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Die Berufung zum Apostel

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Die Bekehrung des Paulus’ war wohl der einschneidendste „Schicksalsmoment“ in seinem Leben. Er dürfte knapp 30 Jahre alt gewesen sein, als er eine Gotteserfahrung machte, die ihn zutiefst veränderte. Paulus hatte sich in seiner Funktion als Pharisäer von Jerusalem aus auf den Weg nach Damaskus begeben. Er „wütete immer noch mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn“, wie „Lukas“ in der Apostelgeschichte mitteilt (9,1); und Paulus hatte Sendschreiben des jüdischen Hohenpriesters in Jerusalem bei sich, um in Damaskus „die Anhänger des (neuen) Weges, Männer und Frauen, die er dort finde, zu fesseln und nach Jerusalem zu bringen“ (Apg 9,2).

Doch kurz vor Damaskus wurden seine ganzen Pläne von einem Augenblick auf den anderen nichtig, als „ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (Apg 9,3 – 5). Und nachdem Paulus wieder aufgestanden war und die Augen geöffnet hatte, konnte er nicht mehr sehen; als hätte ihn das göttliche Erstrahlen seines Augenlichts beraubt. Seine Begleiter, die namentlich nicht genannt werden, hatten zwar die Stimme gehört, aber sonst gar nichts zu erkennen vermocht. Sie nahmen Paulus „bei der Hand und führten ihn nach Damaskus hinein. Und er war drei Tage blind, und er aß nicht und trank nicht“ (Apg 9,8 - 9).

Selbst wenn man das dramaturgische Geschick des Autors negiert und vielleicht sogar, da die Begleiter mit den Augen nichts wahrgenommen haben, eine innere Vision in Betracht zieht, so ist Paulus trotzdem davon derartig geblendet und über die Maßen erschüttert gewesen, dass ihn das Erlebnis einfach umgeworfen hat – äußerlich wie innerlich. Die drei in der Apostelgeschichte vorkommenden Schilderungen des Vorgangs weisen freilich Widersprüche auf. In Kapitel 22, Vers 9, sehen die Paulus-Begleiter zwar das helle Licht, aber sie können die Stimme Jesu nicht hören; in Kapitel 25, Vers 14, stürzen auch die Begleiter aufgrund des Licht-Phänomens zu Boden, aber Paulus erblindet diesmal nicht. Doch durch solche Variationen soll lediglich ein abwechslungsreicheres Bild entstehen.35 Sie sind folglich wohl stilistischer Natur. Paulus hat zwar als Pharisäer Gewalt angewandt, und er mag für Todesurteile gestimmt haben, „aber getötet hat er selbst nicht“.36 „Lukas“ will Paulus schließlich nicht demontieren, sondern ihn mit Bedacht als den Protagonisten der Völkermission literarisch aufbauen.

Im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth (9,1 u. 15,8) sowie im Brief an die Galater (1,12 – 16) erwähnt der Apostel – ohne jedoch näher darauf einzugehen –, dass sich Jesus Christus ihm in einer Erscheinung offenbart habe. Er hält sich für den Letzten der Augenzeugen, denen Jesus nach seiner Auferstehung erschienen ist. Darin erkennt Paulus seine Berufung, nämlich als „Apostel“ des Herrn („Bote“ oder „Gesandter“) missionarisch tätig zu werden und das Wort Gottes zu verkünden. Der Apostel-Begriff wird für ihn zu einer Art Berufsbezeichnung, mit dem er sich in den christlichen Gemeinden „ausweist“ und sich von selbsternannten oder falschen Predigern und Aposteln unterscheidet. Sein Handeln wird durch den an ihn direkt ergangenen Auftrag des Herrn legitimiert. Und das gilt noch entschiedener für die Zwölf Apostel, die von Jesus persönlich für die Nachfolge bestimmt wurden und an deren Seite Paulus stehen möchte.

Zugleich ringt er mit seinen Zweifeln. Im 1. Brief an die Korinther kommt er zwei Mal darauf zu sprechen. „Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? Wenn ich für andere kein Apostel bin, bin ich es doch für euch. Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes“ (1 Kor 9,1 – 2). An anderer Stelle des Briefes benennt Paulus diejenigen, welchen wie ihm eine Erscheinungserfahrung zuteilwurde. Christus „ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der, Missgeburt’. Denn ich bin der Geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben“ (1 Kor 15,4 – 10).

Ergänzend ist anzumerken, dass „Lukas“ dem Missionar Paulus den Aposteltitel vorenthält. „Das geschieht selbstverständlich nicht, um Paulus zu degradieren.“37 Das Apostelamt soll vielmehr alleinig mit den Zwölf Aposteln und der Mutterkirche in Jerusalem verbunden bleiben.38 Und nebenbei bedeutet das auch, dass der Verfasser der Apostelgeschichte, wie oben schon erwähnt, Paulus nicht gekannt hat. Denn „ein Mann, der Titel und Würde eines Apostels ausschließlich den Zwölfen reserviert und dem Paulus konsequent verweigert, obwohl Paulus den Apostolat für sich beansprucht und verteidigt hat, kann kein Begleiter des Paulus gewesen sein.“39

Im Übrigen blieb Paulus nicht blind. Ein Jünger namens Hananias in Damaskus hatte nämlich durch eine Vision den Auftrag bekommen, Paulus zu suchen. „Der Herr sagte zu ihm: Steh auf und geh zur sogenannten Geraden Straße, und frag im Haus des Judas nach einem Mann namens Saulus aus Tarsus“ (Apg 9,10 – 11). Aber Hananias ängstigte sich, weil dem Pharisäer Paulus so viel Böses nachgesagt wurde. Schließlich tat er, nach einer göttlichen Ermahnung, wie ihm geheißen, und betrat das Haus des Judas. Dort legte er Paulus segnend die Hände auf: „Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist; du sollst wieder sehen und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden. Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen, und er sah wieder; er stand auf und ließ sich taufen“ (Apg 9,17 – 18). Ja, und „nachdem er etwas gegessen hatte, kam er wieder zu Kräften“ (Apg 9,19) – wie es sich für eine ordentliche Vesper gehört.

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