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Marianne Steiner holte die Kanne aus der Kaffeemaschine und schenkte sich eine Tasse ein. Sie liebte heißen Kaffee. Sie brauchte ihn. Er war ihr morgendlicher Rausch. Ohne ihn ging gar nichts. Sie holte eine Scheibe Brot aus der Küche, platzierte sie auf ihrem Teller und legte eine Scheibe Käse drauf. Sie musste sich stärken. Sie wusste, es würde heute ein langer Abend werden. Marianne hatte Spätschicht im Krankenhaus, die oft in die Nacht hinein ging. Insbesondere dann, wenn es, wie in der Woche zuvor, wieder mehrere Notfälle gab. Das kam gerade bei den älteren Patienten, die sie betreute, häufiger vor. Erst kürzlich war Herr Adams bei dem Versuch, die nächtliche Zimmertoilette aufzusuchen, gestürzt und konnte sich nicht aus eigener Kraft wieder selbständig hochrappeln. Kein Wunder, bei achtzig Jahren und Rollator. Eigentlich dürfte so etwas gar nicht passieren. Sie hatten ihre Patienten immer wieder eingeschworen, kurz den Piepser direkt neben ihrem Bett zu nutzen, wenn sie nachts zur Toilette mussten, dann würde jemand kommen, um ihnen zu helfen. Doch einige Patienten - dazu zählte auch Herr Adams - waren stur und versuchten es lieber selbst. Er hatte zwar den Rollator, doch das half nachts, ohne Licht, nicht wirklich viel. Herr Adams konnte von Glück reden, dass er schnell gefunden wurde und sich nicht ernsthaft verletzt hatte oder etwas gebrochen war, was bei einem Sturz in seinem Alter schon fast einem Wunder glich. Zumal es nicht das erste Mal war und, wie Marianne befürchtete, auch nicht das letzte Mal.

Sie öffnete die Wohnungstür und ging das Treppenhaus hinunter, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu fischen. Wieder oben angekommen, legte sie sie auf den Tisch und überflog die Titelseite, während sie langsam an ihrem Kaffee nippte. Elf Uhr war eine ziemlich späte Zeit fürs Frühstück aber da sie diese Woche jede Nacht Spätschicht gehabt hatte, unvermeidbar. Sie brauchte ihren Schönheitsschlaf und mindestens drei Tassen Kaffee morgens, sonst war sie den ganzen Tag über brummig. Der Politikteil enthielt nichts wesentlich Neues, was sie nicht bereits gestern Abend in den Nachrichten gesehen und sie besonders interessierte hätte. Sie selbst würde keine Zeitung abonnieren, aber ihr Mann bestand darauf. Sobald er nach Hause kam, musste sie los, und das Erste was er tat, war die Zeitung aufzuschlagen. Es schien sein heißbegehrtes Hobby zu sein. Was ihn daran faszinierte, war ihr nicht so ganz klar. Während sie im Wirtschaftsteil den Artikel über Geldstrafen wegen illegaler Absprachen einiger Automobilzulieferer las, vibrierte ihr Smartphone.

Marianne stand auf und ging hinüber ins Schlafzimmer, wo sie es gestern Abend abgelegt hatte. Sie öffnete Whatsapp und fand eine Nachricht von ihrem Mann mit „Restaurant gebucht. Uhrzeit wie gehabt.“ Sie lächelte. Dieses Wochenende hatte sie frei und würde mit ihrem Ehemann Timo Samstagabend ins Steakhaus gehen, wo es ihrer beider Meinung nach das beste Lammsteak überhaupt gab. Sie gingen in das Steakhaus nur zu besonderen Anlässen, wie beispielsweise seine Beförderung zum Abteilungsleiter letzte Woche. Marianne freute sich für Timo. Er hatte hart dafür gekämpft. Wochenweise und monatsweise war Timo bereit gewesen, Überstunden zu machen, hatte an sämtlichen Konferenzen teilgenommen und weitergearbeitet, kaum dass er daheim war, ohne sich je zu beschweren. Sie war stolz auf ihn. Wenn jemand die Beförderung verdient hatte, dann Timo. Er war vorige Woche abends nach Hause gekommen und berichtete ganz begeistert davon. Es war natürlich keine völlige Überraschung. Sein Chef hatte ihm schon vorab zugesichert, wenn er sich weiter so reinhinge, sei ihm die Stelle sicher, aber nun, da es offiziell verkündet wurde, war er überglücklich. Letztes Wochenende hatten sie leider beide nicht die Zeit gefunden, das gebührend zu feiern. Daher wollten sie es sich am Samstagabend gemeinsam richtig gut gehen lassen. Marianne schickte ihm einen Kusssmiley, schrieb „Freu mich“ und ging wieder in die Küche. Sie räumte die Teller in die Spüle, verstaute das Brot im Brotschrank und schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein. Kaum, dass sie sich gesetzt hatte, hörte sie erneut den Klingelton ihres Smartphones.

Diesmal war es allerdings ein Anruf. Das Display zeigte eine ihr bekannte Nummer. „Marianne Steiner“, meldete sie sich. „Hallo Mari“, meldete sich eine fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Es war ihre Freundin Lydia Gabler. Ihre Freundinnen nannten sie alle Mari.

Marianne meldete sich nur höflichkeitshalber mit vollem Namen, obwohl Mari ihr auch wesentlich lieber war. „Hey Lydia“, sagte sie, ebenfalls erfreut.

„Wie geht's dir?“, wollte Lydia wissen. Lydia und sie kannten sich von der Konditorei, ein paar Blocks entfernt. Marianne hatte dort ein Brot fürs Abendessen gekauft, aber vergessen, vorab Bargeld abzuheben. Sie zahlte selten bar, da sie überall, wo sie sonst einkaufte, auch mit Karte zahlen konnte. In der Konditorei allerdings nicht. Die Verkäuferin hatte das Brot eingepackt und ihr den Betrag genannt. Erst in diesem Moment stellte Marianne beim Blick in ihr Portemonnaie erschrocken fest, dass sie nur noch ein paar Cent dabei hatten. Verdammt, dachte sie. Jetzt musste sie extra zum Geldautomaten und anschließend nochmal hierher, um ihr Brot zu bezahlen. Die Verkäuferin sah sie grimmig an. „Kein Geld dabei?“ Die Situation war ihr äußerst peinlich. „Es tut mir leid“, fing sie an. „Ich habe leider vergessen, abzuheben.“ „Hier“, erklang eine Stimme hinter ihr und drückte ihr drei Euro in die Hand. „Dankeschön“, sagte Marianne zu ihrer hilfsbereiten Unterstützerin, die sich sehr freundlich als Lydia vorstellte und meinte, dass sei ihr schon selbst etliche Male passiert. Die Frau war ihr auf Anhieb sympathisch. Sie begleitete sie anschließend zum Geldautomaten, um ihr die ausgelegten drei Euros zurückzugeben. Marianne beschloss, da eine völlig Fremde ihr so freundlich ausgeholfen hatte, sie zu einer Tasse Kaffee einzuladen. Lydia zögerte anfangs, meinte dass das nicht nötig sei, aber ließ sich schließlich dazu überreden, doch auf eine Tasse mitzukommen. Seitdem waren sie gut befreundet und telefonierten regelmäßig miteinander. Wie sich herausstellte, verbanden sie einige gemeinsame Interessen. So teilten sie beide die Liebe zu Tieren. Marianne ritt schon seit sie ein Kind war gerne und wollte es immer mal wieder aufnehmen. Allerdings ließ ihr Job es kaum zu. Lydias Onkel hatte einen Hof in Bayern, wo sie ihn regelmäßig besuchte und dort auch reiten konnte.

Lydia hatte Marianne angeboten, sie mitzunehmen, wenn sie das nächste Mal hinfahren würde. Außerdem hatten sie beide eine Schwäche fürs Segeln. Mariannes Mann Timo besaß einen Segelschein. Vor vier Monaten hatten sie am Bodensee ein Segelboot gemietet und waren für das ganze Wochenende rausgefahren. Zwischendrin hatten sie dann den Anker ausgeworfen und waren Baden gegangen. Mit dem Wetter hatten sie im August richtig Glück gehabt. Es war ein drückend heißer Tag gewesen und zum Baden ideal geeignet. Marianne erzählte gern davon. Wie sich herausstellte, besaß auch Lydia einen Segelschein und war bereits am Bodensee und auch in anderen Gewässern zum Segeln gewesen, meistens mit ihrem Mann zusammen. Mittlerweile lebten sie allerdings getrennt und das Segeln alleine machte ihr keinen großen Spaß. Fast umgekehrt wie mit den Pferden. Darum bot ihr Marianne an, Lydia könnte sie das nächste Mal an den Bodensee begleiten, sie könnten auch gerne zu dritt segeln.

„Mir geht es ganz gut“, antwortete Marianne jetzt. „Bin gerade aufgestanden und mache mir Kaffee. Und selbst?“ „Anstrengend heute“, antwortete Lydia seufzend. „Jeder will heute irgendetwas.“ Lydia arbeitete als Verkäuferin beim H&M in der Innenstadt. Ein sehr undankbarer Job, der noch obendrein schlecht bezahlt wurde, aber Lydia arbeitete gerne im Verkauf. Sie liebte es, Kunden zu beraten und sie in ihrer Kaufentscheidung zu bestätigen. Dafür nahm sie die Arbeitszeiten und die bescheidene Bezahlung gerne in Kauf. „Mich wundert, dass du mich um diese Zeit anrufst. Telefonierst du etwa unerlaubt während der Arbeitszeit?“, zog Marianne ihre Freundin auf. „Guck mal auf die Uhr, Süße“, sagte Lydia in neckischem Ton. „Es ist kurz vor zwölf. Gleich Mittagspause. Also, gehen wir was essen?“ „Ungünstig“, Marianne musste lachen. „Ich habe, wie gesagt, gerade erst gefrühstückt.“ „Na gut“, meinte Lydia. „Dann vielleicht ein anderes Mal.“ „Klar“, munterte Marianne sie auf. „Ich lass dich nicht hängen.“ „Ich muss dann Schluss machen, sonst quatschen wir wieder meine ganze Pause durch und ich habe immer noch nichts gegessen. Wie das letzte Mal.“ Lydia spielte die Empörte. „Das will ich natürlich nicht. Also, lass es dir schmecken.“. Marianne legte schmunzelnd auf.

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