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Fetter Brocken für die Allianz

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Der Allianz-Versicherungskonzern kündigt am Mittwoch, noch während der Leipziger Messe, an, im Mai einen Anteil an der Staatlichen DDR-Versicherung zu übernehmen, genau das derzeit gesetzlich festgelegte Höchstmaß: 49 Prozent. Die »Staatliche« hat 1989 sieben Milliarden Ostmark an Prämien eingenommen und einen Gewinn von 1,7 Milliarden gemacht. Der Kaufpreis soll später verhandelt werden. Der Stellvertretende Generaldirektor Günter Ullrich und der Allianz-Unterhändler Uwe Haasen geben eine gemeinsame Pressekonferenz.

Die Öffentlichkeit ist überrascht. Die Versicherungswettbewerber sind entsetzt. In der ostdeutschen »Berliner Zeitung« vermutet ein Redakteur, dass die Vorverträge auf ungesetzliche Weise zustande gekommen sind. Sie seien „schlichtweg erkauft“. Den Vorwurf muss die Zeitung korrigieren, nachdem sich der Chef der »Staatlichen«, Hein, höchstpersönlich beim DDR-Presseamt über „diese Art der Berichterstattung“ beschwert hat. Im Radio kommentiert dies eine Hörerin mit der Bemerkung, dass man jetzt wohl „schon wieder nicht sagen darf, wie es ist. Natürlich kaufen die uns!“

Die Bundesregierung erhält bitterböse Protestschreiben von jenen bundesdeutschen Versicherungskonzernen, die nicht zum Zug gekommen sind. Eine Handvoll FDP-Politiker sind gegen den Allianz-Deal. Allerdings finden sie kein Gehör, schließlich sind die Allianz-Chefs in München aufs Beste mit den CSU-Großkopferten in der Bayrischen Staatskanzlei und ihrem Bonner Ableger, dem Bundesfinanzminister Theo Waigel, vernetzt.

Er wird die Vorstandssitzung der Allianz am 20. März besuchen und die Konzernzimmerei gutheißen. Zwar gebe es gewisse kartellrechtliche Bedenken, aber er sei der Überzeugung, dass die »Staatliche« im Wettbe­werb mit der bundesdeutschen Versicherungsbranche nur mit einem starken Partner überleben könne. Das sei nun mal die Allianz. Damit ist die Sache geritzt.

Noch drei Tage bis zur alles entscheidenden Wahl. Matthias Artzt, Gerd Gebhardt, Werner Schulz und Wolfgang Ullmann, die Vordenker einer demokratisch agierenden Treuhandanstalt, kämpfen ihren letzten verbissenen Kampf für den Erhalt des Volkseigentums. Noch fordern die Bürgerrechtler Anteilsscheine am Runden Tisch ein. Artzt und Gebhardt diskutieren mit dem Staatssekretär Wolfram Krause über das Treuhandstatut. In diesem Statut – aber nicht im Treuhandgesetz – wird festgehalten: Es wird Vermögensurkunden geben.

Diesen Punkt erläutern Krause und Ullmann gemeinsam auf einer Pressekonferenz. Man schätze das Vermögen der DDR auf 650 Milliarden Ostmark. An 25 bis 30 Prozent der Industrie wolle man die Bürger in Form von Aktien beteiligen. Das würde bedeuten, so erklärt Ullmann der Presse, dass jeder DDR-Bürger einen Anteilsschein im Wert von 40 000 Ostmark erhalte. In einem Volksentscheid soll die DDR-Bevölkerung über die Verwendung des Volksvermögens entscheiden.

Die anwesenden Westjournalisten stellen skeptische Fragen zu den Anteilsscheinen: Wie könne man denen einen Wert beimessen? Ullmann hat keine Antwort parat. Das werde sich ergeben, sagt er. Wolfram Krause dagegen gibt sich selbstbewusst: Das Parlament würde diesen Prozess und die Treuhand selbstverständlich kontrollieren.

Schon drei Tage später können die DDR-Bürger über ihre Zukunft und indirekt über ihr Vermögen abstimmen. Sie können über die Idee der ehemaligen Laubenpieper entscheiden. Was, wen und wie werden sie wählen?

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