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ELENA

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Grace kommt in zwei Wochen!«, jubelte meine Mutter und wedelte mit dem Brief vor meiner Nase herum. Mein Vater hinter mir fing an zu lachen und schloss meine Mutter in die Arme. Ich lächelte und griff nach dem Brief.

Liebe Mama, lieber Papa, liebe Elena!

Luke und ich haben beschlossen, in zwei Wochen zu kommen. Luke geht es schon besser und voraussichtlich wird sich das gut ausgehen. Allerdings solltet ihr nicht vor Freitag mit uns rechnen, denn wir müssen noch eine Woche hierbleiben, bevor wir uns auf den Weg machen dürfen, sagt der Arzt, am besten eineinhalb.

Wir hoffen, dass es euch gut geht, und wünschen euch schöne eineinhalb Wochen!

Liebe Grüße,

Grace und Luke

Ich las den Brief zweimal, um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht verlesen hatte, dann gab ich ihn meiner Mutter zurück und machte mich lachend auf den Weg, um Wasser zu holen.

Als ich durch die Straßen ging, dachte ich über meine Schwester nach. Ich hatte sie immer als Vorbild betrachtet. Sie war ausgeglichen, fröhlich, meistens höflich und erledigte ihre Arbeiten, ohne zu klagen. Wie machte sie das nur?

Ich lächelte. Vermutlich war sie einfach ein besserer Mensch als ich. Egal, was es war, ich musste sie einfach liebhaben. Sie brachte immer etwas Sonne ins Haus. Und das hatten wir alle dringend nötig.

Ich fing an zu hopsen, als der Brunnen in Sicht kam. Ich hängte meinen Kübel auf und wartete, bis die Maschine ihn vollgefüllt und wieder hinaufgezogen hatte. Dann machte ich mich auf den Rückweg durch die Straßen.

In Gedanken immer noch bei meiner Schwester, hörte ich plötzlich eine tiefe Stimme hinter mir grölen. »Denen werden wir es zeigen, verdammte Tyrannen. Wir sind auch Menschen. Rotes Blut zählt!«

Ich fror mitten in der Bewegung ein und blieb stehen. Ich hörte Gelächter und zustimmendes Gemurmel und mir fiel auf, dass es eine größere Gruppe sein musste. Bevor ich meine Beine wieder bewegen konnte, rempelte mich einer der Männer von hinten an. Das Wasser im Kübel schlackerte und spritzte auf meine löchrigen Sandalen. Die Männer lachten einstimmig und gingen rechts und links an mir vorbei.

»Ich will blaues Blut sehen«, zischte der eine und ich sah, wie ihm einer der anderen auf die Schulter klopfte.

»Wohin sollen wir nochmal?«, fragte ein anderer.

»Der Fuchs hat gesagt, dort lang.« Ein schwarzhaariger Mann zeigte in die Ferne. Ich sah dort nur Hütten, aber alle nickten, so als wäre das jetzt geklärt.

Erst als die Gruppe um eine Ecke verschwunden war, setzte ich meine zitternden Beine in Bewegung. Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken und mein Magen drehten sich um die Wette. Ich konnte nicht sagen, was es war, das mich so krank machte. Vielleicht die raue, unverschleierte Brutalität, die fühlbare Mordlust in ihren Augen. Oder vielleicht die Tatsache, dass sie diese Augen auf mich gerichtet hatten. Ich fragte mich benommen, ob sie mich wohl als mögliches Mitglied ihrer Gruppe sahen. Schließlich waren wir alle Redbloods. Trotzdem fühlte ich mich ihnen nicht näher als den Adeligen.

Mir wurde klar, dass die Revolution, die sie laut meinem Vater anzetteln wollten, sie wohl alle das Leben kosten würde. Und nicht nur sie. Es würden auch Unschuldige für ihr Verhalten bezahlen müssen.

Als ich vor unserer Hütte angekommen war, fühlte sich mein Kopf an, als wäre ich vier und würde das Drehspiel mit meinem Vater spielen. Das, wo er mich an den Händen nahm und sich dann so schnell drehte, dass ich mich fühlte, als könnte ich fliegen.

Meine Mutter stand am Ofen und drehte sich nicht einmal um, als ich hereinkam.

»Stell das Wasser hierhin, ich brauch’s. Und wenn du schon dabei bist, geh doch Holzhacken in den Garten.« Ich zögerte, und als ich nicht antwortete, wurde meine Mutter ungeduldig. Sie schmiss ihren Fetzen auf den Tisch.

»Wie. Oft. Muss. Ich. Dir. Noch. Sagen. Dass. Ich. Das. Nicht. Zum. Spaß. Mache. Ich. Muss. Diese. Familie. Ernähren.« Sie drehte sich zu mir um, um mit ihrer Strafpredigt fortzufahren. »Und. Ich. Erwarte. Von. Dir …« Sie stockte, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. »Was ist los?«

»Hat Dad dir von dieser Gruppe erzählt, die die Adeligen stürzen will?«, fragte ich tonlos und stellte den halbvollen Kübel ab.

»Ich habe euch gehört, letztens.« Meine Mutter starrte mich mit blitzenden Augen an. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.

»Ich habe gerade welche von denen getroffen«, fuhr ich rasch fort, in der Hoffnung, sie abzulenken. »Und …« Mir blieben die Worte im Hals stecken. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, so als könnten sie fliegen …

Meine Mutter schlug die Hände zusammen. Zuerst dachte ich schon, sie würde mich schlagen. »Das ist doch gut. Wird Zeit, dass sich mal jemand für uns einsetzt. Die haben nämlich ganz recht, rotes Blut zählt.«

Ich hörte, wie sie weitersprach, doch die Worte erreichten mich nicht mehr. »Wie … Wie kannst du sie verteidigen?«, fragte ich schließlich entsetzt. »Sie wollen sie alle ermorden! Sie … Sie werden mit den Adeligen einen Krieg anzetteln! Einen Krieg, den wir verlieren werden! Überleg doch mal!«, schrie ich mit schriller Stimme. »Denen ist es egal, was mit uns passiert! Die würden sich über jede Ausrede freuen, um uns abzuschlachten!«

Meine Mutter zuckte mit den Schultern. »Was wir hier haben, ist kein Leben, Elena. Wir werden kämpfen, und wenn wir verlieren, dann verlieren wir eben. Mach dir nichts vor, die Adeligen sind keine Götter, die Blitze auf die Sterblichen schleudern.« Sie schnaubte verächtlich.

»Und jetzt geh raus. Die Frau Schwarzmann von gegenüber hat uns wieder ihre Ration Holz geschenkt. Ich habe ihr schon einen Teller Reis rübergebracht.« Und damit schnappte sie sich meinen Wasserkübel und sagte in einem harten Ton: »Und wenn ich höre, dass du noch einmal private Gespräche zwischen deinem Vater und mir belauschst, dann knallt’s. Aber richtig.« Und damit stellte sie sich wieder an den Ofen.

Ich ging stumm hinaus. Ich wollte weit weg sein, wenn sie sah, dass ich die Hälfte des Wassers verschüttet hatte. Ich würde später nochmal gehen müssen.

Ich holte mir das Holz der gebrechlichen alten Nachbarin, das vor ihrer Tür lag. Sie war zu schwach, um mit ihrem noch etwas anzufangen und heizte nur mit dem elektrischen Ofen. Ich trug die ihr zugeteilten Scheite hinter unser Haus. Frau Schwarzmann tauschte ihr Holz schon seit Jahren gegen Reis oder Brot oder etwas anderes zu essen.

Ich genoss das Holzhacken. Es tat gut, meinen Ärger an den dicken Scheiten auszulassen. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass meine Mutter die Revolution verteidigt hatte. Ich konnte mich noch erinnern, dass mein Vater einmal gesagt hatte, kein Zweck würde die Mittel heiligen.

Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, das Ganze mit meinem Vater zu besprechen. Oder mit Grace oder mit irgendjemand anderem. Mehr als je zuvor sehnte ich mich nach einem Gesprächspartner. Ich wollte in den Arm genommen und gestreichelt werden. Ich wollte, dass man mir sagte, dass alles gut werden würde. Ich wollte ein echtes Kind sein, nicht eine Redblood.

Doch so eine Kindheit hatte ich nie gehabt. Keiner hier hatte je Zeit gehabt, um mich in die Arme zu nehmen. »Wir sind doch hier nicht bei den Adeligen«, würde man sagen und mir ungestüm die Tränen von den Wangen wischen. Und am besten noch fest in den Rücken stoßen: »Geh spielen.« Nicht wie bei den Adeligen, dachte ich bitter und spaltete noch ein Stück Holz.

Goldmond

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