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Die Apostelgeschichte

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Eine zweite Quelle, die über die Missionstätigkeit des Apostels Paulus Auskunft gibt, ist die sogenannte „Apostelgeschichte“ im Neuen Testament. Für deren Entstehungszeit werden die Jahre vor oder um 90 nach Christus angesetzt. Als Verfasser der Apostelgeschichte gilt der Autor des Lukas-Evangeliums (vor oder um 80 n. Chr.). Ob dieser freilich den Namen Lukas getragen hat, lässt sich nicht nachweisen, da die namentliche Zuordnung der beiden Schriften erst ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus historisch fassbar wird. Sicher ist nur, dass „Lukas“ ein gebildeter Heidenchrist war, der wie Paulus die griechische Sprache sehr gut beherrschte, also im hellenistisch geprägten Teil des römischen Imperiums gelebt hat. Das „lukanische“ Doppelwerk könnte folglich sowohl in Griechenland als auch in Kleinasien (heute Türkei) oder in der Hauptstadt der römischen Provinz Syrien, Antiochia13, entstanden sein und somit in Gebieten, in denen der Apostel Paulus unterwegs gewesen war. Mit Palästina, wo Jesus gelebt hat und gestorben ist, war „Lukas“ nicht vertraut.

Dass jener ein Paulus-Begleiter oder ein Arzt war, gehört eher in das Reich der Legende, obgleich sich unter den Mitarbeitern des Apostels wohl ein Lukas befunden hat. Als Mitarbeiter oder Begleiter sind etwa 50 Männer und Frauen aus den überlieferten Quellen namentlich bekannt.14 Einem Begleiter freilich wären keine „so kompakten historischen Irrtümer über das Leben des Paulus“ unterlaufen, wie sie in der zweiten „lukanischen“ Schrift zu entdecken sind.15

Die Apostelgeschichte, die ebenfalls erst seit dem zweiten Jahrhundert nach Christus diese Bezeichnung trägt, ist mehr ein theologisches denn ein geschichtliches Werk und richtet ihren Blick zunächst auf das Wirken des Apostels Simon Petrus in Jerusalem und Palästina. Laut dem Markus-Evangelium (3,16) hat Jesus seinem Jünger Simon den aus der aramäischen Sprache kommenden Beinamen „Kephas“ gegeben, der übersetzt „Edelstein“ bedeutet und im Griechischen mit dem Wort „Petros“ („Fels“ oder „Stein“) wiedergegeben wird. Nach dem Tod Jesu um das Jahr 30 und seiner Auferstehung hat Petrus bald die Leitung der Jerusalemer Gemeinde übernommen, die er bis um das Jahr 43 innehatte, als er im Zuge einer Christenverfolgung zusammen mit dem Apostel Jakobus d. Ä. verhaftet wurde, aber aus dem Gefängnis und aus Jerusalem fliehen konnte. Jakobus d. Ä. wurde hingerichtet. Dessen Bruder, der Apostel Jakobus d. J., war fortan Leiter der Gemeinde. Um das Jahr 35 und somit gut zwei Jahre nach seinem Bekehrungserlebnis war Paulus zum ersten Mal dem Apostel Petrus in Jerusalem begegnet, denn er hatte diesen kennenlernen wollen. Paulus „blieb fünfzehn Tage bei ihm“ (Gal 1,18). Doch beide haben sich spätestens seit dem Jerusalemer Apostelkonzil (48 oder 49 n. Chr.) wegen theologischer Differenzen wohl nicht mehr so gut verstanden. Petrus wurde wahrscheinlich im Jahr 67 in Rom hingerichtet.

Der zweite Teil der Apostelgeschichte befasst sich mit den drei großen Missionsreisen des Apostels Paulus, die etwa im Jahr 45 begonnen und, mit Unterbrechungen, bis zu seiner Ankunft in Rom um das Jahr 60 angedauert haben. Dort wurde er unter Kaiser Nero (37 – 68 n. Chr.; Kaiser ab dem Jahr 54) zum Tode verurteilt und im Jahr 63 oder 64 mit dem Schwert getötet. Aus den Jahren vor 50 sind keine von Paulus verfassten Briefe vorhanden, was aber nicht heißen muss, dass er keine geschrieben hat. Dem Autor der Apostelgeschichte standen wahrscheinlich schriftliche Notizen über die Paulusreisen zur Verfügung16, jedoch nicht die Paulusbriefe selbst. Eine frühe, redaktionell bearbeitete Sammlung der Briefe ist erst aus der Zeit um 100 nach Christus bekannt.

„Lukas“ zählt bereits zur dritten Generation der Jesus-Bewegung, denn sowohl die Augenzeugen, also vor allem die Jünger Jesu, als auch die Missionare der zweiten Generation, zu denen Paulus gehört hat, sind mittlerweile tot. Der Verfasser der Apostelgeschichte sieht – anknüpfend an die Wiedergabe des Lebens und Sterbens Jesu im Lukas-Evangelium – seine Aufgabe folglich darin, die durch den „Heiligen Geist“ im Pfingstereignis (Apg 2,1 - 13) initiierte Verbreitung des „Wortes Gottes“ von Jerusalem über die frühen Missionierungsgebiete in Kleinasien und Griechenland bis hin zur christlichen Gemeinde in Rom darzustellen. Ihm ist daran gelegen, aufkommende Irrlehren abzuwehren sowie generell die grenzüberschreitende Kontinuität und die göttliche Heilszusage des Christentums für Menschen aufzuzeigen, die zeitlich und räumlich weiter vom ursprünglichen Geschehen entfernt sind. Er will die Geschichte Jesu mit der Weltgeschichte in Verbindung bringen.17 Der Autor der Apostelgeschichte hält Paulus, der mit seinem missionarischen Engagement bedingungslos für die Sache Jesu einsteht, für den Repräsentanten dieser zielstrebigen Glaubensvermittlung.

Obwohl die historischen Aussagen der Apostelgeschichte nicht zu unterschätzen sind, so sind sie doch gegenüber den authentischen Paulusbriefen nachrangig und müssen in ihrer Bedeutung jeweils kritisch überprüft werden. Im Gegensatz zu den auf die konkreten Gemeindesituationen bezogenen Briefen hat die Apostelgeschichte einen literarischen, erzählenden und erbaulichen Charakter, der auch dem Apostel Paulus zugeschriebene Wundertaten mit einschließt.

„Lukas“ berücksichtigt dabei „das Problem der bislang ausgebliebenen Parusie“18, also der „Naherwartung“ (wörtlich: „Anwesendsein“ oder „Gegenwart“), dass nämlich durch die endgültige Wiederkehr des Messias das Reich Gottes in Vollkommenheit anbrechen werde. Der Begriff „Messias“ ist die griechische Form des hebräischen Wortes „Maschiach“ und identisch mit der späteren Bezeichnung „Christus“. Die drei Begriffe bedeuten übersetzt „der Gesalbte“ und beziehen sich auf die alttestamentliche Verheißung eines Gott- oder Heilskönigs, der Juden wie Christen und – religiös weitergedacht – letztlich die Welt erretten und erlösen wird. Petrus, Paulus und die Christen der frühen Gemeinden waren davon überzeugt, dass dies noch zu ihren Lebzeiten geschehen werde. Es muss daher für so manche arg irritierend gewesen sein, als trotz der Naherwartung Gemeindemitglieder starben.

Die Apostelgeschichte versucht deshalb, das allzu enge zeitliche Verständnis der messianischen Wiederkunft aufzubrechen: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apg 1,7). „Also kehrt um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden und der Herr Zeiten des Aufatmens kommen lässt und Jesus sendet als den für euch bestimmten Messias. Ihn muss freilich der Himmel aufnehmen bis zu den Zeiten der Wiederherstellung von allem, die Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat“ (Apg 3,19 – 21).

„Lukas“ betrachtet die Entstehung der frühen Kirche, die der unmittelbaren jesuanischen Zeit folgt, als zweite Epoche der Heilsgeschichte, die gleichwohl endzeitlich ausgerichtet bleibt19, als sei es eine „Zwischenzeit“.20 Diese temporäre Unbestimmtheit brachte es zwangsläufig mit sich, dass sich in den Gemeinden festere Strukturen und Leitungsämter zu bilden begannen.

Paulus selbst versucht bereits Jahrzehnte zuvor, eine Art Kompromiss hinsichtlich der Parusie zu finden, indem er in seinem 1. Brief an die Thessalonicher schreibt: „Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein“ (1 Thess 4,15 – 17). Im 1. Brief an die Korinther bekräftigt Paulus diese Sichtweise noch einmal: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden – plötzlich, in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall“ (1 Kor 15,51 – 52).

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