Читать книгу Mord im Lesesaal - Susanne Mathies - Страница 15

Entdeckung

Оглавление

Der Mensch und das Menschsein tritt bei dem Fall weit in den Hintergrund.

Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt

Fanfarenklang! Cressida schreckte aus ihren Gedanken auf und sah sich um. Wer war der Übeltäter, der ein eingeschaltetes Handy in den Lesesaal gebracht hatte? Wer immer es war, würde er sich gleich unter den dolchscharfen Vorwurfsblicken der anderen Besucher winden und auf dem Boden hinauskriechen, wie es sich gehörte?

Der elektronische Krach dröhnte weiter durch den Lesesaal. Die anderen schienen das einfach zu ignorieren, aber Cressida wurde neugierig. Wer hatte hier so gute Nerven, dass er sein Handy einfach vor sich hin lärmen ließ? Das Geräusch schien aus der Gegend der roten Ledersessel zu kommen, von dort, wo immer noch der Obdachlose schlief, den sie vorhin beobachtet hatte. Seltsam – vor ihm lag eine dunkle Masse auf dem Boden. Sie stand auf und ging zum Sessel.

Der schlaffe Körper einer schlanken Frau in Jeans und Sweatshirt hing halb auf dem Schoß des ungepflegten Mannes, halb auf dem Teppich. Das sah bizarr aus, wie in einem Underground-Film über ungleiche Sexpartner. Irgendwie schmuddelig und völlig falsch. Dazu ertönte immer noch der schrille Fanfarenklang, er schien mitten aus dem Körper des Mannes zu kommen. Der Mann lag bewegungslos im Sessel.

»Karin?« Inzwischen hatte sie die Lesesaalaufsicht an dem Tattoo auf dem linken Handgelenk erkannt, einer schwarze Tulpe.

Karin rührte sich nicht. Um Himmels willen – hoffentlich war ihr nichts passiert! Was hatte sie mit diesem unappetitlichen Mann zu tun, und warum rührte der sich nicht? Karins rechter Arm lag unter ihrem Körper, so als ob sie sich tatsächlich gerade an dem Mann zu schaffen gemacht hätte. Bei so einer Szene würde Cressida sofort den Fernsehkanal wechseln, es war nicht zu fassen, dass im wirklichen Leben etwas passierte, was einfach nicht sein durfte. Cressida packte Karin an der Schulter und schüttelte sie. Ein leises Aufstöhnen, weiter kam keine Reaktion, aber wenigstens schien sie ansprechbar zu sein.

»Karin, was ist passiert? Bist du verletzt? Sag doch was! Kann ich dir irgendwie helfen?«

Karin hob den Kopf, versuchte aufzustehen, scheiterte jedoch bei dem Versuch, sich mit beiden Händen am Boden abzustützen. Stattdessen schrie sie auf und hielt ihre rechte Hand hoch.

Sie hatte allen Grund zum Schreien, dachte Cressida. Denn Karin hielt einen blutverschmierten Dolch in der Hand.

Die Fanfare wurde lauter, dann brach sie mitten im Klang ab.

Mord im Lesesaal

Подняться наверх