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ОглавлениеJulia drehte langsam den Kopf und schrie auf. Eine hässliche Clownsfratze, mit einem unheimlichen Grinsen, stand direkt vor ihrem Fenster und starrte sie an. Die Gestalt mit der Maske war schmal und recht klein. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Auch Julia war nicht imstande sich zu rühren. Voller Panik starrte sie die Person an, die mitten in der Nacht bei ihr auf dem Grundstück stand. Sie wollte Hilfe holen, los rennen, zum Telefon stürzen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht.
Reglos verharrte sie in der aufrechten Position und weder sie, noch die Gestalt am Fenster bewegten sich. Erst, als die Clownsmaske den Kopf leicht nach links und dann nach rechts bewegte, wurde ihr Verstand wieder aktiv. Julia stürzte los. Völlig panisch rannte sie los, die auf der Kante stehende Teetasse fiel mit einem schellenden Geräusch vom Tisch und zerbrach. Julia raste zu ihrem Festnetztelefon, immer damit rechnend, das Geräusch von zerbrechendem Glas hinter sich zu hören, und wählte hastig den Notruf. Während das Freizeichen ertönte, drehte sie sich um. Die Gestalt hatte ihr nachgesehen und drehte sich jetzt um, als wolle sie gehen. Julia hatte sie erkannt. Das schwarze Kapuzensweatshirt, das über der Maske hervorragte, war unverkennbar. Es war die gleiche Gestalt, die sie jetzt bereits zwei Mal innerhalb kürzester Zeit gesehen hatte und die sie offenbar verfolgte. Ihr Herz raste wie verrückt. „Notrufzentrale, welchen Notfall möchten Sie melden?“, hörte sie eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Ja hallo, hier Julia Reißen“, stammelte sie, während sie beobachtete, wie die Gestalt zum Gartentor ging und ihr Grundstück, ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ. „Brauchen Sie Hilfe?“, fragte die Person am anderen Ende. Julia schüttelte den Kopf, was der Angerufene natürlich nicht sehen konnte und sagte: „Es hat sich erledigt.“ Damit legte sie auf. Sie atmete tief durch. Ihr Herz raste immer noch. Der Anblick hatte sie völlig in Panik versetzt. Julia nahm erneut das Telefon zur Hand und wählte die Nummer von ihrem Freund. Es ging nur die Mobilbox an. „Verdammt“, fluchte sie und schmetterte das Telefon zurück auf den Tisch. Sie hätte jetzt so gern mit ihm gesprochen. Julia blickte auf die Wanduhr. Kurz vor zwölf. Martin schlief wahrscheinlich schon. Wieso hatte sie den Notruf abgewimmelt, fragte sie sich. Es wäre ihr bestimmt eine Erleichterung gewesen, wenn sie jetzt mit jemandem hätte sprechen können. Und diesmal war es definitiv nicht überzogen gewesen. Die Gestalt mit der Clownsmaske hatte sich auf ihrem Grundstück herumgetrieben. Er hatte sie beobachtet, hatte direkt vor ihrem Fenster gestanden. Beziehungsweise, was heißt er?, überlegte sie nun, während sie sich langsam wieder beruhigte. Die schlanke Figur, die geringe Größe und die Art, wie sich die Person bewegte, deuteten eigentlich eher auf eine Frau als auf einen Mann hin. Das war ihr schon das letzte Mal aufgefallen. Konnte es sich bei dem Stalker um eine Frau handeln? Sicher war sie sich nicht. Aber selbst wenn, was wollte sie von ihr? Zu Halloween waren Verkleidungen zwar normal, aber um einen dummen Streich von Kindern handelte es sich hierbei ganz offensichtlich nicht. Und schon gar nicht um diese Uhrzeit. Die meisten waren sicher längst im Bett. Außerdem klopften die an die Tür und schlichen nicht durch Hintergärten.
Einen Moment stand sie nur da und sah aus dem Fenster, noch immer besorgt, die Gestalt könne wieder vor ihrem Fenster auftauchen. Sie ging ins Wohnzimmer, wo sie mit ihrem Fuß auf etwas Nasses trat. Julia blickte hinunter. Die umgeworfene Tasse war zerbrochen, die gelbe Flüssigkeit bedeckte den Fußboden. Julia schaltete den Fernseher aus und ging zurück in die Küche, um aus dem großen Küchenschrank einen Lappen, Kehrschaufel und dazugehörigen Besen zu holen. Sie wischte alles sauber und entsorgte die Scherben im Abfalleimer. Dann ging sie wieder ins Wohnzimmer.
Es war jetzt völlig still. Außer dem Ticken der Uhr war nichts zu hören. Es war ihr unheimlich. Sie schaltete das Radio ein, wo irgendein ihr unbekannter Song lief und ließ den Rollladen für das Fenster hinunter. Danach zog sie die Jalousien zu. Sie überprüfte jedes Fenster, schloss die Tür ab, was sie normalerweise nicht tat, und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen.
In dieser Nacht fand sie keinen Schlaf. Sie hatte zwar schon die letzten Nächte sehr wenig geschlafen, aber jetzt stand sie unter Hochspannung. Der Wind rüttelte an den Rollläden, was sie jedes Mal aufschrecken ließ. Bei jedem Geräusch öffnete sie die Augen und knipste die Lampe neben ihrem Bett an. Ihr Schlafzimmer lag im oberen Stockwerk. Die Treppe hatte sie von hier aus im Blick. Sie stand mehrmals auf, ging die Treppe hinunter und kontrollierte nochmals alle Fenster und Türen, ob sie auch wirklich sicher verschlossen waren und niemand sich daran zu schaffen machte.
Irgendwann gegen kurz vor sieben stand sie schließlich auf. Es machte keinen Sinn mehr. Sie hatte sich zwar wieder etwas beruhigt, aber das Bild der Gestalt mit der Clownsmaske, direkt vor ihrem Fenster, hatte sich in ihren Kopf gebrannt. Als sie die Jalousien aufmachte und den Rollladen hoch zog, war alles ganz normal. Draußen wurde es bereits hell. Der Garten sah genauso aus wie gestern Abend, nur dass der Wind nachgelassen hatte. An diesem ruhigen Sonntagmorgen kam ihr die Szene von gestern Abend völlig unwirklich vor. Die Gestalt direkt vor ihrem Fenster. Ihr panischer Anruf bei der Notrufzentrale. Vielleicht war es das einzige Ziel des Unbekannten, sie zu verängstigen. Aber wozu? Und warum verfolgte die Gestalt sie? Es war ihr ein Rätsel. Sie würde mit Martin später auf jeden Fall darüber reden. Mal sehen, was er vorschlug. Sie hielt den Teekocher unter den Wasserhahn und schaltete ihn ein. Dann ging sie wieder zum Fenster. Draußen war Sonntagmorgens niemand zu sehen. Es war immer noch trüb und grau, aber zum Glück hatte der Wind nachgelassen. Sie sah den großen Busch, der jetzt still im Garten stand, den großen Baum und den Zaun sowie die Straße und das Nachbarhaus auf der anderen Seite.
Julia öffnete die Terrassentür und schauderte bei der eiskalten Luft, die in die Wohnung strömte. Sie ließ die Tür einen Moment zum Lüften offen und ging wieder in die Küche.
Nachdem sie gefrühstückt und sich angezogen hatte, würde sie sich nochmal hinlegen und ein paar Stunden Schlaf nachholen, bis ihr Freund kam, was jetzt nicht mehr lange dauern konnte.
In dem Moment klingelte ihr Handy. Die Nummer auf dem Display entspannte sie. „Martin?“ „Guten Morgen“, sagte er gutgelaunt. „Morgen“, sagte sie und merkte, dass sie noch immer etwas angespannt klang. „Ist alles ok bei dir?“, fragte er besorgt. „Ich habe gesehen, du hast gestern Abend noch ziemlich spät angerufen. Ich war schon im Bett, du hast dich gestern schon nicht gut angehört. Was ist los?“ „Ich“, begann Julia aber dachte, die paar Stunden würde sie jetzt auch noch aushalten. „Wir reden später“, sagte sie. „Sicher?“ „Ja, ist schon ok“, sagte sie betont lässig. „Ich erzähle es dir nachher.“ „In Ordnung“, meinte Martin. „Ich bin schon auf dem Weg zum Bahnhof. Der Zug geht in 20 min, also wenn alles glatt läuft, bin ich kurz nach eins da.“ „Schön“, sagte sie, auch wenn es ihr noch ziemlich lang bis dahin vorkam. „Dann bis später.“ „Bis dann“, sagte er und legte auf. Julia legte ihr Handy zurück auf ihren Schreibtisch, zog ihre Kleidung wieder aus und legte sich ins Bett. Martins Stimme zu hören, hatte sie beruhigt. Bis dahin konnte sie sich noch etwas von der Nacht erholen. Sie zog die Decke eng an sich und schlief sofort ein.