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Friss oder wähl

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Die Schicksalswahl in der DDR steht unmittelbar bevor. Damit stehen Gewerbe-, Konsum- und Kapitalfreiheiten bevor, eben das, was das anspruchslose Leben in Ostdeutschland hat vermissen lassen. Genau diese drohen­den Neuerungen bereiten dem Oberst des Ministeriums für Staatssicherheit, Herbert Köhler, große Sorgen. Er sieht für sich kaum eine Chance in einer DDR, in der das Neue Forum gemeinsam mit der SPD oder gar die Konservativen das Sagen haben.

Dreizehn Jahre lang hat der Mann bis 1987 die Gegenspionage der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS geleitet. Während seiner Dienstzeit hat er regelmäßig Kontakt mit dem dortigen leitenden KGB-Mann, Wladimir Putin. Nun will er weg aus Dresden. Anfang Dezember ist seine Dienststelle von Bürgerrechtlern gestürmt worden. Ein Militärstaatsanwalt und erstaunlicherweise auch westdeutsche Radioreporter waren dabei. „Stoppt die Aktenvernichtung“, hatten die Menschen gebrüllt. Sein damaliger Chef, Generalmajor Horst Böhm, wird am selben Abend unter Hausarrest gestellt und muss seine Pistole abgeben. Ende Februar vergiftet sich Böhm in seiner Wohnung mit Gas. Köhler beerbt seinen Chef und wird für kurze Zeit Chef der Dresdner MfS-Hauptverwaltung. Aber nichts ist mehr zu retten.

So nimmt er Kontakt zu einem alten österreichischen Bekannten auf, dem millionenschweren Unternehmer Martin Schlaff. Der Österreicher ist gerade 36 Jahre jung, hat aber als Mitarbeiter des Wiener Handelshauses Robert Placzek, das er später übernehmen wird, die DDR jahrelang geschäftlich bereist. Er kaufte den Ostdeutschen unter anderem Holz ab und lieferte ihnen im Gegenzug Spanplatten, Baumwolle und Computerteile. Die Staatssicherheit schützte den Handel, alles lief über die Kommerzielle Koordinierung der DDR, Schalck-Golodkowskis Koko.

Schlaff bietet dem Stasi-Oberst Köhler an, ihn in Wien aufzunehmen. Hier kann er in einem von Schlaffs Unternehmen alles über die Marktwirtschaft lernen. Er soll zu einem westlich geprägten Manager ausgebildet werden, und später, wenn es die Bedingungen zulassen, in Ostdeutschland oder andernorts ein Unternehmen führen.

Köhler überlegt nicht lange. Es gibt zwar eine Anordnung, die regelt, was die Kader aus Stasi und Militär zu tun haben, wenn der kapitalistische Klassenfeind die Macht an sich reißt. Im Jahr 1989 wurden darüber hinaus Pläne geschmiedet, die vorsehen, dass die Stasi-Mitarbeiter zivile Firmen gründen sollen, um nach einem Machtwechsel versorgt zu sein und sich in einem neuen Staat etablieren zu können. Doch obwohl Oberst Köhler selbst an diesem Notfallplan mitgearbeitet hat, hält er sich nicht in vollem Umfang an ihn. Er versucht noch vor der Wahl, bevor der sozialistische Staat endgültig verloren ist, wenigstens seine eigene Existenz zu sichern.

Oberst Köhler nimmt das Angebot des Unternehmers Martin Schlaff an und fliegt zwei Tage vor der Wahl nach Wien. Von der österreichischen Hauptstadt aus wird er 170 Millionen Mark der DDR, über die verschiedene Firmen des Martin Schlaff verfügen, in ostdeutsche Objekte investieren.

Ich investierte meine knappe Zeit und Arbeitskraft in meine Firmen in Berlin und in Thüringen. Für den Tag vor der Wahl hatte ich in Abstimmung mit meinem Freund und jetzigem Geschäftspartner Jan eine Gesellschafterversammlung der UTB im Berliner Wedding einberufen. Ich beabsichtigte, ganz offiziell mit Jan festzustellen, wie er zu der Ansicht gelangt war, dass unsere Firma samt ihren vier Niederlassungen am Ende des laufenden Jahres keine einzige müde Mark Gewinn machen würde. Bisher hatte er mir dies nur in einem lapidaren Telefonat mitgeteilt. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht, hatte sich einfach verrechnet.

Katrin, Jans Frau, unsere gemeinsam bestellte Geschäftsführerin, leitete die Versammlung. Es wurde eine sehr frustrierende Sitzung. Jan legte eine Menge Zahlen auf den Tisch, die jeder realistischen Grundlage entbehrten. Ich hatte immerhin bereits vier volle Jahre Unternehmenserfahrung hinter mir und er gerade einmal ein paar Wochen. Ich konnte die Sachlage vollumfänglich über­schauen. Keines seiner Argumente war stichhaltig, eindeutig waren es Luftnummern.

Es war schlichtweg Unerfahrenheit, die ich ihm zugutehielt. Das Merkwürdige allerdings war seine Uneinsichtigkeit, ja Widerborstigkeit, mit der er alle meine Argumente auszuhebeln versuchte. Das ist gewiss seine Vorsicht, er überhöht die voraussichtlichen Kosten, um auf Nummer sicher zu gehen, dachte ich. „Lassen wir die Sache erst einmal auf sich beruhen. Warten wir eben die finanzielle Entwicklung ab“, sagte ich, um das Ärgernis erst einmal beiseite zu schieben. „Welchen Steuerberater hast du nun eigentlich für unsere Firma gewinnen können?“, fragte ich Katrin.

Sie räusperte sich, wie sie es immer tat, wenn sie unsicher war. Es folgte eine Aufzählung all jener erfolglosen Besuche bei Steuerberatern, die sie nach ihrem Bekunden in den letzten vier Monaten abgeklappert hatte.

„Das heißt, wir werden derzeit noch nicht von einem Steuerbüro betreut?“

„Ich habe jetzt fast eine Zusage. Ich bin da ganz zuversichtlich.“

„Von wem?“

„Von einem Büro in der Nähe vom Bahnhof Zoo“, antwortete Katrin.

„Und wer führt seit unserem Unternehmensstart die Buchhaltung?“, fragte ich etwas nervös.

„Du kannst beruhigt sein“, meinte Jan. „Katrin und ich kriegen das hin, bis wir einen Steuerberater haben.“

„Nun, es zieht eure Arbeitskraft an anderen wichtigen Baustellen ab. Wir sind hier immerhin noch im Aufbau. Es ist allemal besser, wenn wir die steuerlichen Angelegenheiten den Fachleuten überlassen. Schließlich wachsen wir schon bald in größere Zusammenhänge hinein. Und nach meiner Erfahrung verliert man schnell den betriebswirtschaftlichen Überblick und die Dinge werden unübersichtlich.“

„Misstraust du uns?“, fragte Katrin.

„Auf keinen Fall“, versicherte ich, aber genau ihre Frage gab mir Anlass, ab nun sehr vorsichtig zu sein und darauf zu bestehen, dass bald ein Steuerberater gefunden würde. Im Falle eines Falles würde ich mich halt selbst von Westdeutschland aus telefonisch auf die Suche machen. Was konnte daran so schwierig sein?

Neue Zeiten - 1990 etc.

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