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ELENA

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Heute war ein Tag wie jeder andere. Es gab nicht viel Neues. Meine Schwester würde bald zu Besuch kommen, doch sonst blieb alles wie immer. Glücklicherweise verlief der Winter mild. Das freute meine Eltern, denn das sparte Feuerholz und sorgte gleichzeitig dafür, dass wir weniger froren, was wiederum die Stimmung hob.

Ich stand auf und holte Wasser, frühstückte und machte mich auf den Weg in die Arbeit.

Ich arbeitete am Fließband. Meine Aufgabe war es, Waren zu sortieren. Normalerweise bekam jeder, wenn er mit der Arbeit anfing, einen Job zugeteilt und verrichtete ihn, bis er nicht mehr konnte, weil er zu alt wurde oder starb.

Ich musste blitzschnell sein. Eine Ware nehmen, auf das richtige Fließband schieben, die nächste nehmen …

Doch wenn etwas bereits verpackt war, dann musste ich es flink und feinsäuberlich in eine Schachtel räumen und, wenn diese voll war, schnell eine neue auseinanderfalten. Es war ein anstrengender Job und doch gut zum Nachdenken. Normalerweise überlegte ich mir, was ich machen würde, wenn ich Geld oder einen Mann hätte. Heute jedoch dachte ich an ein Nachbarsehepaar, bei dem eingebrochen worden war. Ich hatte mich immer gefragt, warum diese Leute anderen etwas wegnahmen, wenn sie doch selbst wussten, wie es war, so wenig zu haben. Wir waren alle arm, aber in gewisser Weise schweißte uns die Armut zusammen. Außerdem konnten wir von der Fabriksarbeit ganz gut leben. Es zahlte sich nicht aus, beim Stehlen eine Verhaftung zu riskieren. Leider wurden aber nicht alle Diebe erwischt und stahlen weiter.

Als ein paar wunderschön bestickte T-Shirts in Bio-Plastik am Fließband an mir vorbeifuhren, wurden meine Gedanken unterbrochen und ich vergaß den Vorfall.

Als mein Vater und ich nach Hause kamen, hatte meine Mutter bereits Essen gekocht. Ich fragte mich, ob ich ihr erzählen sollte, dass bei den Nachbarn eingebrochen worden war. Ich wusste es auch erst seit gestern, als ich ein Gespräch am Brunnen belauscht hatte. Ich wollte nicht, dass sie ausflippte. Aber sie sollte es wissen, damit sie unser Haus nicht unbeaufsichtigt ließ. Doch sobald ich den Reis roch, war ich so hungrig, dass ich nicht mehr aufhören konnte zu essen.

Als ich endlich fertig war, hatten meine Eltern auch schon aufgegessen. »Warte«, sagte ich, als meine Mutter gerade aufstehen wollte. »Ich muss euch noch etwas erzählen.«

»Was ist denn so Spannendes passiert? Laufen die Fließbänder seit heute von rechts nach links statt von links nach rechts, oder was?«, meckerte sie, doch sie hielt in der Bewegung inne.

»Also … ähm … Als ich gestern beim Brunnen war …«

»Als du gestern beim Brunnen warst, hab‘ ich hart gearbeitet!«, murmelte sie mürrisch vor sich hin. Auf einmal wurde mir bewusst, dass sie auch nicht mehr die Jüngste war. Musste ich ihr wirklich davon erzählen? Machte es einen Unterschied? Vermutlich nicht. Sie passte ja ohnehin auf. Und ich wollte nicht mit ihr streiten. Je älter sie wurde, umso gereizter wurde sie. Vielleicht lag es am Alter, oder aber daran, dass ich jeden Moment ausziehen könnte.

»Ach nichts«, murmelte ich. »Wenn’s dich nicht interessiert, dann mach weiter.«

»Was ist?«, rief sie. Sie wurde bereits schwerhörig … Ich zuckte zusammen, als mir klar wurde, wie alt sie sein musste, und auch wenn meine Mutter oft keifte, so hatte ich sie doch lieb. Sie zu verlieren …

»Was ist?«, brüllte sie mir ins Ohr.

»Nichts, Mutter. Mach den Abwasch«, antwortete ich und hielt mir mein Ohr. Ich hoffte, dass ich nicht taub werden würde.

»Ach, und dafür schreckst du mich auf! Du … du …« Sie fuchtelte mit ihrer Faust in der Luft herum. »Wirklich!« Sie wurde wieder leiser, doch ich hörte sie noch lange brummeln. Ich sah zu meinem Vater. Auch er war nicht mehr der Jüngste. Ich zuckte zusammen. Nicht darüber nachdenken, mahnte ich mich. Es half nichts.

Goldmond

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