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Markus Kern und Kathrin Klein gingen an diesem leicht verregneten Donnerstag durch den Vorgarten von Frau Anneliese Thäler, der Ehefrau des Opfers, um sie erneut aufzusuchen. Wie der Kollege berichtete, war sie verständlicherweise beim ersten Mal nicht in der Lage, sachdienliche Hinweise zu liefern. Dieses Mal hofften sie, ein paar brauchbare Informationen zu erhalten. Die Obduktion der Leiche hatte keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gebracht. Nur, dass das Opfer mit einer Pistole, Kaliber 9 mm, aus nächster Nähe erschossen wurde. Das war ihnen bereits bekannt. Das Kaliber war nichts Besonderes. Eine Waffe mit einem solchen Kaliber ließ sich problemlos auf dem Schwarzmarkt besorgen. Robert Thäler war binnen weniger Sekunden tot. Der Todeszeitpunkt, auf den sich der Gerichtsmediziner festlegte, stimmte in etwa mit dem Zeitpunkt überein, zu dem die Nachbarn den Schuss hörten.

Das Handy des Verstorbenen wurde von der IT-Abteilung unter die Lupe genommen. Offenbar hatte Robert Thäler kurz vor seinem Tod eine Whatsapp-Nachricht an seine Frau geschickt, um ihr mitzuteilen, dass er jetzt nach Hause komme. Weitere Anrufe gingen an Freunde und Arbeitskollegen. Die unbekannten Nummern wurden noch überprüft.

Kern ging die kurze Steintreppe zur Wohnungstür hoch und klingelte. „Wirklich schöne Wohngegend hier“, meinte Kathrin, während sie sich umsah. „Vermutlich nicht der Ort, wo man eine solche Bluttat erwartet.“ „Kann mich auch nicht erinnern, dass wir hier schon mal einen ähnlichen Fall hatten“, entgegnete Kern. „Außer einigen Wohnungseinbrüchen ist das hier eine eher sichere Gegend.“

Frau Thäler öffnete die Tür. Kern und Kathrin zeigten ihren Dienstausweis vor. „Kripo Stuttgart. Mein Name ist Markus Kern und das ist meine Kollegin, Frau Klein. Unser Beileid zum Verlust Ihres Mannes. Dürfen wir kurz reinkommen?“ Frau Thäler trat beiseite und ließ sie herein. Sie wirkte sichtlich bemüht, die Fassung zu bewahren. Ihre Augen waren gerötet und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. „Wo sind Ihre Kinder?“, fragte Kathrin, nachdem sie das Wohnzimmer betreten hatte. „Ich hab sie zur Schule gefahren. Sie sind noch zu klein, um all das zu begreifen. Sie verstehen nicht, was mit ihrem Vater passiert ist. Ich versuche, es ihnen so schonend wie möglich beizubringen.“ Sie schniefte. „Wie alt sind Ihre Kinder?“, frage Kathrin weiter. „Der Ältere ist acht, der Jüngere sechs und gerade erst eingeschult worden. Meine Mutter holt sie von der Schule ab und bringt sie dann später her.“ „Dann sind Sie hier fast den ganzen Tag allein?“, fragte Kathrin besorgt. „Ich wollte es so“, entgegnete Frau Thäler. „Ich brauche im Moment einfach etwas Zeit für mich, um das alles zu verarbeiten.“ Die Kriminalbeamten nickten.

„Also, was kann ich für Sie tun?“, fragte Frau Thäler.

„Frau Thäler, Sie hatten bereits mit meinem Kollegen gesprochen, um möglicherweise etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wir wollten einfach nochmal ein paar Dinge nachfragen, um sicher zu stellen, dass wir nichts übersehen haben“, schaltete sich Kern ein. „Wann hatten Sie zum letzten Mal Kontakt mit Ihrem Mann?“ „Bitte nehmen Sie erst mal Platz“, bot Frau Thäler den beiden Kommissaren an und zeigte auf die weiße Ledercouch, die gegenüber dem Fernseher stand. Oberhalb des Fernsehers befand sich ein hölzernes Regal, das gerahmte Fotografien der Familie Thäler aus glücklicheren Zeiten zeigte. Auf dem vordersten Foto waren Herr und Frau Thäler zusammen mit ihren beiden Kindern im Strandurlaub zu sehen. Robert Thäler hielt seine Frau im Arm, die beiden Kinder lagen im Sand. Dahinter war je ein Foto der beiden Jungen bei der Einschulung zu sehen. Beide grinsten und hielten eine Schultüte, deutlich größer als sie selbst, in der Hand. Kern, der die Fotos betrachtet hatte, lächelte und setzte sich mit seiner Kollegin schräg gegenüber von Frau Thäler.

„Er schickte mir gegen 22.30 Uhr eine Nachricht, dass er jetzt Schluss machen konnte und in einer halben Stunde daheim sei“, beantwortete Frau Thäler die Frage. „Er war wohl offensichtlich gerade aus dem Büro gegangen und wollte nur kurz Bescheid geben. Ich habe die Nachricht gelesen und dachte, ich muss mir keine Sorgen machen. Er ist gleich daheim“, sagte Frau Thäler. Ihre Stimme hatte zu zittern begonnen und sie kämpfte gegen die Tränen an. „Frau Thäler“, sagte Kathrin vorsichtig. „War es normal, dass Ihr Mann so spät nach Hause kam?“ Frau Thäler nickte. „Wir sind erst am Wochenende nach einer Woche Ägypten zurückgekommen, und die erste Woche nach dem Urlaub hat er immer mit einem Berg Arbeit zu kämpfen. Er mag es nicht, wenn alles liegen bleibt“, schluchzte Frau Thäler. Kathrin reichte ihr ein Taschentuch und wartete, bis Frau Thäler sich die Nase geputzt hatte.

„Hat Ihr Mann die Woche vor Ihrem Urlaub irgendwas erwähnt, dass er sich beobachtet fühlt oder ähnliches?“, fragte Kern. „Nein, nichts“, sagte Frau Thäler, die erneut mit den Tränen kämpfte. „Es war alles wie immer, nichts Ungewöhnliches.“ „Hatte Ihr Mann Feinde?“ Frau Thäler schüttelte abermals den Kopf. „Mein Mann war stets freundlich und respektvoll, sowohl gegenüber Kunden als auch gegenüber Kollegen und Freunden. Es ist für mich völlig unbegreiflich, wie ihm jemand so etwas antun kann. Wer tut so etwas Schreckliches nur?“, richtete Frau Thäler die Frage an die beiden Kommissare. „Ich begreife es nicht.“ Die beiden Kriminalbeamten blickten zu Boden. „Genau das versuchen wir herauszufinden“, sagte Markus Kern und sah wieder auf. Er holte ein Foto aus seiner Jackentasche und überreichte es Frau Thäler.

„Sagt Ihnen die Botschaft irgendetwas?“ Frau Thäler betrachtete das Foto und runzelte die Stirn. „Was ist das?“, fragte sie. „Wir hatten gehofft, Sie könnten uns das sagen. Der Täter hat am Tatort mit roter Farbe die Nachricht „Spiel mit mir“ auf einer Hauswand hinterlassen. Können Sie das irgendwie zuordnen?“

Frau Thäler schüttelte den Kopf und gab Kern das Foto zurück.

„Sagt mir gar nichts.“ „Wann ist Ihnen aufgefallen, dass ihr Mann nicht nach Hause kam?“ „Gar nicht“, sagte Frau Thäler traurig. „Ihre Kollegen haben mich geweckt, eine halbe Stunde bevor der Wecker klingelte und ich die Kinder zur Schule hätte bringen müssen. Ich muss, nachdem ich die Whatsapp-Nachricht gelesen habe, eingeschlafen sein. Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Bett.“ „Verstehe“, sagte Kern. „Dann haben Sie auch den Schuss eine Viertelstunde später nicht mehr gehört?“ „Nein“, sagte Frau Thäler kopfschüttelnd. „Ich habe nichts mitbekommen.“ Kern sah seine Kollegin an und sie erhoben sich. „Ich lasse Ihnen meine Karte da. Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen, Sie können mich jederzeit anrufen.“ Frau Thäler nickte geistesabwesend. Einen Moment standen Kern und Klein unschlüssig im Raum. „Können wir noch irgendetwas für Sie tun?“ „Nein, vielen Dank“, sagte Frau Thäler nach einem Moment und starrte wieder auf den Boden. „Wir finden allein raus. Danke für Ihre Hilfe.“

Kern und seine Kollegin verließen das Haus und schlossen die Wohnungstür hinter sich, während sie erneut durch den Vorgarten gingen. „Die Arme“, meinte Kathrin. „Es muss furchtbar für sie sein, zumal sie auch ihren Kindern irgendwie erklären muss, was passiert ist.“ „Jedenfalls scheint sie tatsächlich völlig ahnungslos gewesen zu sein,“ kam von Kern. „Leider hat Frau Thäler im Prinzip nur bestätigt, was uns bereits die Kollegen sagten. Keine Feinde, keine ungewöhnlichen Vorkommnisse, nichts. Wenn Robert Thäler tatsächlich über einen längeren Zeitraum von seinem Mörder observiert wurde, dann hat er entweder nichts davon mitbekommen oder nichts gesagt. Mich irritiert der Urlaub. Hat der Täter gewusst, dass sein Opfer für eine Woche weg sein würde, oder hat er einfach abgewartet und gehofft, er kommt wieder?“ „Keine Ahnung“, Kathrin schüttelte den Kopf. „Wenn der Täter nicht aus dem näheren Umfeld des Opfers kam, kann er es kaum gewusst haben. Jedenfalls schien ihm sein Vorhaben wichtig genug zu sein, um den richtigen Moment abzuwarten. Und gegen ein Zufallsopfer spricht die Botschaft an der Wand. Unwahrscheinlich, dass Herr Thäler mitten in der Nacht in einer dunklen Gasse zufällig einem Mörder über den Weg läuft.“ „Ja, das halte ich auch für abwegig“, meinte Kern. „Wir können es aber nicht völlig ausschließen.“ Kern öffnete die Tür seines schwarzen BMW, den er direkt vor dem Haus der Familie Thäler geparkt hatte, und stieg, gefolgt von Kathrin, ein. „Sehr mysteriös.“ Kern schaute durch das Fenster zum Haus. „Spiel mit mir“, sagte er nachdenklich. Die Botschaft, die der Täter an der Wand hinterlassen hatte. „Was soll das nur bedeuten?“

In dem Moment, als Kern den Motor starten wollte, klingelte sein Handy. „Kern?“ Es war Oliver Ziegler. „Chef, ich war soeben bei dem Immobilienbüro, wo Herr Thäler arbeitete. Laut der Stempeluhr hat er um 22.25 Uhr ausgecheckt. Er war der Letzte im Büro. Es gibt leider keine Aufzeichnungen oder Überwachungskamera. Der Letzte, der ihn lebend gesehen hat, war vermutlich ein Kollege, der das Büro allerdings bereits um 19 Uhr verließ.“ „Ist ihm irgendetwas aufgefallen?“, wollte Kern wissen. „Leider nein. Herr Thäler blieb offenbar öfters länger im Büro, was an diesem Abend, angesichts der Arbeit, die sich bei ihm nach dem Urlaub angesammelt hatte, kein Wunder war. Seine Kollegen zeigten sich sehr bestürzt. Offenbar hatte Herr Thäler ein gutes Verhältnis sowohl zu den Kollegen als auch zu seinen Vorgesetzten.“

Zu allen nett, freundlich und anständig, und trotzdem liegt er jetzt tot in der Obduktionshalle, dachte sich Kern, sprach es aber nicht laut aus. „Danke für die Info. Wir fahren jetzt zurück.“ Er beendete das Telefonat. „Und?“, Kathrin sah ihn erwartungsvoll an. „Bei der Arbeit die erwartete Reaktion. Allerdings nichts wirklich Neues. Sieht auf den ersten Blick nicht so aus, als käme der Mörder tatsächlich aus dem näheren Umfeld.“

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