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4.Irrungen, Wirrungen: Rudolf Meyers Weg von der Berliner Revue zur Neuen Zeit

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Für den Konservatismus in Deutschland ist das Jahr 1866 gleich in zweierlei Hinsicht von einschneidender Bedeutung geworden. Am 18. Mai, sechs Wochen vor Königgrätz, kam es zwischen dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck und seinem einstigen Ziehvater Ernst Ludwig von Gerlach, dem bis 1858 unumstrittenen Führer der Konservativen Partei und nach wie vor einflußreichen ›Rundschauer‹ der ›Kreuzzeitung‹, zum endgültigen Bruch, war doch für den großdeutsch orientierten Gerlach »ein von Preußen provozierter Krieg gegen den deutschen Bruderstaat Österreich ein absolutes Horrendum«, sehr im Gegensatz nicht allein zu Bismarck, sondern auch zu vielen anderen Repräsentanten der Konservativen Partei, die Gerlach deshalb nur wenige Tage später für »gesprengt« erklärte.1 Bismarck selbst galt ihm fortan als »Verbrecher«.2

Knapp vier Monate danach beendete das preußische Abgeordnetenhaus mit der Verabschiedung des Indemnitätsgesetzes den Verfassungskonflikt und ebnete so den Weg für die Verständigung zwischen der Regierung und der liberalen Opposition. 1869 bestätigte Gerlachs langjähriger Briefpartner Heinrich Leo, was Gerlach schon drei Jahre zuvor festgestellt hatte: »daß es mit der conservativen Partei bei uns zu Ende sei«.3 Die ›Kreuzzeitung‹ erklärte es gar für einen Irrtum, »wenn man meint, dass es in Preussen überhaupt eine conservative Partei gebe. In der Wirklichkeit steht vielmehr die Sache so, dass die conservative Partei zersetzt, daher machtlos ist […] die Principien sind verwischt, die Haltung und die Organisation fehlen.«4 Auch wenn sich diese Einschätzung als voreilig erwies, indiziert sie doch eine tiefe Verunsicherung über Wesen, Gehalt und Zukunft des Konservatismus, wie sie kurz zuvor auch das neben der ›Kreuzzeitung‹ wichtigste Organ der preußischen Konservativen, das von Philipp von Nathusius herausgegebene Volksblatt für Stadt und Land, zum Ausdruck gebracht hatte: »Welches sind die positiven Principien, die wir dem Liberalismus entgegenzuwerfen haben? Wo ist der practisch mögliche, lebensfähige und lebenerzeugende Boden, auf den wir kraft der Wahrheit unsere Gegner, unser Volk herüberzuzwingen haben? Wisst ihr Conservativen das?«5

Zu den wenigen, die eine Antwort auf diese Fragen parat hatten, zählte zu diesem Zeitpunkt einer der engeren Mitarbeiter Wageners, der bereits mehrfach erwähnte Rudolf Meyer. Dieser stilisierte sich später zwar gern als »letzten konservativen Schriftsteller«6, als Endglied einer Kette, die mit Rodbertus begonnen und über Hermann Wagener, Schumacher-Zarchlin und Adolph Wagner bis zum ihm, Rudolf Meyer, geführt habe.7 Zugleich rechnete er sich jedoch zu den »Socialconservativen« und verstand sich als ›Prediger‹ eines »conservativen Socialismus«, bisweilen auch »des Socialismus von Gottes Gnaden«, dem die Zukunft gehören werde.8 Die Wertschätzung, die ihm dabei nicht nur von den genannten Autoren, sondern auch von so ganz anders gearteten Köpfen wie Friedrich Engels und Karl Kautsky entgegengebracht wurde, sollte Grund genug sein, ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als ihm bislang zuteil geworden ist.

Ausgänge des Konservatismus

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