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Jonas Kaltensee war mit seiner Frau Isabelle auf dem Rückweg nach Calw. Es war sehr spät geworden, bis sie die Geburtstagsfeier von seinem Freund und langjährigen Geschäftskollegen Simon verlassen hatten. Sie wollten eigentlich früher aufbrechen, damit Isabelles Mutter nicht so lange auf die kleine Sophie aufpassen musste. Isabelles Mutter, Ingrid, übernahm diese Aufgabe zwar hin und wieder gerne, allerdings hatte sie sich das letzte Mal beschwert. Jonas und Isabelle waren erst um halb zwölf nach Hause gekommen, so dass Isabelles Mutter in Sophies Bett schlafen musste, da sie zu weit weg wohnte, um noch nach Hause zu kommen. Sophie selbst schlief bei ihren Eltern. So wie es aussah, würden sie dieses Mal sehr viel Glück brauchen, um es überhaupt noch heute nach Hause zu schaffen. Jonas und Isabelle waren zwar extra früher aus Mannheim weggefahren, aber bis sie mit dem Auto aus der Stadt raus gekommen und schließlich auf der Bundesstraße waren, war nochmals viel Zeit vergangen. Die Fahrt selbst brauchte nun mal anderthalb Stunden.

Isabelle blickte aus dem Fenster. Draußen war es dunkel und sehr windig. Auf der Bundesstraße war um diese Uhrzeit nicht mehr viel los. Rings um sie herum war kaum etwas zu erkennen, außer Bäumen und ein paar Häusern. „War schön heute Abend“, meinte sie jetzt an Jonas gewandt. „Hätte gar nicht erwartet, dass so viele Gäste kommen.“ „Das hat mich auch überrascht“, entgegnete Jonas, den Blick auf die Straße gerichtet. „Bei der Einladung sprach Simon nur von einer Feier im kleinen Kreis.“ „Da hat er wohl andere Vorstellungen von kleiner Kreis als wir“, meinte Isabelle lachend. „Ja, ganz offensichtlich“, entgegnete Jonas belustigt. „Aber ich fand es trotzdem ganz gut. Man wird schließlich nur einmal vierzig in seinem Leben.“ „Was er voll ausgenutzt hat“, nickte Isabelle zustimmend. Die Geburtsparty hatte bei Simon und seiner Freundin daheim stattgefunden. Er hatte eine Cateringfirma arrangiert, die für das Essen und die Getränke zuständig war. Obwohl das Haus beinahe voll war, hatte die Cateringfirma Alkohol in solchen Unmengen geliefert, dass es gereicht hätte, sämtliche Gäste abzufüllen. Deshalb war Simon gegen Ende ihrer Abfahrt gut dabei und würde morgen früh, wenn er so weiter gefeiert hatte, vermutlich ziemlich verkatert sein.

Angefangen hatte der Abend mit einem Sektempfang und kleinen Snacks, dabei wurden die Geschenke überreicht und Gäste, die sich noch nicht kannten, einander vorgestellt. Jonas kannte viele der Leute. Simon hatte einige Arbeitskollegen aus der Firma eingeladen, darunter auch die Abteilungsleiter und einen der Azubis, der den Altersdurchschnitt deutlich senkte. Jonas und Simon arbeiteten beide als Ingenieure für einen Automobilzulieferer und beide auf derselben Etage. Meist saß ihre ganze Abteilung zusammen in der Kantine, weshalb die meisten Jonas vertraut waren, während Isabelle außer Simons Freundin niemanden zuvor kannte. Nachdem nach und nach alle Gäste auf der Party eingetrudelt waren, eröffnete Simon das Buffet. Es gab alles Mögliche von Fisch, Fleisch, verschiedenen Salaten, Kartoffeln, Nudeln, unterschiedlichen Saucen bis hin zu allen möglichen Nachspeisen. Außerdem Ciabatta und Brötchen. Auf dem Tisch daneben hatte Simon sämtliche alkoholischen Getränke platziert, Bier und Wein genauso wie diverse hochprozentige Spirituosen. Außerdem stellte Simon noch als Überraschung für jeden Gast einen selbst gemixten, ziemlich starken „Sex on the Beach“ bereit, den sich Jonas nach dem Sekt verkneifen musste. Allerdings gab ihm Isabelle, nachdem sie ihn aufgezogen hatte, einen Schluck davon ab. Schließlich fuhr er sie beide nach Hause.

Die Stimmung auf der Party war ausgelassen und heiter gewesen, jetzt wirkte Jonas Gesichtsausdruck allerdings angespannt. Der Grund war das Aufleuchten der Motorkontrollleuchte. Sie war bereits auf der Hinfahrt angegangen, allerdings tat Jonas das als bedenkenlos ab, als Isabelle ihn darauf hinwies. Er fahre Montag in die Werkstatt und lasse das überprüfen. Problematischerweise hatte der Motor, seit sie die Rückfahrt angetreten hatten, bereits zweimal verdächtige Geräusche von sich gegeben und Jonas wollte auf keinen Fall hier nachts auf der Bundesstraße stehen bleiben. Zum Glück war es nicht mehr so weit. Einen kurzen Stopp würden sie noch einlegen müssen, da Isabelle dringend auf die Toilette musste und die bei Simon ständig besetzt gewesen war.

„Können wir am nächsten Parkplatz kurz anhalten?“, fragte Isabelle und deutete auf das Parkplatzschild mit WC-Zeichen, an dem sie gerade vorbeifuhren. „Von mir aus“, meinte Jonas mürrisch und setzte den Blinker. Es war ihm anzusehen, dass er müde war. Es war zwar Samstag, aber da sie in Mannheim vor der Party noch einen größeren Ausflug gemacht hatten und ausschließlich er fuhr, war es verständlich, dass er fertig war. Isabelle hatte zwar auch einen Führerschein, fuhr aber nicht oft. Sie brauchte, da sie direkt in Calw arbeitete, ihren Volvo nur selten, während Jonas als Pendler auf sein Auto angewiesen war und sie daher zwei Wagen hatten.

Sie erreichten den winzigen Parkplatz, der außer zwei Holzbänken und einem kleinen, herunter gekommenem Toilettenhäuschen nicht viel hergab. Jonas parkte seinen Van direkt auf dem nächstgelegenen Parkplatz. Außer ihnen beiden schien sonst niemand hier zu sein. „Ich warte hier“, meinte Jonas. „Ok." Isabelle stieg aus. Eisige Luft schlug ihr entgegen. Ihr braunes, schulterlanges Haar flatterte stark im Wind, weshalb sie die Kapuze aufsetzte und ihren Schritt beschleunigte. Es war richtig ekliges Wetter. Sie konnte es Jonas nicht verübeln, dass er im geheizten Wagen wartete. Sie fröstelte und schlang ihren Mantel enger um sich.

Das Toilettenhäuschen war nur schwach beleuchtet. Sie schaute zur Tür an der Vorderseite, aber da dort nur ein Herrenzeichen abgebildet war, musste sich die Damentoilette wohl auf der anderen Seite befinden. Sie ging um das Gebäude herum und betrat das schäbige Häuschen.

Es stank widerlich und überall auf dem Boden war Klopapier verteilt, mit undefinierbaren Flecken darauf. Selbst der Spiegel über dem Waschbecken und an der Wand war mit Graffiti beschmiert. Sie hielt sich die Nase zu und drückte die Klinke herunter. Da diese klemmte, nahm sie die andere Tür und setzte sich, was angesichts des Zustandes der Toilettenschüssel, einiges an Überwindung kostete. Wurde die Toilette eigentlich jemals gereinigt?, fragte sie sich. In dem Moment vernahm sie ein schabendes Geräusch. Was war das? Sie horchte auf, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Das Geräusch kam von der Toilette neben ihr und hörte sich an, als säße dort jemand. Aber das konnte nicht sein. Der Parkplatz war komplett leer gewesen, als Jonas und sie ihn anfuhren. Sie hielt den Atem an.

Erneut das schabende Geräusch, gefolgt von einem Husten. Es gab kein Zweifel. Da war jemand in der Toilette neben ihr. Sie war davon ausgegangen, dass der Griff klemmte, aber das tat er nicht, die Tür war verschlossen gewesen. „Hallo?“, fragte sie laut. Keine Antwort. Sie ermahnte sich zur Ruhe. Sie war hier in zwei Minuten draußen. Jonas parkte nur ein paar Meter von dem Toilettenhäuschen entfernt. Plötzlich hörte sie, wie die Person neben ihr an die Toilettenwand hämmerte und Geräusche von sich gab, die nach dem Öffnen einer Gürtelschnalle klangen, gefolgt von einem unverständlichen Murmeln. Es war ein Mann. Sie war sich absolut sicher. War das nur ein harmloser Obdachloser, der in seinem Zustand nicht begriff, dass er in der falschen Toilette war? Oder war es jemand anderes? Jemand, der nur darauf gewartet hatte, dass eine Frau völlig alleine die Toilette betrat? Ein Perverser etwa? Ihr war das Verhalten unheimlich. Sie wollte nur so schnell wie möglich raus hier. Isabelle stand auf und betätigte den Spülknopf. Nichts passierte. Das gibt es doch nicht, dachte sie unruhig. Sie probierte es noch einmal, aber da wieder nur ein paar kleine Wassertropfen kamen, beschloss sie, es sein zu lassen und so schnell wie möglich zum Auto zurückzugehen, bevor der Unbekannte seine Kabine verließ. Sie schloss die Tür auf und durchquerte zügig die Toilette. In dem Moment hörte sie ein Klacken. Der Kerl in der anderen Kabine hatte jetzt ebenfalls das Schloss entriegelt. Er riss die Tür auf und stürmte aus der Kabine. Isabelle wollte schreien, brachte aber keinen Laut hervor. Der Kerl war riesig. Er hatte einen Rauschebart, seine schwarzen Haare waren völlig zerzaust und ungepflegt. Sein Gesichtsausdruck wirkte aggressiv. Er trug lediglich ein zerrissenes, kariertes Hemd und keine Hose. Seine Füße steckten in durchlöcherten Socken. In der rechten Hand hielt er eine halbvolle Wodkaflasche, seine linke war in seiner Unterhose, relativ eindeutig, was er gerade dabei war, in der Toilette zu tun. Oh mein Gott, dachte sie entsetzt und rannte los.

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