über Nacht zusammen. Die scheinbar für die Ewigkeit zementierte Teilung der Welt in Ost und West, Kapitalismus und Sozialismus, löste sich vor unseren Augen auf. Und wir waren dabei, mit engagierten Reportern, die jedem Politiker und jedem Stasi-Offizier die Kamera und das Mikrophon vor die Nase halten konnten, mit Kameraleuten, die rund um die Uhr mit den neuen elektronischen Kameras die Wirklichkeit in »real time« abbildeten und mit großer Kunst auch das scheinbar Nebensächliche einfingen. Manche der Reporter waren mehr oder weniger Berufsanfänger, aber höchst talentiert, neugierig und motiviert bis in die tiefe Nacht hinein. Und zu Hause, in der Redaktion im Hamburger Chilehaus, saßen Cutter und erfahrene Fernsehredakteure, die das Material in kürzester Zeit zu Filmbeiträgen verarbeiten konnten.

Wenige Stunden, manchmal Minuten später gingen die Filme über den Sender.

Thomas Schaefer und Bernd Jacobs waren die ersten beiden Mitarbeiter, die ich vom Norddeutschen Rundfunk zu Spiegel TV holte. Mit beiden hatte ich bei Panorama und Extra 3 zusammengearbeitet. Dann kamen Georg Mascolo, Erwin Jurzschitsch, Tamara Duve, Maria Gresz, Katrin Klocke, Cassian von Salomon, Claudia Bissinger, Helmar Büchel, Christiane Meier, Gunther Latsch, Thilo Thielke, Wolfram Bortfeldt dazu. Die Produktion organisierten Suse Schäfer, vormals eine erfolgreiche Theater- und Fernsehschauspielerin, und Ute Zilberkweit, die beide rund um die Uhr im Einsatz waren. Auch die Kameraleute Dieter Herfurth, Bernd Zühlke und Rainer März kannte ich aus NDR-Zeiten. Von ihnen stammten die meisten und besten der Bilder jener Zeit. In den Schneideräumen bei Spiegel TV bauten Cutter wie Erwin Pridzuhn, Steffen Brautlecht, Sven Berg, Betina Fink, Holger Grabowski, Sabine Herres aus den Rohmaterialien die Filme zusammen, meistens unter der Leitung von Bernd Jacobs und mir. Am Sonntag tippte ich dann zumeist die Texte, dazu die Moderation, mit der wir abends auf Sendung gingen.

Wir bildeten eine verschworene Gruppe, die Tag und Nacht zusammenarbeitete, manchmal nannten wir uns eine »Wohngemeinschaft mit Sendeerlaubnis«. Und ganz sicher waren wir damals die beste Redaktion eines Fernsehmagazins in Deutschland. Die Quoten stiegen von anfangs wenigen hunderttausend auf durchschnittlich über vier Millionen.

In diesem Buch habe ich mich an den Filmen und Texten der Filme aus der Wendezeit entlang geschrieben. Besonders bedanken möchte ich mich bei dem heutigen Chefredakteur des Spiegel TV Magazins Bernd Jacobs, dass er mir dafür – in Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem heutigen Chefredakteur des Spiegel Georg Mascolo – die Manuskripte zur Verfügung gestellt hat. In den meisten Fällen waren es ohnehin meine Texte. Aber die Recherchen, die Dreharbeiten und Interviews in den Beiträgen sind natürlich von den ausschwärmenden Reportern gemacht worden.

Im Verlauf des Buches habe ich die Kollegen jeweils in den einzelnen Episoden auftreten lassen, als handelnde, fragende, oftmals nachbohrende Journalisten. Es ist auch ihre Geschichte. Und ich bin ihnen dankbar für die Zeit, die wir zusammenarbeiten konnten.

Und dann möchte ich mich natürlich bei meiner Frau Katrin bedanken, für die ich in meinen sieben Jahren Spiegel TV so gut wie kein Wochenende Zeit hatte. Da saß ich regelmäßig im Schneideraum. Freitag bis Mitternacht, Samstag bis nach Mitternacht. Und Sonntag bis kurz vor der Sendung um 22.00 Uhr.

Es waren Expeditionen in ein unbekanntes Land. Kaum jemand von uns war in den vergangenen Jahren häufiger in der DDR gewesen. Stattdessen fuhr man in die USA, nach Frankreich, England, Italien und Spanien. Der Ostblock war grau und langweilig, unangenehm, eine politische Realität, die man zur Kenntnis nahm, aber irgendwie ausblendete.

Und selbst Besuche in der DDR gaben keinen wirklichen Einblick in die wirkliche Welt des real existierenden Sozialismus. Journalisten aus dem Westen, wenn sie überhaupt hereingelassen wurden, durften sich nur unter staatlicher Aufsicht bewegen. Der Stasi-Apparat war ein weitgehend unterschätztes Staatsgebilde für sich. Selbst bundesdeutsche Geheimdienste hatten noch nicht einmal eine Ahnung davon, über wie viele Mitarbeiter Erich Mielkes Monsterbehörde verfügte. Ich erinnere mich an den Anruf eines ehemaligen langjährigen ARD-Korrespondenten nach einer Spiegel-TV-Sendung, in der wir die Zahl der offiziellen Stasi-Mitarbeiter mit mehr als achtzigtausend angegeben hatten. Das sei ja reichlich übertrieben, meinte der Experte unter Berufung auf Informationen des Bundesnachrichtendienstes. In Wirklichkeit seien es höchstens ein Drittel oder die Hälfte. Ich hatte allerdings gerade die komplette Computerliste der festangestellten Stasi-Mitarbeiter vorliegen, inklusive Dienstnummer, Rang und Monatseinkommen, die einer unserer Reporter von der Besetzung der Stasi-Zentrale in der Ostberliner Normannenstraße mitgebracht hatte. Es waren vierundachtzigtausend.

Nach Öffnung der Mauer konnten sich Reporter und Kamerateams in der DDR plötzlich freier bewegen als im Westen. Jeder Gefängnisdirektor wollte demonstrieren, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hatte und für die neue Pressefreiheit die Tore öffnete. Jeder VEB-Direktor erlaubte den Blick in sein heruntergekommenes Kombinat. Auf den Spuren der Bürgerrechtler vom Runden Tisch konnten Journalisten die Stasi-Gebäude inspizieren. Selbst das Neue Deutschland und das Zentralkomitee standen Rede und Antwort. Doch die neue Offenheit hielt nicht lange. Dann sollten die Tore und die Akten wieder geschlossen werden. Es begann die Zeit der Recherche. Wir wälzten Stasi-Akten, sprachen mit ehemaligen Geheimdienstlern, entlarvten aktive Politiker der Wendezeit als MfS-Agenten.

Dies ist die Geschichte der Wochen des Wendejahres 1989/90. Eine Zeitreise vom Fall der Mauer bis zur Wiedervereinigung. Und am Schluss ein Zeitsprung in die Gegenwart: zwanzig Jahre danach.

Hamburg, im August 2009

Stefan Aust

Deutschland, Deutschland

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