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LEANDER

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Und, was gedenkst du jetzt zu tun, junger Leander?«, fragte mich der Freund meines Vaters. »Jetzt, da du ja bereits fast alle Prüfungen erfolgreich absolviert hast?«

Ich hatte meine Prüfung tatsächlich mit einem glatten »Fehlerlos« bestanden. Norman hatte nur einen kleinen Fehler gemacht. Das war kein Problem, obwohl ich ihm angesehen hatte, dass er sich ärgerte.

»Nun ja, ich denke darüber nach, auf die Universität Felix Austria zu gehen. Sie hat einen sehr guten Ruf und das Schloss hat ein ausgezeichnetes Ambiente.«

Der Freund meines Vaters nickte. Seine Frau lächelte. Wie alles, was sie taten, sah es aus wie in Zeitlupe. Obwohl man sie auf zwanzig geschätzt hätte, waren die beiden nämlich schon sehr alt. Mein Vater hatte gesagt, dass sie eventuell bald auf den Mond fliegen würden.

»Nun.« Er senkte langsam den Kopf. »Das ist für jemanden wie dich natürlich ideal. Dein Vater hat mir schon etliche Male von deinen, nun ja, perfekten Noten berichtet. Da ist die Felix Austria eine vorzügliche Wahl.«

Mein Vater setzte hinzu: »Außerdem glaube ich, dass es für Leander dort genau die richtige Ausbildung gibt. Er ist schließlich in allen Fächern begabt. Ich nehme daher an, dass er sich dort viele Interessensgebiete ansehen kann, damit er etwas findet, das ihm gefällt.«

»Und es ist nicht allzu weit weg«, sagte meine Mutter lächelnd. Tirol war mit dem Zug rund drei Stunden entfernt.

»Das ist natürlich vorteilhaft«, stimmte die andere Frau zu und sah dann lächelnd ihren Mann an. »Schließlich möchte man ja sehen, wie es dem Nachwuchs so geht. Wann ist es denn soweit?«, fragte sie meine Mutter.

»Nun, Sheila«, antwortete meine Mutter, »wir wollen ihm nach dem Schulabschluss noch etwas Zeit lassen, also vielleicht in eineinhalb Monaten.«

Ach ja, der große Tag. Angeblich veränderte es nicht viel, doch ich war trotzdem irgendwie nervös, wenn es um das Unsterblichkeitsserum ging. Wenn man den Erwachsenen Glauben schenken konnte, dann spürte man es kaum. Ich nahm mir vor, meine Mutter danach zu fragen. Sie würde mich nicht auslachen.

Die Konversation ging weiter. Ich versuchte zuzuhören und bekam dabei mit, wie mein Vater seinen Freund fragte: »Isaac, ich hoffe ja, dass er sich gut macht … Jemand mit so viel Erfahrung wie du … Was denkst du?«

Isaac schien nachzudenken: »Man kann es natürlich nie wissen, es ist ja nicht berechenbar, aber meiner Erfahrung nach …«, er pausierte kurz. »Meiner Erfahrung nach entwickeln sich alle in der Regel großartig. Und so begabt, talentiert und offenherzig wie dein Sohn ist, wird das bestimmt kein Problem sein.«

Als ich an diesem Abend im Bett lag, dachte ich noch lange über das nach, was Isaac und mein Vater gesagt hatten. Also veränderte es einen doch. Unsterblichkeit. Wie es sich wohl anfühlte … Irgendwann schlief ich schließlich ein, mit dem festen Vorhaben, meine Mutter am Morgen auszufragen.

***

Als ich aufwachte, sah ich auf die Uhr. Es war halb elf. Da würde meine Mutter mit etwas Glück schon wach sein. Ich überlegte mir, wie ich verhindern konnte, dass mein Vater mitbekam, was los war. Er wäre enttäuscht. Ein Mann zeigte keine Schwäche. Nicht, wenn es nichts Lebensbedrohliches war, um das es ging.

Ich blieb noch etwas liegen, dann öffnete ich per Sprachbefehl die Jalousien und zog mich an. Ich ging hinaus, um zu frühstücken, ohne einen wirklichen Plan zu haben, wie ich es schaffen sollte, mit meiner Mutter allein zu reden. Meine Eltern saßen bereits mit ihren Robotern, Sally und Henry, am Tisch. Merlin stand an der Glasfront und gab vor, hinauszuschauen. Ich fragte mich, ob er in Wirklichkeit mit seiner Wärmebildkamera die Nachbarn in der nächsten Villa ausspionierte. Es beruhigte mich, dass er es mir nicht sagen würde, selbst wenn er es täte. Ich wollte es nämlich eigentlich gar nicht wissen.

»Guten Morgen, mein Sohn. Ich hoffe, du hast gut geschlafen«, riss mein Vater mich aus meinen Gedanken.

»Ähm ja, danke.«

»Guten Morgen, Leander!«, flötete meine Mutter. Anders konnte man es einfach nicht nennen. Sie verbreitete Lebensfreude und Wärme, wo immer sie war.

Ich nickte kurz. »Guten Morgen. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.«

Beide nickten. »Danke, setz dich doch. Merlin, würdest du Leander bitte ein Frühstück machen?«, fragte mein Vater unnötigerweise, denn Merlin stand bereits neben mir.

Meine Mutter lächelte und sagte, noch bevor Merlin sich entschuldigen konnte: »Hervorragend, und bitte, Cassander, stresse unseren lieben Merlin nicht so.« Sie verkniff sich ein Grinsen.

»Entschuldigen Sie vielmals, junger Herr Leander. Ich wünsche Ihnen einen vorzüglichen Morgen. Was hätten Sie denn gerne zum Frühstück?«

»Heute bitte einen Toast mit Butter, mein Omelett und ein Glas Milch. Ach ja, und etwas Obst. Was haben wir denn?«, fragte ich.

»Was Sie wünschen. Ich kann Ihnen alles besorgen, was Sie möchten, Leander, aber im Kühlschrank sind Feigen, Papayas, Äpfel, Birnen, Orangen …«

»Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Ich nehme drei Feigen, danke.«

»Entschuldigen Sie, Leander, ich wollte Ihre Nerven nicht überstrapazieren.«

»Ist schon gut, Merlin.«

Merlin nickte dankbar und ging dann in die Küche.

»Habt ihr schon gegessen?«, fragte ich meine Eltern.

»Ja, wir sind gerade fertig geworden.«

»Ihr könnt schon gehen, wenn ihr wollt, ihr müsst nicht warten, bis ich fertig bin«, sagte ich, in der Hoffnung, dass man mir nicht anhörte, wie gut ich das fände. Wenn beide in ihren Büros wären, dann wäre es viel leichter, meine Mutter allein zu erwischen.

»Das wäre sehr unhöflich!«, widersprach mein Vater.

»Es ist schon gut, Cassander. Ich kann ja hierbleiben. Geh nur und arbeite weiter. Soweit ich weiß, musst du ein Skript bis Mittwoch fertig machen, oder nicht?«, fragte meine Mutter lächelnd. Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu und ich fragte mich, ob sie Gedanken lesen konnte.

»Wenn du es sagst. Ich muss tatsächlich noch arbeiten.« Mein Vater war Manager in einem hochrangigen Unternehmen und obwohl er relativ wenig zu tun hatte, verbrachte er oft Stunden damit, Vorschläge auszuformulieren. Da das Unternehmen, abgesehen von den von der Regierung vorgeschriebenen Redblood-Zweigstellen, nur Roboter einstellte, hatte mein Vater kaum aktiven Dienst. Er war dafür zuständig, den Betriebsrat, der aus acht Leuten bestand, auf mögliche Gesetzesänderungen hinzuweisen und Ideen für die zukünftige Gestaltung des Unternehmens zu liefern. Die meiste Zeit schrieb er diese Abhandlungen von zuhause aus.

Meine Mutter lächelte und mein Vater ging mit Henry gemeinsam hinaus. Kurz darauf brachte Merlin mein Frühstück und ich begann zu essen. Meine Mutter wirkte völlig entspannt, aber das konnte auch ein Trick sein, denn egal, wie emotional sie war, sie konnte ihre Gefühle genauso gut verstecken wie mein Vater.

Als ich aufgegessen hatte, schickte meine Mutter Sally zum Wäschewaschen und Merlin, um eine Drohne mit neuen Büchern in Empfang zu nehmen. Dann nahm sie mich bei der Hand und führte mich in ihr Büro. Sie zog sanft die Tür hinter uns zu und verriegelte sie mit dem elektronischen Sicherheitssystem. Ich hatte recht gehabt. Mit ihrem sechsten Sinn für andere Menschen hatte sie längst bemerkt, dass mich etwas beschäftigte.

Sie setzte sich auf ihr Sofa. Ich wusste, dass meine Mutter gerne las, und hatte sie schon öfter auf dem Sofa liegen gesehen. Ich entschied, dass ich später auch einmal so eine Couch haben wollte. Sie war viel bequemer als ein Sessel.

Jedenfalls setzte ich mich neben sie. Kaum sah ich sie an, verschwand die entspannte Maske von ihrem Gesicht und über ihre Stirn zogen sich tiefe Sorgenfalten. »Also, Leander, was hast du auf dem Herzen?«, fragte sie mich.

Ich atmete tief durch. »Also, das wird jetzt lächerlich klingen, aber ich habe über das nachgedacht, was Dad und Isaac gestern gesagt haben. Über … du weißt schon … den großen Tag …«

Meine Mutter schürzte ihre Lippen und schwieg kurz. Dann sah sie mich an und fragte sanft: »Was weißt du denn über die Initiation?«

Ich dachte kurz nach. »Nicht viel. Nur … das Unsterblichkeitsserum und … sonst nichts.«

Sie senkte kurz den Blick, und als sie ihn wieder hob, meinte ich, schon wieder Tränen in ihren Augenwinkeln zu sehen, doch als sie sprach, war ihre Stimme klar: »Sie erklären dir das dann alles noch einmal, aber damit du keine Angst hast, kann ich dir das Wichtigste zusammenfassen: Zuerst einmal hat es eigentlich keinen Einfluss auf deine Gedanken. Es ändert vielleicht, wie du etwas wahrnimmst, aber deine Gedanken bleiben so wie sie sind.« Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr.

»Es ändert deinen Körper. Nicht stark, aber du wirst nicht mehr krank und bist dann stärker.« Sie nahm ein Blatt Papier von ihrem Schreibtisch und presste es so fest zusammen, dass es ungefähr die Größe meines Daumennagels hatte. »Es ist nicht so, als würdest du jetzt plötzlich zum Superhelden werden, das wäre zu gefährlich …« Ihre Stimme wurde leiser und sie sah kurz zu Boden. Ich wunderte mich, doch bevor ich darüber nachdenken konnte, fuhr sie mit höherer Geschwindigkeit fort, sodass ich mich konzentrieren musste, um nichts zu verpassen.

»Jedenfalls bist du stärker. Auch deine Haut wird widerstandsfähiger. Ich könnte mich nie mit einem Papier schneiden und kaum mit einem Messer. Aber es bewahrt dich natürlich nicht vor allem, also werde nicht übermütig. Außerdem nimmst du die Welt anders wahr. Du hast ein besseres Gedächtnis und alles kommt dir langsamer vor. So, als wärst du in einem Zeitlupenfilm gelandet. Es ist nicht viel, aber man passt sich an. Während du dir jetzt aus der Schule alles gemerkt hast, was wichtig für dich war, wirst du dich nicht nur an alles, was du an der Universität je lernen wirst, erinnern, sondern an viel mehr. Da du einen zusätzlichen Sinn für Zeit entwickelst, fallen dir andere Dinge auf. Ich weiß zum Beispiel instinktiv, dass ich früher durchschnittlich vierzig Sekunden gebraucht habe, um eine Buchseite zu lesen – jetzt sind es zwanzig. Vor der Initiation weiß ich gar nicht mehr, wie lange ich gebraucht habe.« Sie dachte kurz nach. »Vielleicht zwei Minuten?« Sie lachte. »Egal. So etwas würde dir jetzt nie auffallen. Und ich weiß auch, dass ich schneller geworden bin. Mit jeder Buchseite, die ich lese, werde ich schneller. Verstehst du?«

dist also nicht … unangenehm?«, traute ich mich schließlich zu fragen.

»Es ist nicht wirklich schmerzhaft, nein. Aber es ist natürlich für jeden anders.« Als sie den letzten Satz sagte, sah sie zu Boden.

Goldmond

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