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Paulus, der Jude aus Tarsus

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Es verhält sich nun mal so, dass sich das Leben des Apostels Paulus, wie das anderer Personen des Neuen Testaments auch, mindestens genauso stark aus seiner Umwelt wie aus den autobiographischen Äußerungen oder den biographischen Schilderungen bei „Lukas“ erschließen lässt. Sicher ist, dass Paulus Jude war und blieb. Das bezeugt er mehrfach in seinen Briefen. Jesus selbst, die zwölf Apostel sowie die ersten Anhänger Jesu in Jerusalem und Palästina, waren ebenfalls Juden.

Paulus wurde in den Jahren 5 bis 10 unserer Zeitrechnung in der am östlichen Mittelmeer gelegenen Hafenstadt Tarsus (im südlichen Kleinasien) geboren, die wie Antiochia der römischen Provinz Syrien (Syrien-Kilikien) angehörte. Die möglichen Geburtsjahre beruhen auf einer Schätzung, und allein die Apostelgeschichte nennt Tarsus ausdrücklich als Geburtsort (22,3). Diese informiert die Leser und Zuhörer zudem darüber, dass Paulus neben dem tarsischen sogar das römische Bürgerrecht besaß, und zwar von Geburt an (Apg 22,28). Das bedeutet, dass Letzteres schon seinen Eltern oder früheren Familienmitgliedern verliehen worden war. Ganz sicher ist es allerdings nicht, ob der „Lukas“-Text hier auf Tatsachen fußt.

Paulus’ Eltern waren jedenfalls gläubige Diaspora-Juden und haben ihren Sohn, wie er selbst in seinem Brief an die Philipper mitteilt, bereits am achten Tag nach seiner Geburt beschneiden lassen (Phil 3,5). Die Beschneidung ist ähnlich der Taufe ein äußeres Zeichen für die Aufnahme in die Religionsgemeinschaft. Von den Eltern hat er auch den alten jüdischen Namen „Saul“ erhalten, dem im Sinne des römischen Bürgerrechts der lateinische Name „Paulus“ hinzugefügt wurde. Die angebliche „Verwandlung“ des Saulus in den Paulus bei der Bekehrung zum Apostel ist also lediglich eine Zuspitzung. Paulus hat den Namen „Saul“ oder „Saulus“ in seinen Briefen nicht verwendet.

Die Stadt Tarsus war, wie viele hellenistische Großstädte, nicht nur ein weltoffener Umschlagplatz für Güter, sondern auch eine angesehene Wirkungsstätte der Bildung, der Philosophie und der Kunst. Verschiedene Nationalitäten trafen hier ebenso aufeinander wie unterschiedliche Religionen und rivalisierende soziale Schichten. Diese vom Hellenismus durchdrungene Vielfalt hat Paulus in seiner Kindheit und Jugend sehr geprägt und ihn zu einem regelrechten Kosmopoliten werden lassen21, der bei seinen zukünftigen Missionsreisen vor dem städtischen Publikum des römischen Imperiums aufzutreten wusste.

Der Begriff „Hellenismus“ beschreibt die Ausbreitung der griechischen Kultur und Sprache seit den Eroberungszügen Alexanders des Großen (356 – 323 v. Chr.), dessen Reich von Griechenland und Kleinasien im Norden sowie Ägypten und Palästina im Süden weit nach Osten bis an die Grenzen Indiens reichte. Griechische Siedler brachten in die schon bestehenden oder die von ihnen neu gegründeten Städte ihre Sitten und Gebräuche, ihre Religion und Philosophie, ihr Rechtsverständnis und ihre Baukunst mit. So entstand zum Beispiel in der ägyptischen Stadt Alexandria, die direkt auf Alexander den Großen zurückgeht, ein geachtetes Zentrum der Wissenschaften und eine Bibliothek, die als die größte in der Antike gilt. Die griechische Sprache – „Koiné“, also die „gemeinsame“ Sprache genannt – wurde mündlich und schriftlich zur überall gültigen Verkehrssprache. Wer sie nicht zu sprechen vermochte, wurde als Barbar angesehen. Das Römische Reich nahm ab dem zweiten Jahrhundert vor Christus die hellenistische Kultur von Griechenland bis Ägypten in sich auf, ohne sie wesentlich zu beeinträchtigen.

Unter den Juden Palästinas war neben der griechischen Sprache hauptsächlich die aramäische verbreitet, welche die ältere hebräische abgelöst hatte. „Das Hebräische blieb die Sprache der Religion und der Gelehrsamkeit, aber das einfache Volk beherrschte sie nur unzureichend.“22 Unter den Juden der hellenistisch beeinflussten Diaspora war das Griechische dominant. Oftmals hatten Hunger und Not sie gezwungen, ihr Heimatland Palästina zu verlassen, sodass sie zur Zeit Jesu im ganzen Mittelmeerraum angesiedelt waren. In Jerusalem und Palästina lebte gut eine halbe Million Juden, in der gesamten Diaspora („Zerstreuung“) lebten an die vier Millionen.23

Da viele unter den Diaspora-Juden die hebräische und die aramäische Sprache nicht mehr kannten, verwendeten sie in ihren Gottesdiensten oder bei den religiösen Unterweisungen die sogenannte „Septuaginta“. Die Legende berichtet, dass im dritten Jahrhundert vor Christus jeweils sechs Schriftgelehrte aus den zwölf Stämmen Israels, also zusammen 72, vom ägyptisch-hellenistischen König Ptolemaios II. Philadelphos (regierte 282 - 246 v. Chr.) auf die Insel Pharos bei Alexandria geholt wurden, um den alttestamentlichen „Pentateuch“, das heißt die „fünf Bücher Mose“ (wörtlich: „Fünfrollenbuch“), ins Griechische zu übersetzen, was ihnen just in 72 Tagen gelungen sein soll. Der Übertragung des Pentateuchs (hebräisch „Tora“, also „Gesetz“ oder „Weisung“), die tatsächlich für das dritte Jahrhundert anzunehmen ist, sind im Laufe der Zeit die anderen Bücher des Alten Testaments sowie einige weitere aus dem Umfeld gefolgt. Die Zahl 72 wurde in der späteren Überlieferung auf 70 verkürzt. Das Wort „Septuaginta“ steht im Lateinischen für die Zahl 70 (LXX). Die Evangelisten, die ebenfalls griechisch schrieben, haben ihre alttestamentlichen Zitate der Septuaginta entnommen und sich stilistisch auf sie bezogen.

Paulus war mit der griechischen Sprache aufgewachsen und kannte die Schriften des Alten Testaments resp. die Septuaginta sehr gut, obwohl er darüber hinaus gewiss mit der aramäischen und wahrscheinlich auch mit der hebräischen Sprache vertraut war. Von der lateinischen Sprache besaß er wohl nur bruchstückhafte Kenntnisse.24 Der Apostelgeschichte nach (18,3) hatte Paulus den Beruf des Zeltmachers erlernt, der die Erzeugung von Leder- und Leinenprodukten umfasste. So konnte er sich während der Missionsreisen seinen Unterhalt verdienen und musste den heidenchristlichen Gemeinden nicht auf der Tasche liegen. Wo und wann genau er die handwerkliche Ausbildung absolviert hat, wo und wann er in der Tora und anderen religiösen Schriften des Judentums unterwiesen worden ist, gilt als ungeklärt. Beides könnte ebenso gut in Tarsus wie in Jerusalem gewesen sein, obgleich bei „Lukas“ zu lesen ist, dass Paulus sich von Jugend an in Jerusalem aufgehalten habe (Apg 26,4).

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