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3.3 Rationale VerständigungVerständigung

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Dass Verständigung im Gespräch ein kooperatives Unternehmen ist, haben vor allem einige Philosophen herausgearbeitet, deren Ideen in der Sprachwissenschaft aufgenommen wurden. Ich referiere zwei Ansätze: die Konversationsmaximen von Paul Grice und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas.

Das KooperationsprinzipKooperationsprinzip und seine MaximenMaximen

Der Philosoph Paul Grice (1975) hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Bedingungen für sprachliche Kommunikation (talk exchange) gelten. Als übergeordnetes Prinzip, das alle Äußerungen der Gesprächspartner anleiten soll, formuliert er ein KooperationsprinzipKooperationsprinzip: „Make your conversational contribution such as is required at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged“ (S. 307). Dieses allgemeine Prinzip wird durch vier Gesprächsmaximen konkretisiert, die sich wiederum in verschiedene Untermaximen aufteilen:

1. Quantität. Sage so viel wie nötig und sage nicht zu viel! Sage etwas, was für den Zuhörenden wirklich neu ist! Sage nichts, was dem Zuhörenden bereits bekannt ist! – Das Einhalten dieser Maxime verlangt vom Sprechenden eine Einschätzung des Wissens des Adressaten und eine Berücksichtigung dieses Wissens. Eine nachhaltige Störung kann aus Unterstellungen resultieren: Der Sprecher setzt mit seinen Äußerungen beim Hörer Wissen voraus, über das dieser nicht verfügt.

2. Qualität. Äußere nichts, was du nicht für wahr hältst! Signalisiere, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit das Gesagte hat! Vor allem: Lüge nicht! – Es dürfte klar sein, dass Lügen die stärkste Bedrohung für ein Gespräch darstellt: Wer möchte sich mit jemandem auseinandersetzen, dessen Äußerungen ständig den Verdacht der Lüge oder Täuschung erregen?

3. Relation/Relevanz. Sage nur Relevantes, das Bezug zum anerkannten Zweck des Gesprächs hat! Sage dem Adressaten nur etwas, von dem du annehmen kannst, es sei für ihn wichtig! – Grice selbst hat diese Maxime nicht weiter ausgeführt, in der Relevanztheorie von Sperber & Wilson (1995) wird sie als die zentrale Maxime ausführlich behandelt, der alle anderen untergeordnet sind. Die Maxime zielt auf einen thematischen Zusammenhang ab.

4. Modalität. Gestalte deine Äußerung verständlich, d.h. vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitschweifigkeit und Ungeordnetheit! Hier geht es um die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, und das sind Aspekte der Verständlichkeit, die wir später aufgreifen. Grice formuliert hier sehr allgemein. Was soll man unter Unklarheit verstehen? Und wann ist eine Äußerung weitschweifig? Die Maxime der Modalität greift eine Tugend der elocutio in der klassischen RhetorikRhetorik auf (Asmuth, 2009): Die Rede soll perspicuitas besitzen, das heißt wörtlich Durchsichtigkeit, sie soll verständlich formuliert sein. Grice verwendet das entsprechende Adjektiv „perspicuous“.

Die Rezeption von Grice tut sich bis heute schwer, den Status dieser MaximenMaximen zu fassen, da auch der Autor selbst unklar bleibt. Grice hat sich bei der Einteilung der Maximen von Kant inspirieren lassen. Eine Maxime ist nach Kant ein subjektiver Grundsatz als vernünftiges Prinzip des Handelns. Formuliert sind die Maximen als allgemeingültige Imperative „Be relevant!“, „Avoid obscurity!“, „Be orderly!“, sozusagen als Vorschriften. Andere Autoren sehen in den Maximen ethische Postulate für eine rationale VerständigungVerständigung, eine Art kommunikativer Ethik. Da Grice auch von „conversational game“ spricht, kann man die Maximen auch als Spielregeln auffassen. Die meisten Autoren sind sich darin einig, dass man sie nicht normativ oder präskriptiv interpretieren darf. Dem widerspricht aber, dass Sanktionen erfolgen, wenn man die Maximen verletzt.

Noch konfuser wird es, wenn man über Herkunft und Geltung dieser MaximenMaximen nachdenkt: Sind es universelle Regulative, die für alle sprachlichen Äußerungen gelten, oder kulturelle Konventionen, sozusagen gelernte Gewohnheiten? Kognitiv werden sie als wechselseitige kollektive Erwartungen, verinnerlichte Annahmen oder rationale Unterstellungen bezeichnet. Wie wir aus Berichten zur interkulturellen KommunikationKommunikationinterkulturell wissen, verläuft in anderen Kulturen ein Gespräch anders (z.B. Weitschweifigkeit in arabischen Ländern oder Zurückhaltung in asiatischen Kulturen). Grice selbst hat eingeräumt, dass seine Maximen ergänzt oder modifiziert werden müssen.

Die Befolgung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip und seiner MaximenMaximen wird bei jedem Gesprächspartner unterstellt – solange man ihn für „rational“ und an Verständigung interessiert hält. Wie wir bereits ausgeführt haben, setzt das Kooperationsprinzip VertrauenVertrauen als Grundbedingung jeder Kommunikation voraus (Juchem, 1988).

Bei der Analyse von Gesprächen fällt auf, dass viele Äußerungen den Maximen von Grice nicht gehorchen, es gibt andauernd Verletzungen aus Höflichkeit, Feigheit, Unwissenheit, Unaufrichtigkeit usw. Folgende Fälle eines Verstoßes gegen Maximen sind möglich:

Unbewusste Verletzung liegt vor, wenn ein Sprecher egozentrisch und nicht adressatenorientiert formuliert. Er ist sich keiner Schuld bewusst, aber redet an seinen Adressaten vorbei. Das ist oft bei Experten der Fall.

Bewusster Ausstieg liegt vor, wenn ein Sprecher eine Maxime explizit außer Kraft setzt, z.B. durch die Ankündigung, dass das Thema so kompliziert ist, dass er es nicht einfach formulieren kann.

Kollision liegt vor, wenn zwei Maximen nicht gleichzeitig eingehalten werden können, z.B. kann die Beachtung der Maxime der Modalität dazu führen, dass ein Sprecher die Maxime der Relation nicht einhalten kann: Er muss weit ausholen, damit das Gesagte verstanden wird.

Bewusster Verstoß liegt vor, wenn eine Maxime nicht erfüllt wird, um eine spezielle Mitteilung zu kommunizieren. Bei einem offensichtlichen Verstoß gegen eine Maxime versuchen wir aufgrund der RelevanzannahmeRelevanzannahme den Gesprächsbeitrag so zu verstehen, dass das KooperationsprinzipKooperationsprinzip gewahrt bleibt: Wir interpretieren die Äußerung um, damit sie einen Sinn innerhalb des Gesprächs bekommt.

In einem Gespräch fällt die Äußerung (8), die gegen die Maxime der Quantität verstößt. Der Satz ist tautologisch (gr. t’auton legein = dasselbe sagen) und enthält eigentlich keine Information.

(8) „Wenn Karl etwas verspricht, dann verspricht er es.“

Wenn wir annehmen können, dass der Sprecher fähig ist, das KooperationsprinzipKooperationsprinzip einzuhalten, dann muss die gemeinte Bedeutung über die wörtliche Bedeutung hinausgehen. Aufgrund von VorwissenVorwissen, dem Vorgespräch oder der Situation kann die Äußerung so den Sinn bekommen: Auf Karl ist Verlass, wenn der etwas verspricht, dann hält er es auch.

Damit kann Grice erklären, warum wir bestimmte Äußerungen nicht als unsinnig verwerfen, sondern eine Intention des Sprechers heraus- oder hineininterpretieren. Derart erschlossene Bedeutungen von Äußerungen innerhalb eines Gesprächs bzw. einer Konversation nennt Grice konversationelle ImplikaturenImplikatur, wir kommen im Kapitel 6.5 auf sie zurück. Der Verstoß gegen eine Maxime ist sozusagen eine Anregung zur InterpretationInterpretation. Erst wenn ein Sprecher permanent gegen MaximenMaximen verstößt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer z.B. oft vom Thema abschweift (Relation) oder beim Lügen erwischt wird (Qualität), der muss Ermahnungen und Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Kommunikation hinnehmen. Die Wacht über das Einhalten der Maximen kann einem Moderator bzw. einer Moderatorin übertragen werden. Sie dürfen bei Abweichungen vom Thema oder bei Unklarheiten den Sprechenden unterbrechen.

Werfen wir einen abschließenden Blick auf die Maxime der Modalität, die die Verständlichkeit thematisiert. Nach Grice unterstellen wir unseren Gesprächspartnern, dass sie sich darum bemühen, verständlich zu formulieren. Wenn sie etwas schwer Verständliches äußern, veranlasst uns das, nach einer zutreffenden InterpretationInterpretation zu suchen. Nach Grice gibt der Absender mit einer schwer verständlichen Formulierung sozusagen einen Denkanstoß.

Die Beispiele, die Grice benutzt, stammen durchweg aus der Literatur, es geht um mehrdeutige und umständliche Formulierungen. Ein anderes Beispiel sind unverständliche Sentenzen, z.B. Koans im Zen-Buddhismus, die zu tieferen Einsichten führen sollen. Auf die fachliche Kommunikation ist das Argument der Denkanregung aber nicht übertragbar, hier ist Verständlichkeit eine Grundbedingung der Kommunikation.

Unter der Geltung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip darf der Absender allerdings nicht zu weit gehen: „I must intend my partner to understand what I am saying despite the obscurity I import into my utterance“ (Grice, 1968, S. 313).

Universelle GeltungsansprücheGeltungsansprüche

Im deutschen Sprachraum hat der Philosoph Jürgen Habermas (1988) eine Theorie kommunikativen Handelns entwickelt, bei der allerdings die Verständlichkeit eine marginale Rolle spielt. Zentrale Funktion der menschlichen Kommunikation ist auch für Habermas die Verständigung zwischen mindestens zwei Menschen im Gespräch. Verständigung hat zwei Bedeutungen:

Gegenseitiges Verstehen. Darunter versteht man das wechselseitige Bemühen von Absender und Adressat um Verständigung durch Rückfragen, wiederholte Paraphrasierung, Metakommunikation usw. Wechselseitiges Verstehen bedeutet nicht unbedingt Einverständnis! Oft versteht man, was der andere meint, aber stimmt mit ihm nicht überein.

EinverständnisEinverständnis. Hier geht Verständigung über das wechselseitige Verstehen hinaus: Ziel ist die gemeinsame argumentative Erarbeitung eines Einverständnisses im Gespräch. Im Idealfall ist das ein Konsens (lat. consentire = übereinstimmen), oft aber nur ein fairer KompromissKompromiss, dem beide Seiten zustimmen können.

Die Theorie der Kommunikation von Habermas ist in eine Gesellschaftstheorie eingebettet. Diese blenden wir hier aus und fokussieren auf die rationale VerständigungVerständigung. Habermas unterscheidet zwei Grundformen der Kommunikation mit unterschiedlichen Zielen: Die verständnisorientierte Kommunikation ist auf Konsens aus, die strategische KommunikationKommunikationstrategisch auf Persuasion. Dem entspricht unser ÜberzeugenÜberzeugen und ÜberredenÜberreden als zwei Grundfunktionen der Sprache. Für Habermas dient die Sprache vor allem der Verständigung, die sprachliche Kommunikation ist „auf Konsensbildung, nicht auf Beeinflussung angelegt“. Die Sprache ist sozusagen das Werkzeug der Rationalität.

Verständigungsorientierte Kommunikation gemeinsame Überzeugungen rational motiviertes Einverständnis
Strategische Kommunikation = persuasive Kommunikation offen Drohungen Lockungen erzwungene Übereinstimmung erkaufte Übereinstimmung
verdeckt bewusste Täuschung = Manipulation unbewusste Täuschung erschlichene Übereinstimmung täuschende Übereinstimmung

Bild 3:

Tabelle der Kommunikationsformen nach Habermas (1981).

Verständigungsorientierte Kommunikation. Die Teilnehmenden sind bemüht, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen ein rational motiviertes EinverständnisEinverständnis herzustellen.

Strategische Kommunikation. Hier ist die erfolgsorientierte Einflussnahme (Persuasion) das Ziel der Kommunikation. Es werden zwei Fälle unterschieden: die offene und die verdeckte strategische KommunikationKommunikationstrategisch.

▶ Offen strategisch: Hier wird mit direkten Drohungen eine Übereinstimmung erzwungen oder mit Lockungen (z.B. Schmiergeld) erkauft. Diese Kommunikation stützt sich auf ein Sanktionspotenzial (Gewalt, Belohnung, Bestrafung).

▶ Verdeckt strategisch: Hier wird ein Interesse an Verständigung nur vorgetäuscht. Bei der Manipulation geschieht das bewusst unter Einsatz persuasiver Techniken. Psychologisch interessant ist der Fall der unbewussten Täuschung. Hier ist einem Absender nicht bewusst, dass er an Verständigung gar nicht interessiert ist. Dabei handelt es sich um eine pathologische Kommunikation, Habermas nennt sie „systematisch verzerrte Kommunikation“.

Das gesellschaftliche Leben ist auf verständnisorientierte Kommunikation angewiesen. Ein Vorherrschen strategischer KommunikationKommunikationstrategisch führt zu gesellschaftlichen Pathologien und Krisen.

Wer sich an verständigungsorientierter KommunikationKommunikationverständigungsorientiert beteiligt, der wird mit folgenden universalen GeltungsansprüchenGeltungsansprüche konfrontiert und konfrontiert seine Gesprächspartner damit (Habermas, 1971, 1988):

1. Verständlichkeit. Sie wird auf zwei Ebenen gefordert: 1. Die Äußerungen müssen grammatisch wohlgeformt sein, d.h. man darf kein wirres Zeug reden oder unverständliche Wörter benutzen. Dies entspricht der Maxime der Modalität bei Grice. 2. Die Äußerungen müssen pragmatisch verständlich sein, d.h. die intentionale Bedeutung muss explizit ausgedrückt werden. Ist die Verständlichkeit problematisch, dann stellen wir Fragen des Typs: Wie meinst du das? Wie soll ich das verstehen? Zwar steht hier Verständlichkeit an erster Stelle, nicht an letzter wie bei Grice, aber Habermas hat später Verständlichkeit als Geltungsanspruch ganz aufgegeben. Er sah darin nur noch eine Vorbedingung der Kommunikation.

2. Wahrheit. Die Aussagen müssen wahr sein, d.h. mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmen. Dies entspricht der Maxime der Qualität bei Grice. Hier lauten kritische Fragen: Verhält es sich so, wie du sagst? Stimmt das überhaupt, was du berichtest?

3. Aufrichtigkeit. Die Aussagen müssen der inneren Wirklichkeit des Absenders entsprechen, sie dürfen die anderen nicht über die eigenen Absichten täuschen. Dies entsprich der Maxime der Qualität. Hier stellt man die Fragen: Will er/sie mich täuschen? Ist der Sprecher ehrlich? Diese Fragen stellen wir meist nicht der unglaubwürdigen Person selbst, sondern an uns selbst oder an Dritte.

4. Angemessenheit1. Die Aussage muss in der jeweiligen kommunikativen SituationSituationkommunikative angemessen sein, d.h. den anerkannten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Kritische Fragen sind hier: Warum tust du das? Darfst du das überhaupt sagen? Handelst du sozial angemessen? Diese Forderung findet man bei Grice nicht.

Die GeltungsansprücheGeltungsansprüche haben eine deutliche Ähnlichkeit mit den MaximenMaximen von Grice, beide werden wechselseitig von den Teilnehmenden unterstellt. Die Geltungsansprüche sind aber strenger gefasst. Eine Maxime ist ein vernünftiger Grundsatz für die Kommunikation, ein Geltungsanspruch ist eine universal geltende Regel der Verständigung. Die Beherrschung dieser universalen Regeln der Verständigung wird als kommunikative KompetenzKompetenz bezeichnet.

Machen wir uns die GeltungsansprücheGeltungsansprüche am Beispiel einer mündlichen Hochschulprüfung klar (vgl. Burkhart, 2002, S. 439). Die Verständlichkeit wird verletzt, wenn der Prüfer unklare Fragen formuliert oder der Prüfling verworren antwortet. Relativ unproblematisch ist die Wahrheit, da man im Rahmen einer Prüfung unterstellt, dass wissenschaftlich bestätigte Aussagen gemacht werden. Die unterstellte Aufrichtigkeit wird verletzt, wenn der Professor nicht neutral prüft, sondern Fangfragen stellt, um den Kandidaten durchfallen zu lassen. Die Angemessenheit wird verletzt, wenn der Professor in der Prüfungssituation persönliche oder gar intime Themen anspricht.

Erkennbar wird ein Geltungsanspruch bei Problematisierung durch die Adressaten, der Sprecher muss dann auf die oben angeführten kritischen Fragen antworten und sich rechtfertigen. Dabei wird wieder der Dreischritt der Verständigung durch Methoden der Verständnissicherung relevant.

Ideale Sprechsituationideale Sprechsituation. Verständigung im Diskurs verlangt nach Habermas bestimmte Voraussetzungen in der Kommunikationssituation:

1 Die Teilnehmenden dürfen nicht von offener oder verdeckter strategischer Kommunikation Gebrauch machen.

2 Es darf keine Zwänge von außen auf die Teilnehmenden am Diskurs geben, z.B. durch Gewalt, Geld, Autorität.

3 Jeder muss die gleiche Chance haben, seine Aussagen einzubringen und zu begründen sowie Geltungsansprüche anderer zu problematisieren.

Diese Kommunikationssituation ist ein theoretisches Konstrukt: Weder wird die ideale Sprechsituationideale Sprechsituation in der Gesellschaft oft Wirklichkeit, noch werden die unterstellten GeltungsansprücheGeltungsansprüche eingehalten, denn in fast allen Gruppen gibt es Status- und Machthierarchien. Diesem Einwand begegnet Habermas mit dem Argument, dass er „kontrafaktisch“ rekonstruieren möchte, unter welchen theoretischen Voraussetzungen Verständigung überhaupt möglich ist.

Kommunizieren wir rational?

Für die Ansätze von Grice und von Habermas ist der Begriff der RationalitätRationalität von zentraler Bedeutung, er bildet die Grundlage der KooperationKooperation.

Für Grice ist das Gespräch eine Form des rationalen Handelns: „As one of my avowed aims is to see talking as a special case or variety of purposive, indeed rational behavior“ (Grice, 1968, S. 308). Das Befolgen der MaximenMaximen setzt Beteiligte voraus, die ihre Beiträge zweckrational auf das gemeinsame Ziel ausrichten und sachlich und nüchtern nur das Notwendigste aussprechen. Weitschweifige Ausführungen, übertriebene Ausschmückungen und emotionale Ausbrüche sind nach diesen Maximen keine rationalen Beiträge. Selbst das Nichteinhalten einer Maxime hat ein vernünftiges Ziel: Es soll die Adressaten zu einer Uminterpretation anregen.

Der Theorie von Habermas liegt noch deutlicher als bei Grice ein rationales Menschenbild zugrunde: Menschen sind an Verständigung im Sinne von EinverständnisEinverständnis interessiert und die Sprache ist das Werkzeug eines rationalen Gesprächs. Die Einhaltung der universellen GeltungsansprücheGeltungsansprüche kann im Gespräch problematisiert und muss dann argumentativ begründet werden. In der idealen Sprechsituationideale Sprechsituation sind strategische, also persuasive Beiträge ausgeschlossen. Der rationale Diskurs à la Habermas ist allerdings ein eher seltenes Ereignis.

Mit guten Gründen kann man bezweifeln, ob sprachliche Kommunikation auf Verständigung angelegt ist. Kommunikation dient vielmehr primär der Persuasion. Schon im Alltag versuchen wir andauernd, andere durch unsere Äußerungen zu beeinflussen: Es gibt Befehle, Bitten, Schmeicheleien, Drohungen, Lügen usw. Die RhetorikRhetorik dient ausdrücklich der effektiven sprachlichen Beeinflussung.

Ein Philosoph, der den Primat der Persuasion vehement vertreten hat, ist Fritz Mauthner (1982b, S. 444): „Die Sprache ist etwas zwischen den Menschen, ihr Zweck ist MitteilungMitteilung. Aber die Mitteilung kann ja nicht selbst Zweck sein, sie ist es nur beim Schwätzer. Immer wollen wir – wenn auch oft indirekt und unbewusst – das Denken und damit das Wollen des anderen Menschen nach unserem Denken und Wollen, das heißt nach unserem Interesse beeinflussen. Der Zweck der Sprache ist also Beeinflussung, Willens- oder Gedankenlenkung, mit einem Modewort: Suggestion.“

Die rationale VerständigungVerständigung dürfte eine spätere Erwerbung sein, die zudem immer durch strategische Intentionen gefährdet ist.

Sprachliche Kommunikation: Verstehen und Verständlichkeit

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