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Ledersessel I

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Wir sind der Meinung, dass sich das Menschsein erschöpft im Verstricktsein in Geschichten.

Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt

Erschöpft ließ er sich in den roten Ledersessel fallen. Die Luft war stickig hier im Lesesaal der Zürcher Museumsgesellschaft. Nur mit Mühe hatte er den Weg vom Fahrstuhl hinter sich gebracht. Er sollte mehr auf sich achten, jetzt, da er es sich leisten konnte. Den alten Körper auf Vordermann bringen, wieder zum Mann werden. Das Leben genießen, solange noch Zeit war, aus dem Vollen schöpfen. Eine Kur machen, Wellness nannte man das heutzutage, der nasse Brunnen, mit Worten spielen hatte ihm schon immer Spaß gemacht. Nicht, dass ihm das bis jetzt irgendetwas genützt hätte. Die Welt war undankbar. Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner, das hatte schon seine Mutter damals immer gesagt, ein hervorragender Ratschlag. Abgesehen davon war sie allerdings nicht gerade ein Vorbild gewesen.

Er lehnte sich zurück und sah sich in dem hohen Raum um. An den Wänden standen Bücherregale mit Nachschlagewerken, von denen manche sehr alt aussahen, mit Goldbuchstaben in Sütterlin-Schrift auf den verblichenen, am Rand ausgefransten Lederrücken. Die Säulen an den Wänden waren nicht aus Marmor gehauen, sondern mit Steinimitat bemalt, und die Ormolu-Uhr an der Wand kontrastierte mit den runden 60er-Jahre-Lampen, die von der mit Stuck verzierten Decke hingen. Aber insgesamt entstand eine Atmosphäre ehrwürdiger Ernsthaftigkeit. Das Ambiente des Lesesaals gefiel ihm. Es wirkte diskret schäbig mit klassizistischem Einschlag, eine Einrichtung des gehobenen Bürgertums, das es nicht nötig hatte, mit seinen Besitztümern zu protzen. Hier saßen die Menschen, die dazu beitragen würden, dass er selbst einmal keine Gedanken mehr an Geld zu verschwenden brauchte, sondern imstande sein würde, auf diskrete Weise sein Leben zu genießen. Viel Zeit dafür blieb ihm dafür allerdings nicht mehr, möglicherweise nur noch ein paar wenige Jahre, deshalb sollten seine Pläne möglichst schon in nächster Zukunft aufgehen. Und warum sollten sie es auch nicht, er hatte sich gut vorbereitet.

Die Wirkung des Stoffs, den er sich vorhin besorgt hatte, ließ viel zu schnell nach. Er brauchte etwas Stärkeres. Hoffentlich war seine erste Verabredung pünktlich, er wollte dafür in Bestform sein. Bestform, bevor die Bestie in seinen Eingeweiden aufwachte. Fast hätte er gelächelt. Ich bin eben ein Dichter, dachte er, immer dicht am Wort. Selbst wenn niemand das zu schätzen wusste.

Mord im Lesesaal

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