Читать книгу Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren - Steffen Stern - Страница 115
cc) Entgegenstehende Umstände
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Zugunsten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, dass er nach seiner Festnahme sofort geständig war und sich die Beweiswürdigung maßgeblich auf die Geständnisse stützen konnte, auch wenn der Angeklagte sie später widerrufen hat[66]. Zur Begründung der besonderen Schuldschwere darf nicht herangezogen werden, dass der Angeklagte geschwiegen und keine Reue gezeigt[67] oder die Tat abgeschwächt und fälschlich ein Tötungsverlangen des Opfers behauptet habe[68]. Der BGH hat allerdings die Feststellung besonderer Schuldschwere in Bezug auf eine 35-jährige Arzthelferin bestätigt, die ihren schlafenden Ehemann im Bett erstochen und zu ihrer Verteidigung behauptet hatte, ihre eigene, damals 12-jährige Tochter habe schlafwandelnd den Vater getötet. Mit dieser unwahren Schuldzuweisung, mit der sie dauerhafte seelische Folgen für ihre Tochter in Kauf genommen hatte, hatte die Angeklagte die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten[69].
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Im Rahmen des § 57a StGB ist auch das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu beachten. Unzulässig ist etwa die Erwägung, der kaltblütig agierende Angeklagte habe sich vor und während der Tatausführung nicht aus der Ruhe bringen lassen. Damit wird nachteilig berücksichtigt, dass die Tat überhaupt durchgeführt worden ist, anstatt den Tatplan aufzugeben. Die Feststellung der besonderen Schuldschwere kann tragfähig mit der Erwägung abgelehnt werden, dass der Angeklagte seinen Tatgenossen intellektuell unterlegen, nicht Motor und Verursacher des Mordkomplotts war und von selbst nicht auf die Idee der Tötung gekommen wäre[70]. Neben den in § 46 StGB genannten Parametern kann im Einzelfall der Schuldschwerefeststellung das fortgeschrittene Alter des Angeklagten (von 64 Jahren) entgegenstehen[71], aber auch, dass der Angeklagte in der seit der Tat verstrichenen Zeit (von 22 Jahren) ein sozial unauffälliges Leben geführt hat[72], oder dass, wie beim „Kannibalen von Rotenburg“, die Tötung mit Einverständnis des Opfers erfolgt war[73].
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Das Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit schließt zwar die Annahme besonders schwerer Schuld nicht von vornherein aus[74]. Eine im Urteil des SchwurG festgestellte alkohol- und affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung des Verurteilten im Tatzeitpunkt ist jedoch in die Bewertung der besonderen Schwere der Schuld auch dann einzubeziehen, wenn das SchwurG bei einer Schuldbewertung eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB verneint hat[75].