Читать книгу Torres del Paine - Stephan Hamacher - Страница 19

Gaza

Оглавление

Seit Wochen Ruhe am Himmel. Keine Bomben, keine Explosionen, nur Wolken und eine ungewohnte Kälte, ein scharfer Wind. Wenn das Fernsehbild flimmert, ist es eine Drohne. Wenn es rauscht, dann brummt, dann kreischt, ist es eine F 16. Doch wie gesagt, seit Wochen nichts.

Eine Sandbüchse, mit Steinen durchsiebt, so groß wie Malta, halb so groß wie Hamburg, vierzig Kilometer lang, zwischen sechs und vierzehn Kilometer breit. Im Westen das kalte Meer, im Osten Zaun und Stacheldraht, wir dazwischen, gefangen im Staub. Das ist meine Heimat. Seit die Tunnel dicht sind, läuft nichts mehr. Durch die Tunnel kam alles, was wir zum Leben brauchten. Öl und Benzin und Lebensmittel und Baumaterial. Damit ist jetzt Schluss. Meine Eltern sagen, ich soll heiraten, sehr bald, und Kinder zeugen, bald. Damit wir eines Tages mehr sind als sie. Sie, das sind die hinter dem Zaun und dem Stacheldraht, die mit den Drohnen und den F 16. Ich bin noch nicht einmal neunzehn, ich bin zu jung, um für Mehrheiten zu sorgen, und die dort drüben kenne ich nicht.

Ich sammle Steine und Plastik, damit wir leben können. Wir, das sind außer mir noch meine Eltern, meine Großeltern und meine Geschwister. Ein Bruder und drei Schwestern. Mein Bruder Mohammed und meine Schwester Isra sind älter und verheiratet. Wir alle leben unter einem Dach, solange das Dach noch steht. Mein Vater sagt, Kinder sind die Zukunft. Meine Mutter sagt, Kinder sind die Zukunft. Mein Bruder sagt, Kinder werden geboren, um Märtyrer zu werden. Ich weiß nicht, was ein Märtyrer ist. Nicht wirklich.

Abends gehe ich gern an den Strand, zu jeder Jahreszeit, auch jetzt im Winter. Ab und zu sehe ich einen alten Mann, der dort ein Pferd an der Leine führt. Immer am Saum entlang, die Balance halten zwischen Sand und Wasser. Der Strand ist der Ort, an dem ich das spüre, was ich mir unter Freiheit vorstelle. Der Strand ist gut.

Unser Haus liegt zwischen Dair al-Batah und Chan Yunis. Mein Großvater hat den ersten, mein Vater den zweiten und dritten Stock gebaut. Auf dem flachen Dach recken sich Eisenstangen in den Himmel, für eine weitere Etage, falls wir eines Tages noch Raum für mich, meine Frau und meine Kinder brauchen. Das Haus ist hoch, aber eng.

Auch auf dem Meer ist es jetzt ruhig. In den vergangenen Wochen gab es den einen oder anderen Sturm, und die Wellen sind über sich hinausgewachsen. Doch heute ist alles friedlich. Es gibt schon seit einiger Zeit keine Schüsse mehr am Horizont, von der Patrouille auf die Fischerboote. Abends, kurz vor Sonnenaufgang, ist der Strand fast leer. Irgendwo hinter dem Zaun liegt al-Quds, weit weit weg. Ich hoffe, es wird ein gutes Jahr.

Torres del Paine

Подняться наверх