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Himmlischer Frieden

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Ist es eine himmlische oder eine gespenstische Ruhe auf dem Platz des himmlischen Friedens? Kahl und kalt liegt er da, der Tian’anmen. Ein einsamer alter Mann in einem blauen Arbeitsanzug fegt den größten Platz der Welt. Neujahr, das ist hier noch das alte Jahr, denn die Uhren ticken anders. Im ganzen Riesenreich gilt eine Zeitzone, wo mindestens drei angebracht wären, und das neue Jahr kehrt im Land des Drachen erst mit dem Frühjahrsfest ein, in einigen Wochen. Bis dahin blickt man in sich gekehrt auf sich selbst und erst dann verstohlen auf den Rest der Welt. Der alte Mann kehrt weiter.

Mit einer Lasershow am Himmelstempel hatten sie das alte Westjahr heruntergezählt, etwa so, wie man einen angeschlagenen Boxer auszählt. Aber der Staat mag das Volk nicht besonders, es ist ihm zu groß und damit zu gefährlich. Menschenmassen im Reich der Massenmenschen sind nicht gern gesehen, es sei denn zur organisierten und dosierten Beschwörung und Huldigung der eigenen Stärke. Und so kamen nur wenige Eingeladene in den Genuss einer dezenten dekadenten kapitalistischen Feier zum Jahreswechsel am Himmelstempel. Was zählt, ist der Bauernkalender, nicht die Agenda von New York, Washington, London oder Berlin. Und so warten die meisten auf das Frühjahrsfest. Daheim lieferten sich die Chinesen in dieser Nacht Kissenschlachten, um das neue Jahr zu begrüßen, das hier immer noch das alte Jahr war.

Die neuen Bürotürme, die Wohnsilos, der Olympiapark, alles draußen. Bagger und Kräne haben Hochkonjunktur. Dazwischen Inseln der Geschichte. Das Alte und das Neue, Seite an Seite, doch der dichte Nebel versperrt den Blick. Kaum Touristen und noch weniger Einheimische, die vor der Pforte zur Verbotenen Stadt anstehen. Mao grüßt als irrlichterndes Grinsen von der roten Mauer, der tote Mao liegt wenige Meter weiter einbalsamiert in einem Mausoleum von ausgesprochen hässlicher architektonischer Kunstfertigkeit. Eine Ehrenwache steht vor dem Tor des himmlischen Friedens, grün und steif und bar allen Lächelns. Fernab drillt eine Mutter ihre Kinder, ein Mädchen und ein Junge im beginnenden Schulalter, mahnt sie zu ballettartistischen Übungen. Sobald diese nicht zur Zufriedenheit der Erziehungsberechtigten ausfallen, setzt es Ohrfeigen zur Korrektur.

Der Drache schläft. Der Drache schläft noch. Eine Frau mit einem knallroten Sonnenschirm schlendert über den Platz. Sie hat keinen Plan. Nicht jetzt. Heute ist ein freier Tag, frei für alle. Freiheit für alle hier auf dem Tian’anmen an diesem 1. Januar. Der Platz ist fast leer. Der alte Mann mit dem Besen blickt auf und ins weite Rund, über das graue Pflaster, in den grauen Nebel. Drüben schimmern die roten Dächer der Verbotenen Stadt durch das Dickicht der Luft. Der Mann blickt, und er sieht nichts. Dann senkt er den Kopf und fegt weiter.

Torres del Paine

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