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Shana tova

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Ein ungewöhnlich kalter Wind fegt durch die Gassen der Altstadt. Via Dolorosa, der Leidensweg. Die Fernseher laufen in den Hinterstuben und zeigen den Papst, der um Frieden in der Welt fleht. Das ist sein Job. Ob er daran glaubt? Das ist sein Beruf. Der Papst ist weit. Neujahr ist weit. Neujahr, shana tova, das ist Rosch Haschana im Herbst. Wo ist die Fernbedienung?

Es ist leer im Heiligen Land, und es ist Alltag in der heiligen Stadt. Ein ganz normaler Tag. Kein Feuerwerk, keine Partys. Arbeit, Schule, Handel, Missgunst, Neid, Hass, alles wie gehabt. Aber es ist ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit. Jetzt, im Winter, wenn die Sonne ohnehin tiefer steht, sind viele Wege von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in lange Schatten getaucht. Das liegt an den hohen Mauern, an den engen Wegen, an den Tunnels und Unterführungen. Das hier ist ein Labyrinth, und wer Orientierung wünscht, sollte schon auf ein Dach steigen. Selbst von dort erhält man nur einen groben Überblick. Ein weißes, graues, ockerfarbenes Meer aus Stein, unterbrochen nur durch einige Inseln. Die auffälligste ist die goldene Kuppel der Al Aqsa Moschee. Dann die Türme einiger Kirchen, Silberkuppeln, weiße Minarette. Oben ist es still, unten raunen und rufen die Straßenhändler. Eine Menora auf einer Mauer, eine verschleierte Muslimin huscht schnell vorbei. Im Tunnel vor der Klagemauer steht ein Metalldetektor, Soldaten kontrollieren die Passanten.

Licht erst nach dem Damaskus-Tor. Mildes Winterlicht, kalte Luft. Es sind Steinwürfe vom Ölberg zum Internetcafé zu Yad Vashem zu Me‘a She‘arim. Väter mit Söhnen und Mütter mit Töchtern aus den Gassen Richtung Boulevard. Es scheint, als überschreiten sie eine unsichtbare Grenze. An den Mauern Plakate, nicht zu groß, nicht zu klein, und doch auffällig. Gelb, weiß, orange: Keep your neighborhood holy. The Torah obligates every Jewish Daughter to DRESS MODESTLY which includes: Long sleeves, long dress. To pass through our neighborhood imodestly dressed is forbidden.

Es gibt kein Lächeln in Me‘a She’arim, nicht jetzt. Aber es gibt auch niemanden, der sich erzürnt. Das Dorf in der Stadt mit seinen festungsartigen Mauern, den schmalen Treppen, den engen Hinterhöfen und den improvisierten Dächern wirkt wie ausgestorben.

In dieser Stadt gibt es vier Zeitzonen. Eine jüdische, eine islamische, eine christliche, eine armenische. Und es gibt zwei Jahreszeiten. Eine reicht von der Antike bis zum Mittelalter, die andere reicht von der Glasbeton-Moderne bis zum grotesk hohen Schutzwall gegen das Westjordanland, von den Einschusslöchern aus dem Sechstagekrieg bis zu den Soldaten mit ihren geschulterten Gewehren. Frohes neues Jahr. Shana tova.

Torres del Paine

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