Читать книгу Torres del Paine - Stephan Hamacher - Страница 20

Timor

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Gómez war der Anstifter der Meuterei. Mit dem größten Schiff und den reichsten Vorräten setzten er und seine Mannschaft sich nach Spanien ab. Auf Desertation steht die Todesstrafe, doch es hatte keinen Sinn, der San Antonio nachzustellen. So hielt Fernão mit nunmehr nur noch drei Schiffe Kurs auf die schwer zu beherrschende Meerenge. Links Land rechts Land, Richtung West, durch dickes Grau und meterhohe Wellen. Doch wir hatten Glück: Am 28. November erreichten wir den anderen großen Ozean, den Fernão Pazifik taufte, den stillen Ozean, nachdem der Orkan jetzt verebbt war und wir uns abermals durch Gottes Hand in ein lindes Schicksal gebettet sahen. Unterwegs feierten wir das Allerheiligenfest, und der Kapitän nannte dem Anlass zu Ehren die Meeresstraße, die wir hinter uns gelassen hatten, Estreito de todos los Santos.

Der Friede währte nicht lange, und wir ahnten bereits, dass wir noch ein gutes Stück unseres Weges vor uns hatten. Nicht wenige unter uns schenkten Fernãos Orakel keinen Glauben, der meinte, binnen eines Monats würden wir unser Ziel, die geheimnisvollen Gewürzinseln, erreichen können. Und so war es denn auch, unsere Befürchtungen bewahrheiteten sich: Die Tage zogen sich in die Länge, die Vorräte gingen zur Neige, ohne dass wir auch nur den kleinsten Flecken Land entdeckten. Als wir alle der Verzweiflung schon näher waren als dem Leben, tauchte am Horizont ein Silberstreif auf, doch beim Näherkommen entpuppte sich dieser als eine unbewohnte wertlose und poröse kleine Insel. Und noch einmal wurden wir auf diese Weise enttäuscht. Unsere Lage war derweil so prekär, dass wir geröstetes oder in Salzwasser gedünstetes Leder und Suppe aus Sägespänen zu uns nahmen, nur um unsere Herzen am Schlagen zu halten. Dazu Zwieback, gewürzt mit Rattenkot und Würmern. Ratten waren kostbarer als Gold, die Matrosen pflegten mit ihnen einen regen Handel untereinander, das Stück wechselte für neunzehn Kronen den Besitzer. Viele von uns erkrankten an Skorbut, eine schreckliche Plage. Erschöpfung, Zahnfäulnis, Wundbrand und Fieber, das Erschlaffen der Muskeln, Durchfall, Schwindel und schmerzende Glieder nagten an unseren Knochen, und wir waren mehr tot denn lebendig. Schließlich starben die ersten an ihren Qualen. Nach einem Dutzend Leichname, die wir über Bord warfen, hörte ich auf, die Verblichenen zu zählen. Das irdische Inferno war über uns gekommen wie eine jähe Heimsuchung, die dann nimmer mehr weichen wollte. Alles Beten und Zetern half nicht, und nun gab es kein Zurück mehr. Wir waren Gott und Beelzebub ausgeliefert.

Dieser große stille Ozean kann bedrückend still sein oder erschreckend laut. Er erschien uns wie eine gewaltige leere Wasserweite, mit nichts als dem ungenießbaren salzigen Nass unter dem Rumpf der Schiffe und mit nichts als dem endlosen Firmament über uns. Es gab drückende wolkenlose Tage voller Azur, es gab Tage mit aufgetürmten weißen Wattebergen über dem Horizont, und es gab Tage mit einer bedrohlich schwarzen Wand vor uns. Zuweilen schien es als segelten wir, gerade erst der einen Katastrophe entkommen, geradewegs unter vollen Segeln in ein neues Unglück. Mit Wunden an Leib und Seele lagen die Männer auf den Planken oder unter Deck in ihren Hängematten, auf den Pritschen und Truhen, konnten sich kaum mehr auf den Beinen halten, geschweige denn ein Schiff durch die mitunter tosende See führen. Wir kämpften mit Visionen, Halluzinationen, wir kämpften mit Durst und Hunger, wir froren in der Hitze und schwitzten in der Kälte. Wir sahen Land, wo Wasser war, und wir sahen Wasser, wo nichts weiter war als eine nicht enden wollende nasse Wüste.

Unsere Pein währte drei Monate und drei Wochen, dann endlich hatte Gott der Barmherzige ein Einsehen und schickte uns Land in Sicht. Und diesmal waren es keine unnützen Felsenriffe, keine öden Eilande, die wir aufgetan hatten. Ein weiteres Neujahr war verstrichen. Dann, am sechsten Tage des Märzenmonats, kurz vor Winteranfang in der südlichen Hälfte des Erdenrunds und kurz vor Beginn des Sommers in der nördlichen Hemisphäre, dann endlich erreichten wir in Äquatornähe einen weitgezogenen Inselbogen. Wir wähnten unsere Gebete erhört, doch Unerhörtes tat sich auf, als wir Bekanntschaft mit den Inselbewohnern machten. Die Menschen dort, wild und heimtückisch von Statur und Betragen, waren uns alles andere als wohlgesonnen. Einige Männer hatten versucht, eines unserer Beiboote zu stehlen. Fernão, außer sich ob der dreisten Tat, ließ daraufhin die Hütten der Frevler niederbrennen und einige der Männer exekutieren. Recht so, sollten sie es mit ihrem Leben bezahlen, wenn sie das unsere zu rauben trachteten. Fernão taufte die Eilande der Missetäter Islas de los Ladrones, die Inseln der Diebe. Nach diesen Vorkommnissen erschien uns die Insel, vor der wir ankerten, als ein garstiger Ort, an dem wir nicht mehr Zeit denn erforderlich verbringen wollten, um unsere Kräfte zu sammeln. Wir bemühten uns um Proviant und beseitigten die gröbsten Spuren, die das Wasser an unserem dezimierten Geschwader hinterlassen hatte. Dann setzten wir abermals die Segel und eilten davon.

Am sechszehnten des Monats landeten wir auf Humunu, um uns mit weiteren Vorräten einzudecken. Der 16. März war ein Sonntag, und wir feierten das Fest des heiligen Lazarus. Nun zahlte sich aus, das wir einen Malaien als Dolmetscher mitgenommen hatten. Enrique Melaka, so nannten wir den tüchtigen Sklaven, verstand sich auf die Zunge der Einheimischen. Er selbst stammte aus der Region und stellte den Kontakt her zum Herrscher der Inselgemeinde Limasawa. Dank Enrique kam es zum friedlichen Austausch von Geschenken zwischen uns und dem Inselherrscher Rajah Calambus. Fernão gab der Insel den Namen Homonhon; welcher bedeutet „Insel der Wasserstelle voll guter Zeichen“.

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