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Eine Woche war seit dem Mord an Robert Thäler vergangen. An diesem Montagmorgen betrat Markus Kern den Konferenzraum, in dem die Kriminalbeamten Kathrin Klein, Jürgen Matern und Oliver Ziegler bereits zusammen am Tischende saßen, um die zusammengetragenen Informationen zu Herrn Thäler zu besprechen.

Der Konferenzraum bestand hauptsächlich aus einem langen Tisch mit Stühlen an der Seite, dahinter befand sich ein Whiteboard, an dem ein Bild des Opfers sowie des Tatortes und der mysteriösen Nachricht hingen. Daneben ein Foto von einer Schusswaffe, mit der Herr Thäler vermutlich erschossen wurde.

„Guten Morgen alle zusammen“, grüßte Kern die Runde. „Guten Morgen“, kam von den Anwesenden zurück, die trotz eines arbeitsintensiven Wochenendes recht entspannt wirkten. Vor Ziegler lag ein Stapel Unterlagen, die er sich zusammen mit Jürgen Matern und Kathrin Klein teilte. Kern nahm gegenüber Kathrin Platz. „Hab einen Kaffee für Sie organisiert“, sagte Kathrin und schob ihm einen Becher rüber. „Danke, nett von Ihnen.“ Kern nahm den Becher entgegen und trank einen Schluck. Er musste schmunzeln. „Sie wissen schon genau, wie ich ihn mag.“ „Ist ja nicht so, dass sich das täglich ändert“, erwiderte Kathrin schmunzelnd. „Nicht wirklich.“ Kern wandte sich dem Fall zu. „Also, was haben wir?“ Ziegler, ebenfalls Kaffee schlürfend, kramte einen Zettel hervor und begann ihn zu verlesen.

„Unser Opfer, Robert Thäler, wurde im Mai 1972 in Stuttgart-West geboren. Er hatte keine Geschwister und wuchs als Einzelkind auf. Seine Eltern trennten sich, als er zehn war.

Von da an lebte er bei seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten. Er machte sein Abitur, fing zuerst an BWL zu studieren, was er allerdings nach dem zweiten Semester abbrach. Robert Thäler hatte dann gewisse Gelegenheitsjobs, während er später eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann anfing. Nach zwei Jahren machte er eine Fortbildung zum Immobilienmakler und wechselte mehrmals das Unternehmen, bis er vor vier Jahren in dem jetzigen einstieg. Vor etwa fünfzehn Jahren lernte er die heutige Frau Thäler kennen. Sie zogen zusammen, heirateten drei Jahre später und haben zwei Kinder, die heute acht und sechs Jahre alt sind.“ Ziegler machte eine Pause.

„Das war die Kurzfassung“, meinte er und sah Kern an. Dieser hatte aufmerksam zugehört, die Arme vor der Brust verschränkt. „Irgendetwas Auffälliges dabei?“ Er blickte auf. „Ja, etwas haben wir“, kam nun von seinem Kollegen. „Liegt allerdings schon etwas länger zurück. Bevor er Frau Thäler kennen lernte, war Herr Thäler mit einer gewissen Sandra Schiefer zusammen. Sie waren etwa zwei Jahre ein Paar, als die Beziehung dermaßen laut in die Brüche ging, dass die Nachbarn die Polizei gerufen haben. Offenbar hatte es eine Rangelei gegeben, bei dem es, laut Unterlagen, zu einer körperlichen Auseinandersetzung kam, nachdem ihn Frau Schiefer beschuldigte, ständig anderen Frauen hinterher zu rennen. Scheinbar war sie so sehr davon überzeugt, dass sie anfing, ihn heimlich zu beschatten und, als er Wind davon bekam, ist die Situation eskaliert und sie gingen aufeinander los.“

„Klingt nach einer äußerst eifersüchtigen Persönlichkeit, diese Frau Schiefer“, meinte Kern. „Wie ging es dann weiter?“ Ziegler schaute wieder in seine Unterlagen. „Die Polizei hat die beiden voneinander fern gehalten und Herrn Thäler, unter Aufsicht, seine Sachen packen lassen und ihn in ein Hotel gefahren. Herr Thäler hat sehr schnell eine neue Bleibe gefunden und den Kontakt zu Sandra Schiefer abgebrochen.“

„Ist sie später noch einmal in Erscheinung getreten?“, wollte Kathrin wissen, während sie an ihrem Kaffee nippte. Ziegler schüttelte den Kopf und sah nochmals seine Unterlagen durch. „Scheinbar besteht kein Kontakt mehr zwischen den Beiden.“ „Und das war wann?“, fragte Kern. „Vor etwa siebzehn Jahren. Kurze Zeit später hat er die heutige Frau Thäler kennen gelernt. Da hat es offenbar keine größeren Auseinandersetzungen gegeben. Oder zumindest keine, die ein Eingreifen der Polizei benötigt hätten“, ergänzte er. „Wir sollten dem auf jeden Fall nachgehen“, meinte Kern bestimmt. „Wohnt sie noch hier in der Gegend?“

„Ja, sie wohnt in Stuttgart-Feuerbach“, schaltete sich Matern ein, der bisher noch nichts gesagt hatte. „Sie ist wieder verheiratet, keine Kinder und lebt zusammen mit ihrem Mann.“

In diesem Moment klopfte es an der Glastür des Besprechungsraums und Frau Sehn, die zierliche, etwas ältere Sekretärin, streckte den Kopf herein. „Bitte entschuldigen Sie die Störung“, sagte sie freundlich. „Aber hier ist ein Anruf für Sie.“ Sie wies auf Kern. „Worum geht es denn?“, fragte dieser, noch unschlüssig, ob der Anruf die Unterbrechung wert war. „Ein gewisser Jeremy Lauter sagt, er habe Informationen zum Tod von Robert Thäler.“ „Alles klar, ich komme“, sagte Kern und erhob sich. „Bin gleich wieder da.“

Wenige Minuten später kam er zurück, allerdings ohne sich zu setzen. „Besagter Jeremy Lauter hat in der Nacht offenbar eine Beobachtung in der Nähe des Tatorts gemacht. Wir fahren zu ihm und überprüfen das“, sagte er, an Kathrin gewandt. Sie nickte und erhob sich. „Sie beide sprechen bitte mit Frau Schiefer und fragen sie, ob sie seit dem Vorfall noch Kontakt zu Herrn Thäler hatte. Bitte sprechen Sie auch nochmal mit Herrn Thälers Frau, ob ihr der Name Sandra Schiefer irgendetwas sagt“, richtete er an Ziegler und Matern. Beiden nickten und wandten sich den Unterlagen zu, um die Adressen heraus zu suchen.

Eine Stunde später standen Kern und Kathrin bei Jeremy in der Wohnung.

„Danke, dass Sie uns angerufen haben“, begann Kern die Unterhaltung. „Kein Thema. Bitte nehmen Sie Platz", sagte Jeremy und deutete auf die graue Couch in der Mitte des Raums. Kern und Kathrin setzten sich, während Jeremy in der kleinen Küche verschwand. „Möchten Sie auch etwas trinken?“ „Nein, vielen Dank“, meinte Kern, und auch Kathrin verneinte. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer gleiten. Die Wohnung war in sehr unordentlichem Zustand. Sowohl auf dem quadratischen Esstisch, als auch über der Stuhllehne und auf dem Boden lag Kleidung. Der Tisch vor dem Sofa sah aus, als wäre er lange Zeit nicht sauber gemacht worden, und es stapelte sich ein Berg Zeitschriften, Formulare und sonstige Dokumente, die sich auf die Schnelle nicht zuordnen ließen. Die Wohnung roch ein wenig muffig und die Pflanzen auf dem Fenstersims hinter ihnen ließen die Blätter hängen.

Jeremy kam aus der Küche zurück, mit einer Wasserflasche und einem Glas in der Hand und stellte sie auf den kleinen Tisch. Dann ging er zum Schreibtisch und zog den Stuhl zu ihnen her.

Kathrin beobachtete ihn. Seine Hände zitterten leicht. Er wirkte müde, unter seinen Augen zeichneten sich violette Schatten ab. Vermutlich hatte er die Nacht durchgemacht.

„Sie haben in der fraglichen Nacht jemanden gesehen?“, fragte Kern und zog seinen Notizblock hervor. „Ja.“ Jeremy nahm das Glas zur Hand und trank einen Schluck. „Allerdings nicht viel. Ich habe eine Gestalt gesehen, in Schwarz gekleidet, nicht besonders groß, die spätabends hier am Wohnblock vorbeigelaufen ist.“ „Um wieviel Uhr war das?“ Jeremy dachte nach. „Ich schätze, gegen zehn“, meinte er. Die beiden Kriminalbeamten tauschten einen Blick aus. Der Täter musste also schon deutlich vor der Tat in der Nähe gewesen sein. Kathrin hatte wahrscheinlich recht gehabt und der Täter hatte die Botschaft schon vor der eigentlichen Tat an die Hauswand gepinselt. Vorausgesetzt die Person, von der Jeremy berichtete, war der Täter.

„Können Sie uns die Person beschreiben, die Sie gesehen haben?“, fragte Kern. „Leider nein.“ Jeremy seufzte. „Ich hab zu wenig gesehen. Ich fürchte auch mit einer Phantomzeichnung wird es schwierig. Ich weiß nur, sie war relativ schmal, klein und schwarz oder dunkel gekleidet. Im Schein der Laterne konnte ich das Gesicht kurz erkennen und irgendwie kam sie mir bekannt vor.“

Kern und Kathrin horchten auf. „Es war also eine Frau?“ Jeremy wirkte unsicher. „Ich weiß es nicht genau. Ganz sicher bin ich mir nicht.“ „Und Sie sagten, sie kommt Ihnen bekannt vor?“, hakte Kathrin nach. „Ja, ich bin mir relativ sicher, sie, wenn es eine sie war, schon mal irgendwo gesehen zu haben. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wo.“ „Hatte das Gesicht etwas besonders Einprägsames, eine Narbe vielleicht, oder waren die Haare besonders oder sonst irgendetwas, das uns hilft?“, fragte Kern. Jeremy dachte erneut nach. „Es tut mir leid. Mir fällt nichts ein. Es war nur so ein kurzer Gedanke, als die Gestalt an der Straßenlaterne vorbeigelaufen ist, dass ich sie schon mal gesehen habe. Aber das war nur ein ganz kurzer Moment. Ich stand auch nicht den ganzen Abend am Fenster, es war mehr ein flüchtiger Blick.“

„Verstehe.“ Kern schaute zu seiner Kollegin. „Mit der Uhrzeit sind Sie sich aber sicher, oder?“ „Ja“, Jeremy nickte. Kathrin stand auf und ging zum Fenster. Draußen war ein älterer Herr mit seinem Hund spazieren, vermutlich einem Dackel, der gerade im Gras sein Geschäft verrichtete. Vorbildlich holte der Mann eine „Bravo-Tüte“ aus seiner Hose und ging zu dem Hund. „Hier haben Sie sie gesehen?“, fragte Kathrin und drehte sich zu Jeremy. „Genau. Ich saß am PC und bin dort zum Sofa gegangen, währenddessen habe ich einen kurzen Blick nach draußen geworfen.“ Kathrin drehte sich wieder zum Fenster. Von hier aus war der ältere Herr gut zu erkennen. Sie, als geübte Polizistin, konnte die Gesichtszüge problemlos erkennen und hätte sie auch wiedergeben können. Aber ohne darauf zu achten und in der Dunkelheit war das wesentlich schwieriger.

Kern erhob sich. „Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt bzw. wenn Sie sich erinnern, wen Sie gesehen haben, bitte zögern Sie nicht, uns anzurufen.“ Er reichte Jeremy seine Karte. „Kommen Sie?“, fragte er seine Kollegin. Kathrin wandte sich vom Fenster ab und begleitete ihn zur Tür.

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