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ОглавлениеJulia war auf dem Weg nach Hause. Sie fühlte sich wieder etwas besser. Sie hatte sich am Wochenende, als Martin gekommen war, lange mit ihm unterhalten. Er hatte ihr aufmerksam zugehört und sehr verständnisvoll reagiert. Die Tatsache, dass die Gestalt plötzlich bei Julia im Garten stand, schien auch ihn zu beunruhigen. Er hatte ihr geraten, das nächste Mal sofort die Polizei zu rufen, und falls der Kerl dann noch irgendwo in der Gegend herum streunte, würden sie ihn fassen.
Das Gespräch hatte sie beruhigt. Sie würde sich von der Gestalt nicht ins Boxhorn jagen lassen. Sie hatte es zwar geschafft, ihr ordentlich Angst einzujagen, aber damit war jetzt Schluss.
Julia hatte heute früher Feierabend und war mit der Bahn unterwegs nach Hause. Sie arbeitete in der Nähe von Esslingen und fuhr jeden Tag von Vaihingen nach Esslingen und zurück. Das trübe und nasskalte Wetter war einem schönen und sonnigen Novembertag gewichen. Die langen Weinberghänge, an denen sie vorbeifuhr, leuchteten um diese Jahreszeit in allen Farben und erstreckten sich von Esslingen fast bis zum Neckarpark. Sie mochte die Fahrt, auch wenn sie die Strecke schon so oft gefahren war. Die Landschaft war einfach schön.
Ihr Freund Martin hatte auch diese Woche wieder eine Konferenz außerhalb von Stuttgart und würde erst am Freitag zurückkommen. Es war schade, dass sie ihn zurzeit so selten zu Gesicht bekam. Daher genoss Julia die Zeit mit ihm. Er war nicht immer so oft unterwegs. Nur diesen Monat hatten sie in der Firma viele Aufträge mit Großkunden und er musste sich dementsprechend anpassen. Zumindest das Wochenende hatten sie für sich.
Am Bahnhof in Vaihingen war es um diese Uhrzeit voll. Jede Menge Erwerbstätige waren auf dem Weg nach Hause und unterwegs in Richtung Innenstadt. Julia arbeitete in einer Bankfiliale. Dort hatte sie ein eigenes Büro und musste nur selten, eigentlich nur in Krankheitsvertretung, vorne am Schalter stehen. In der Regel machte sie Kundenberatung von Kreditvergabe bis Abschluss einer privaten Altersvorsorge. Julia arbeitete schon mehrere Jahre dort und war, im Gegensatz zu ihrer letzten Stelle, sehr zufrieden. Das Betriebsklima war gut und sie konnte sich ihre Arbeitszeiten frei einteilen. Bei ihrer letzten Stelle hatte sie immer wieder Ärger mit dem Chef gehabt, der sie scheinbar grundlos auf dem Kieker hatte. Er ließ sie permanent Überstunden machen, Arbeiten, für die sie überqualifiziert war, und sobald sich irgendwo ein Fehler einschlich, nutzte er das, sie herunter zu putzen. Ein richtig unangenehmer Typ. Julia war dort etwa ein halbes Jahr geblieben, dann hatte sie es nicht mehr ausgehalten und sich eine neue Stelle gesucht. Auch die Bezahlung war jetzt wesentlich besser. Sie musste dafür zwar einen längeren Anfahrtsweg in Kauf nehmen, aber das war ok.
Julia drängte sich an dem Menschenpulk am Bahnsteig vorbei und ging durch die Unterführung. Sie verließ den Bahnhof und ging am ZOB vorbei in Richtung ihrer Straße. Während der Bahnhof sehr stark frequentiert war, befand sich ihre Wohnung in einer ruhigeren Gegend. Sie wohnte nur etwa zehn Minuten vom Bahnhof entfernt und war von daher perfekt an Bahn und Bus angebunden. Das Haus war zwar aufgrund seiner zentralen Lage sehr teuer und noch nicht abbezahlt, aber zusammen mit Martin würde sie es in den nächsten fünf Jahren gestemmt haben. Sie überquerte die Straße und ging an der kleinen Grünanlage vorbei.
Das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, war trotz des Vorfalls am Wochenende nicht mehr da. Julia beäugte die Menschen, die ringsherum an ihr vorbei gingen. Keiner schien sie besonders zu beachten oder zu beobachten. Nirgendwo stand eine dunkle Gestalt, die sie anstarrte oder sie verfolgte. Gut möglich, dass es an dem veränderten Wetter lag. Der blaue, wolkenlose Himmel, der sich um diese Zeit bereits orangerot verfärbte, und der strahlende Sonnenschein hatten ihre Stimmung merklich verbessert. An diesen grauen, trostlosen Tagen war ihre Motivation und Laune oft im Keller. Es war einfach ein ganz anderes Gefühl, morgens aufzustehen, wenn das Sonnenlicht durch die Vorhänge herein schien und das ganze Haus hell beleuchtete. Julia wusste, dass würde sich bald ändern, da es immer später hell wurde. Es würde dunkel sein, wenn sie morgens aufstand, wenn auch nur für ein kurzen Zeitraum, weil sie nie vor 9 Uhr in der Bank anfing und dafür abends lieber etwas länger blieb. Heute war eine Ausnahme. Sie hatte einiges an Überstunden angesammelt und nutzte die Gelegenheit diese abzubauen, da kaum etwas los war und sie nur wenige Gespräche hatte.
Daheim angekommen stellte sie sich direkt unter die Dusche und zog sich um. Sie ging in die Küche und begann die Lebensmittel, die sie heute Abend zubereiten wollte, aus dem Kühlschrank zu nehmen, als es an der Tür klingelte. Julia schloss ihn und ging zur Tür.
Sie warf einen kurzen Blick durch das Seitenfenster, das ihr verriet, dass eine gelb-schwarz gekleidete Gestalt mit Cappy vor ihrer Tür stand. Vermutlich jemand von DHL. Sie hatte ihre Buchsendung bereits Ende letzte Woche erwartet. Julia wollte das Buch zwar eigentlich direkt im Laden kaufen, aber da es dort nicht verfügbar war, hatte sie beschlossen, es online zu bestellen.
Julia öffnete die Tür und begrüßte den Postboten, der ihr, ohne den Gruß zu erwidern, ein Paket in die Hand drückte und in seine Tasche griff. Sie nahm das Paket entgegen und stutzte. Das Paket wog so gut wie nichts. Was immer darin war, es war definitiv nicht das bestellte Buch, denn dafür war es viel zu leicht. Julia sah aus dem kleinen rechteckigen Paket einen kleinen weißen Zettel herausragen. Sie zog ihn heraus und las, was in roter Schrift darauf geschrieben stand. „Was zum Teufel soll das...?“, begann sie den Satz, brach jedoch abrupt ab, als sie sah, was der Postbote aus seiner Tasche geholt hatte. Vor Schreck ließ sie Paket und Zettel fallen, als er ihr eine Pistole direkt vor den Kopf hielt.
Julia wich entsetzt einen Schritt zurück. Erst jetzt sah sie die Augen des Postboten, die zuvor von der Cappy verdeckt gewesen waren. Sie nahm die kleine, schlanke Gestalt wahr und realisierte, wem sie da soeben die Tür geöffnet hatte. In diesem Moment wurde ihr bewusst, sie hatte einen fürchterlichen Fehler gemacht. Der Zettel war mit der beschrifteten Seite nach oben auf dem Boden gelandet und zeigte den Schriftzug, der darauf gekrakelt war:
Spiel mit mir!