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Unfaire Spiele, dafür alte Freunde

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Es war jetzt über zwei Monate her, dass wir den Förderantrag über rund zwei Millionen DM für unser GTU-Datenbankprojekt beim Bundesumweltministerium eingereicht hatten. In der letzten Januarwoche war ich gemeinsam mit unserem IT-Genie Dr. Comma und dem Projektleiter Dr. Schimmelreith zur Erläuterung unseres umfangreichen Förderantrages auf Wunsch des Ministerialdirektors in Bonn gewesen. Wir hatten den Antrag bereits vor Weihnachten per Post und Einschreiben dorthin gesandt. Wir waren von der zuständigen Abteilungsleiterin, Frau Dr. Schmittmann, und ihrem Mitarbeiter empfangen worden.

Gegen Ende der dreistündigen Konsultation hatte man uns Hoffnung auf eine baldmögliche Förderung gemacht. Wir hatten bereits eine große Vorleistung erbracht. Alleine das, was wir in unserem Antrag dem Ministerium vorlegten, hatte einen Arbeitszeitwert von einer halben Million.

Spätestens im Mai sei alles entschieden, aber wegen eines Zwischenbescheids könnten wir bereits Anfang März nachfragen. Das genau stand heute auf meiner To-Do-Liste. Ich rief bei Frau Dr. Schmittmann an. Sie wusste gleich Bescheid, worum es ging, aber mir fiel auf, dass sie sofort anfing rumzueiern. Mit einer nur annähernd dafür ausgeprägten Sensibilität spürt man an Ton­fall, Wortwahl und natürlich am Inhalt, wenn jemandem etwas unangenehm aufstößt.

Dieser Ministerialbeamtin war es sehr unangenehm, dass ich anrief. Mir war schleierhaft, weshalb sie so schrecklich nebulös dahersprach. „Ja … gut, na, wissen Sie … also es dauert halt alles seine Zeit … aber nein, äh, da kann ich nichts dazu sagen … also wahrscheinlich …, vielleicht dauert es noch etwas, ich nehme an …“ So ging es in einem fort. Bei unserer letzten Besprechung vermochte sich die Frau noch flüssig, klug, in gewählten Worten und klar auszudrücken. Und jetzt das Gestottere, eine Aneinanderreihung von heimlichen Gewissensbissen. Zwei Monate später sollte ich den Hintergrund ihrer miserablen Sprachakrobatik verstehen.

Danach rief ich in Berlin an. Ich ließ mich in der Telefonzentrale der »UTB, Gesellschaft für Informationstechnik, Umwelt- und Betriebsberatung« mit meiner Geschäftsführerin verbinden. Das von meinem besten Freund Jan und mir initiierte Umweltinstitut hatte seinen ersten Geschäftssitz im Westberliner Wedding unter dem Dach des Berliner Innovations- und Gründerzentrums.

Frohen Mutes sagte ich: „Moin Katrin, wie geht es dir im neuen Job? Und wie laufen unsere Umweltinformatik-Kurse?“ Auch hier wurde mein morgendliches Weltbild von einem merkwürdigen Gestottere erschüttert. Schon dachte ich, es läge an meiner eventuell mangelnden Wahrnehmungsfähigkeit am frühen Arbeitstag. Also ließ ich mich von Katrin zu ihrem Mann weiterverbinden.

„Moin Jan, wie steht’s, wie geht’s, altes Haus?“

„Ach, du bist’s!“

„Hat es dir Katrin nicht gesagt?“

„Ach, stimmt. Na ja, bin abgelenkt gewesen. Alles klar bei dir?“

„Ja, bis auf den Umstand, dass man mich in Bonn ziemlich kaltschnäuzig abgewimmelt hat.“

„In Sachen Umweltdatenbank?“

„Genau.“

„Ach, schade.“

Es herrschte Stille auf der anderen Seite. „Jan?“

„Ja, ja.“

„Was meinst du zu der Bonner Reaktion?“

„Reaktionär.“ Jan lachte komisch.

„Und sonst?“

„Sonst nichts“, sagte er.

Das war mir zu blöd. „Puhh“, stöhnte ich ins Telefon. „Etwas mehr Mitgefühl hätte mir jetzt gut getan.“

Es entstand eine ungewöhnliche und unangenehme Pause. Fast hätte ich das Gespräch beendet. Aber da interessierte mich doch noch eine einzige Frage:

„Was macht eigentlich der Umsatz im Wedding?“

„Nix Großes.“

„Heißt was?“

„Dieses Jahr werden wir keinen Gewinn machen!“

Ich stutzte. Nach meiner Berechnung mussten im ersten Jahr bereits 120 000 Mark Gewinn übrigbleiben.

„Kein Gewinn? Wir beide hatten doch alles durchkalkuliert; an den Zahlen hat sich nichts geändert.“

Meinem guten Freund war es nun offensichtlich sehr unangenehm, dass ich dieses Thema angeschnitten hatte. So begann nun ein merkwürdiges Daherlabern, das ich von ihm noch nicht kannte. „Tja, also … wenn eine Firma neu ist … bla bla bla …na gut, oh nein, weißt du … also es braucht alles seine Zeit … äh, aber nein doch, äh, da kann man keine Prognose … äh … also wahrscheinlich …, vielleicht dauert es noch etwas, ich nehme an …“ So also sprach mein Geschäftspartner und Freund, der sonst flüssig und mit klug gewählten Worten sich klar auszudrücken vermochte. Ein Mann, für den konkrete Zahlen kein Tabu waren.

Für mich war es ein frühmorgendliches Déjà-vu. Frau Schmittmann aus Bonn ließ grüßen. Gab es auch bei Jan irgendwelche Geheimnisse? Vielleicht Gewissensbisse? Wenn ja, weshalb? Ein Jahr später sollte ich den Hintergrund auch seiner merkwürdigen sprachlichen Verrenkungen begreifen.

Mitte März erreichte mich Quinys Brief aus Irland. Er war abgestempelt in Derrybeg im Norden der Republik Irland. Quiny war eine treue Seele; seitdem wir uns aus der Wohngemeinschaftszeit 1972 in Westberlin kannten, hatte sie Kontakt zu mir gehalten. Einer unserer zahlreichen gemeinsamen Freunde war Rolf, der sich damals mit Mitte Zwanzig krankgetrunken hatte. Da hatte es Quiny nicht mehr bei ihm ausgehalten. Es war ein großer und schicksalhafter Bruch gewesen. Danach war sie mit Wolle zusammen gewesen, hatte ihren Kindergarten-Job aufgegeben und sich mit ihrem neuen Freund auf den langen Hippie-Trail nach Indien, Nepal und nach Thailand aufgemacht.

Einen großen Teil ihres jugendlichen Lebens hatten die beiden Bhagwans Sannyasin-Bewegung geopfert, waren ihm in die USA gefolgt und zuletzt enttäuscht von seinem luxuriösen Doppelleben und seiner Doppelmoral nach Westberlin zurückgekehrt.

Eine gemeinsame Freundin von uns war Svea, jene lebenslustige und hübsche Siebzehnjährige, die noch so vieles und so großes im Leben erreichen wollte, dann aber an falsche Freunde und an Drogen geriet. Gemeinsam hatten Quiny und unser gemeinsamer Freundeskreis alles unternommen, um Svea vom Heroin wegzubringen. Wenige Jahre später war Quiny ebenfalls mitgekommen, um Svea in Marokko zu suchen und zurück nach Westberlin in eine Klinik zu bekommen. Es war uns nicht geglückt.

Vor zwei Jahren, es war 1988, hatte mir Quiny aus London geschrieben, sie sei neu verliebt. Ja, sie sei irre verknallt in einen Iren namens Davy, was »Geliebter« bedeute. Ein Jahr später hatte sie sich aus Derrybeg gemeldet. Davy habe dort als Architekt eine Stelle gefunden, und sie arbeite in der Nähe in einem kleinen Dorf in einem neu eingerichteten Feriengebiet, aber auf historischem Terrain und mit urig altem, denkmalgeschütztem Häuserbestand. Das Innenleben der Häuser habe man natürlich vorsichtig renoviert und angemessen modernisiert. Sie sei bei lieben Leuten gelandet, die es verstünden, Urlaubssuchenden einen typisch irischen Urlaub zu arrangieren.

Jetzt schrieb sie: Hi Kara, wir haben uns gewiss so viel zu erzählen, dass dieses Brieflein niemals Platz genug für all die Worte, die wir aufbringen müssten, bieten könnte. Dann berichtete sie vier lange Seiten über die herrliche irische Landschaft, die irische Lebensweise und die lieben Menschen, die diese Insel bewohnten.

Ich dachte leider an den Nordirlandkonflikt, verdrängte aber die Gedanken an dieses blutige Kriegsgeschehen mitten im zivilisierten Westeuropa und las weiter: Ich nehme an, dass du immer noch so eingespannt bist in deine Unternehmen, wie du im Brief vom letzten Sommer berichtet hast. Dennoch finde ich: du musst uns mal unbedingt besuchen. Bring Emma und die Kurzen mit. Davy will euch unbedingt kennen lernen. Und glaub mir: Irland ist wunderschööön.

Liebe Grüße, Quiny & Davy

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