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IV


Sofia


Im Haus von Nestor Nigglepot gab es eigentlich nur eine wichtige Regel: Wenn man nicht wusste, wofür etwas gut war, ließ man am besten die Finger davon. Doch Lilly Foo war nicht nur schlau, sondern auch vorsichtig genug, um auf diese Einschränkung selber zu kommen. Aber, sonst gab es hier jede Menge zu entdecken!

Scheinbar hatte dieser bemerkenswerte Mann so ziemlich jede wichtige Epoche der Menschheitsgeschichte besucht, um sich möglichst viele Besonderheiten, Schätze und Kostbarkeiten unter den Nagel zu reißen. Warum er das tat, war der Chinesin völlig unklar.

Lilly wusste nicht, was sie von Nestor Nigglepot halten sollte, darum war ihre erste Adresse für wichtige Fragen sein Butler Rául. Obwohl der ständig irgendetwas zu erledigen hatte, nahm er sich immer Zeit, um ihr auf fast alles möglichst umfassend zu antworten.

»Arbeiten sie eigentlich schon lange für Nestor Nigglepot, Herr Rául!«

»Nennen sie mich bitte einfach nur Rául, junge Dame!«

»Nur, wenn sie mich Lilly nennen!«

»Gut Lilly, darauf können wir uns einigen«, war die Antwort. Und weiter: »Ich denke, ich habe Herrn Nigglepot kennengelernt, als ich so alt war wie du jetzt.«

»Aber jetzt sind sie ein alter Mann … ähm, tut mir leid … ich wollte …« Lilly war verlegen.

»Ich fürchte, du hast recht.« Rául lächelte sie an. »Aber ein Leben, hier in diesem Haus, kann recht anstrengend sein.«

»Wieso? Hat Nestor Nigglepot sie zu irgendetwas gezwungen, zum Arbeiten, oder so etwas?«

Lilly war wieder in Hab-Acht-Stellung, denn das Kinder zu etwas gezwungen werden konnten, davon wusste sie aus ihrem Kinderheim genug zu berichten.

»Um Himmelswillen!« Jetzt musste Rául richtig lachen. »Nein, ganz sicher nicht. In diesem Haus kann dir nichts passieren. Eigentlich hast du sogar das große Los gezogen.«

»Wieso eigentlich?«, wollte Lilly wissen.

»Wenn du es lange genug mit Nestor Nigglepot aushältst, wirst du erkennen, was ich meine.«

»Wie lange halten sie es denn schon mit ihm aus, Rául?«

»Viel, viel länger, als ich heute alt aussehe«, war die mysteriöse Antwort.

»Stimmt das mit dieser Zeitmaschine wirklich?« Das Mädchen wollte jetzt doch ein bisschen mehr erfahren.

»Auf diese Frage darf ich dir nicht antworten, Lilly.«

»Warum nicht?«

»Weil ich es verboten habe!«, flötete es durch den Raum.

Nestor Nigglepot stand plötzlich mit großer Geste da.

»Das gehört zu unserem Wettkampf, meine Liebe!« Er verschränkte die Arme vor der Brust und grinste von einem Ohr zum anderen. »Du glaubst mir nicht. Das ist dein gutes Recht. Und mein gutes Recht ist – zumindest in diesem Haus – die Spielregeln festzulegen. Und die erste Regel ist: Fragen zum Thema Zeitmaschine oder zur Herkunft von Nestor Nigglepot werden erst beantwortet, wenn alle Beteiligten felsenfest davon überzeugt sind, dass Nestor Nigglepot immer …«, er holte weit mit den Armen aus und fuhr fort: »… und ausschließlich die Wahrheit spricht.« Seine Nase berührte nun fast die von Lilly. »Die zweite Regel lautet: Lilly Foo muss das Reiseziel festlegen!« Damit drehte er sich um und sagte knapp: »Rául, komm mit! Das Fräulein will überlegen.«

»Aber ich weiß doch gar nichts von der Welt. Ich kenne nur Hongkong!«, rief Lilly den beiden hinterher.

»Geh in die Bibliothek und such dir ein hübsches Ziel aus«, antwortete der Hausherr knapp.

»Ich kann aber nicht lesen.« Das Mädchen klang ziemlich kleinlaut.

Nestor blieb stehen und dreht sich zu Lilly um: »Was habt ihr denn in dem Kinderheim, wo du herkommst, gemacht?«

»Geschlafen, gegessen und gearbeitet«, kam es traurig zurück.

»Rául, bring’ Lilly Foo lesen bei.«

»Mit dem Didaktafon, Sir?«

»Nein, ganz normal. Buchstabe für Buchstabe. Wir haben Zeit!« Lachend verschwand er hinter der nächsten Tür.

»Danke, Nestor Nigglepot!« Die junge Chinesin strahlte über das ganze Gesicht.


Rául war ein guter Lehrer und Lilly eine fleißige Schülerin. Darum dauerte es nicht besonders lang, bis sich dem Mädchen der riesige Schatz dieser einmaligen Bibliothek eröffnete. Sie konnte sich kaum satt lesen, denn hier waren alle wichtigen Bücher der Weltgeschichte versammelt.

Natürlich waren viele Bücher schwierig oder in fremden Sprachen verfasst, aber die Bücher, die sie lesen konnte und auch verstand, verschlang sie. Manchmal war sie den ganzen Tag in der Bibliothek oder – wenn es schön war – im Garten und las Seite um Seite. Ihr eigener, persönlicher Wissensvorrat explodierte innerhalb weniger Monate. Allein dafür hatte es sich gelohnt, dass sie Nestor Nigglepot gefolgt war.

Zu fast allem, was sie gelesen hatte, konnte sie sich angeregt mit Rául unterhalten, der scheinbar genauso viel Freude an Büchern hatte wie sie. Und beinahe hatte sie vergessen, warum sie lesen gelernt hatte. Aber nachdem der Herbst vorüber war, fragte Nestor Lilly Foo beim Frühstück, das sie für gewöhnlich zusammen mit Rául, im unglaublich gemütlichen, aber kleinen Bunten Salon, einnahmen: »Und Lilly? Weist du mittlerweile, wo es hingehen soll?«

»Ich dachte an Ägypten … zu den Pharaonen«, war ihre unsichere Antwort.

»Da wäre ich vorsichtig«, sagte Rául nachdenklich.

»Warum?«, hakte Lilly nach.

»Gottkönige können ganz schön merkwürdig sein«, mischte sich Nestor ein.

»Das musst du gerade sagen, Nestor Nigglepot!«

»Frechdachs!«, kam es zurück.

»Na dann … Atlantis.«

»Oh nein!«, sagte Nestor, beinahe Hilfe rufend, und es war klar, dass er das mal wieder nur denken wollte, außerdem hatte er sich verschluckt.

»Nicht nach … Atlantis?«, fragte Lilly zuckersüß.

»Ach nein! Da ist immer schlechtes Wetter, da mitten im Atlantik und außerdem weiß ja keiner, ob es das überhaupt gegeben hat. Und wenn ja, dann wann? Nein, nein, besser nicht nach Atlantis.« Nestors Versuch das Ziel madig zu machen, war einfach gesagt schlecht.

Aber das Mädchen war fair und wollte es sich mit Nestor Nigglepot auch nicht verscherzen. Sie war aber clever genug, das Thema nicht ganz abreißen zu lassen. »Dann möchte ich den griechischen Philosophen Platon besuchen!«

»Platon?« Auch dieser Vorschlag schien Nestor Nigglepot, nicht wirklich recht zu sein.

Aber Rául mischte sich vermittelnd ein. »Lilly Foo hat drei Vorschläge gemacht und Platon ist berühmt, für seine großartigen philosophischen Thesen …«

»… und dafür, dass er etwas über Atlantis wusste! Dieses kleine Miststück!« Nestor Nigglepot zwang sich, das auch tatsächlich nur zu denken. Dann trank er seinen Tee aus, stand auf und sagte: »Rául, bereite alles vor. Wir reisen ins antike Griechenland.«

»Ich glaube, jetzt ist er sauer auf mich«, sagte Lilly Foo zu Rául, der sich daran machte, den Frühstückstisch abzuräumen. »War das mit Platon vielleicht doch keine so gute Idee?«

»Mach dir keine Gedanken. Eigentlich mag Herr Nestor solche Herausforderungen besonders gern. Aber er hat es natürlich lieber, wenn er selbst bestimmen kann, wie diese dann aussehen.«

»Aber irgendetwas hat ihn daran gestört, das war doch nicht zu übersehen.«

»Du willst Platon besuchen, weil du gelesen hast, das er etwas über Atlantis wusste, oder es zumindest vorgab. Und eigentlich wolltest du ja auch lieber dort hin. Aber ganz ehrlich, Nestor Nigglepot hat seine Probleme mit Atlantis.«

»Was für Probleme denn?«, Lilly hakte nach.

»Das muss er dir schon selber sagen.« Rául zuckte mit den Schultern und hob die Augenbrauen. Dann fuhr er fort: »Komm! Es gibt viel zu tun. Willst du mir helfen?«

»Na klar! Womit fangen wir an? Koffer packen?«

»Das kommt später.«

Das Haus in dem Lilly nun lebte, barg nicht nur jede Menge Schätze und Kostbarkeiten, sondern auch viele Geräte und Maschinen, die im Alltag sehr nützlich waren. Die Bilderrahmen, mit den sich bewegenden Bildern, waren das, was Rául Bildschirme nannte, und so gab es hier noch viel mehr, was es in Hongkong im Jahre 1921 nicht gab. In den knapp fünf Monaten, die sie nun bei Nestor Nigglepot und Rául war, hatte sie schnell begriffen, was ein Telefon ist und wie es funktioniert. Sie kannte natürlich die praktischen Küchenhelfer Kühlschrank und Mikrowelle, und selbstverständlich waren ihr auch Fernsehen und Computer nicht entgangen.

Aber der Butler verstand es blendend, ihr, auf den ersten Schritten in dieses neue Leben, Wissen nahezubringen, das auch ohne Strom funktionierte. Wenn man Fernsehen aber nicht kennt, kann plötzlich zu viel davon sehr verwirren. Und Lilly zeigte, zu seiner Freude, erstaunlich wenig Interesse daran. Meist ging es ihr zu laut, zu schnell und zu bunt in dem Kasten her. Bücher waren bisher ihre liebsten Begleiter gewesen.

»Zunächst einmal müssen wir soviel wie möglich über Platon in Erfahrung bringen, so viele Informationen sammeln, wie es über ihn gibt. Am Besten wir wüssten, wo er überall war, wann und warum, mit wem er befreundet war, wo seine Familie lebte, sein Lieblingsgetränk, ob er reich war oder arm, mit welcher Sorte Geld man zu seiner Zeit bezahlte und welche Sprachen er sprechen konnte. Einfach alles!«

»Sein Lieblingsgetränk?«, stutze Lilly.

»Na ja, das wird noch das Einfachste sein. Zu Platons Zeiten kann das nur Wein oder Wasser gewesen sein. Säfte, Tee oder Limonaden gab es damals entweder noch nicht oder es war zu kompliziert, sie herzustellen. Aber das Beste wird sein, wir fragen Sofia.«

»Wer ist das denn?«, fragte das Mädchen und räumte weiter die Spülmaschine ein.

»Unser Zentralcomputer«, antwortete der Butler.

»Und das Ding weiß das alles?«

»Nicht alles, aber was es an Wissen gibt, ist dort gespeichert, übersetzt und vor allem sinnvoll miteinander verknüpft.«

»Ist das so etwas Besonders?«

»Oh ja. Es ist wie in deinem Kopf. Wenn du in einem Buch liest, ein Apfel ist grün und in einem anderen steht, er ist rund, dann verknüpfen sich diese Informationen. Du weißt dann, ein Apfel ist grün und rund. Das Internet zum Beispiel verknüpft nicht. Es kann dir nur sagen, wie viele Seiten über Äpfel du dort finden würdest.«

»Und bestimmt ist Sofia die einzige ihrer Art.«

»Das ist auch gut so.«

»Warum? Es wäre doch super, wenn es viele davon gäbe …«

»… und niemand würde sich mehr die Mühe machen, seinen eigenen Kopf zu benutzen«, ergänzte Rául. »Aber wir brauchen sie ganz sicher, denn ohne Sofia würden die Vorbereitungen für unsere Reise Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen.«

Als sie mit Aufräumen fertig waren, verließen sie den Bunten Salon in Richtung Empfangshalle. Rául betätigte einen völlig unscheinbaren Knopf, der gut versteckt unter der linken Freitreppe angebracht war und eine Geheimtür unter der rechten Freitreppe öffnete sich leise. Das war der Grund, warum Lilly den Zentralcomputer bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Hinter der Geheimtür führte eine schmale Treppe nach unten. Rául ging vor.

»Was macht Nestor Nigglepot eigentlich immer? Man sieht ihn so gut wie nie. Sie habe ich seit meiner Ankunft hier täglich gleich mehrfach, manchmal sogar stundenlang gesehen.«

»Er arbeitet.«

»Und was arbeitet er?«

»Ich glaube nicht, dass Herr Nestor möchte, dass ich dir diese Frage beantworte.«

»Ach bitte, Rául! Ich will doch nur wissen, was er den ganzen Tag über anstellt. Ich meine, der Kerl ist ja fast nie da, nicht mal jetzt.«

»Nestor Nigglepot wünscht, dass keine Fragen über ihn beantwortet werden, und ich werde mich daran halten, junge Dame! Und ob er nicht da ist, kannst du gar nicht wissen. Seldom House ist gewaltig. Es gibt über hundert Zimmer, allein im Haupthaus. Besser du fragst nicht weiter nach ihm.«

»Sind sie mir jetzt böse, Rául?«

»Nein. Ich wäre sogar enttäuscht, wenn du es nicht wenigstens mal versucht hättest.« Er drehte sich um und lächelte sie an. »Neugierde ist gut. Ohne sie wärest du nicht hier.«

Die Treppe, Lilly zählte 42 Stufen, mündete in einen Gang, der zwar nicht so hoch wie die Bildergalerie war, aber mindestens genauso lang und hatte je drei Türen ohne Türgriffe zu beiden Seiten. Am Ende befand sich eine siebte Tür. Wände und Boden waren dunkel und völlig matt. Beinahe hatte man das Gefühl durch ein Nichts zu schweben, wäre an der Decke nicht ein blau leuchtendes Band gewesen. Auf jeder Tür leuchteten Symbole, die das Mädchen nicht kannte, ebenfalls in Blau. Rául steuerte auf die Tür am Ende zu und als er ankam, sagte er: »Hallo Sofia! Mach bitte auf!«

Eine sehr warme Frauenstimme antwortete genauso normal zurück: »Gerne Rául! Willst du mir endlich unsere neue Mitbewohnerin vorstellen?«

Die Tür verschwand einfach und gab den Weg in einen großen, runden Raum frei, der, verglichen mit dem Gang, sehr hell war. Auch hier war das Licht blau, aber die Wände waren metallisch. Sie bestanden aus wabenförmig angeordneten, handtellergroßen Halbkugeln, die scheinbar unvermittelt aufleuchteten und wieder erloschen. Decke und Boden waren aus dem gleichen Material wie die zuvor im Gang.

In der Mitte des Raumes, der einen Durchmesser von gut fünfzehn Metern hatte, waren drei moderne, schlichte, schwarze Sessel um einen schwarzglänzenden Tisch angeordnet. Über dem Tisch schwebte die Hauptlichtquelle des Raums. Eine blaue Lichtwolke, gut einen Meter breit, waberte langsam und unregelmäßig vor sich hin. Es war, als hätte man das Licht anfassen können.

Lilly konnte sich das Staunen in diesem Haus tatsächlich nicht abgewöhnen, denn sie stand mal wieder mit großen Augen da. Die Wolke veränderte plötzlich sehr geschmeidig ihre Form und nahm die durchsichtige Gestalt einer hübschen Frau, mit einer klassisch gewundenen Zopffrisur, an. Als stünde diese Frau mitten in dem Tisch, hörte ihr Körper auf Bauchnabelhöhe auf. Ihr Kleid war klassisch, schlicht und ausgesprochen schick.

»Hallo Lilly! Ich bin Sofia«, sagte die blaue Erscheinung.

»Hallo … Sofia!« Die Chinesin traute ihren Augen nicht.

»Na, mal nicht so schüchtern. Du wirst dich an mich gewöhnen.« Sofia freute sich offensichtlich über die Gesellschaft und schaute dann zu Rául, »Und wie geht es dir, mein Freund?«

»Das Übliche, das Übliche«, antwortete er. »Herr Nestor und Lilly wollen gemeinsam verreisen.«

»Du willst mit Nestor auf Tour gehen? Da werdet ihr eine Menge Spaß haben.« Sofia schaute nun wieder zu Lilly. Sie bewegte sich etwas langsamer als echte Menschen.

Das Mädchen bekam keinen Ton heraus.

»Alles O.K. mit dir, Lilly?« Der Zentralcomputer schaute sie besorgt an.

»Ja … schon, aber …« Sie wollte nicht herumdrucksen, aber es ging nicht anders. Das hier hatte doch viel mehr Ähnlichkeit mit einem Gespenst, als mit einer Maschine.

»Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Alles was du von mir siehst, ist nur Licht. Ich kann gar nicht beißen.« Die Maschine winkte Lilly zu sich. »Komm, fass mich mal an!«

Lilly ging langsam auf den Tisch zu und streckte ihre linke Hand vorsichtig aus. Dort, wo sie Sofia berührte, wich das Licht zurück wie Rauch.

»Siehst du?«

Das Mädchen zog die Hand schnell wieder zurück, dabei folgten ihr ein paar Lichtschwaden, um dann langsam wieder in die Ursprungsform zurückzukehren. Sie schaute Hilfe suchend zu Rául.

»Mach dir keine Sorgen. Sofia ist wirklich nett.«

Lilly nahm ihren Mut zusammen und sagte leise: »Du sprichst und du denkst … aber du bist doch eine Maschine?«

»Du sprichst und denkst doch auch.« Sofia schaute das Mädchen interessiert an.

»Nein … ja doch, tue ich, aber wieso du? Maschinen können doch nicht denken und reden.«

Sofia schaute nach oben, als würde sie überlegen. »Die meisten Maschinen denken und reden nicht, das stimmt. Aber wieso denkst und sprichst du?«

»Ich bin ein Lebewesen«, antwortete Lilly.

»Aber die meisten Lebewesen reden und denken auch nicht, oder etwa doch? Das muss ja ein Geplapper, sein bei euch Lebewesen, wenn jede Ameise und jeder Grashalm ständig ihren Senf dazu geben.«

»Das ist doch Quatsch. Ich bin ein Mensch, nur darum kann ich denken und sprechen.«

»Ja stimmt!« Sofia schaute die Chinesin gespielt erstaunt an. »Du bist ein hoch entwickeltes Lebewesen.«

Lilly hatte verstanden: »Und du bist eine hoch entwickelte Maschine.«

»So ist es, Lilly!« Die blaue Gestalt sah sie lächelnd an. »Deshalb kann ich denken und sprechen. Und lesen und singen … nur weg kann ich hier nicht so richtig, aber dafür muss ich auch nie zum Klo.«

Jede ihrer Äußerungen unterstrich sie mit einer deutlichen und passenden Mimik, als wenn sie um jeden Preis verhindern wollte, dass man sie allzu sehr missverstehen könnte. Sie war fröhlich, freundlich und höflich. Sie hatte keine Launen, war offensichtlich ehrlich und sie scherzte gern. Es war tatsächlich gut, dass nicht jeder eine Sofia hatte. Aber aus einem anderen Grund, als Rául ihn befürchtet hatte. Die Welt würde ganz einfach vor Nettigkeit platzen.

»Wieso bist du so, wie du bist?«, wollte Lilly Foo wissen.

»Wäre es dir lieber, wenn ich wie die anderen Maschinen wäre? Plump, dumm, unfreundlich, selbstverliebt und am Ende würde mich doch keiner ohne Handbuch verstehen?« Sofia schüttelte den Kopf. »Und wieso bist du so, wie du bist?«

»Ich bin so geworden …« Etwas Klügeres fiel dem Mädchen auf die Schnelle nicht ein.

»Mir geht es genauso. Ich musste zwar nicht Laufen lernen, aber ich konnte auch erst denken und sprechen, als ich verstehen konnte. Und das zu lernen, hört nie auf. Jetzt muss ich zum Beispiel lernen, dich zu verstehen.«

»Und ich dich!«

»Ganz genau.« Sofia machte eine kurze Pause. »Also ihr zwei Hübschen, wo soll’s denn hingehen?«

NESTOR

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