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LEANDER

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Ich saß gerade am Frühstückstisch, mein Lesestein lag, gemeinsam mit meiner leider noch nötigen Stirnelektrodenspange, neben meinem Teller. Ein Omelett, ein Toast und eine Tasse Schwarztee mit Milch standen vor mir.

Ich legte meine Hand auf den Lesestein, um ein Buch auszuwählen, und fing an zu lesen. Ich liebte es, wie die Welt vor meinen Augen verschwand und durch Buchseiten ersetzt wurde. Ich streckte meine Finger aus und plötzlich wurde meine Teetasse mitten in der Seite sichtbar, kaum, dass ich daran gedacht hatte, etwas zu trinken. Ich nahm einen Schluck und stellte die Tasse wieder ab. Als meine Finger den Henkel losgelassen hatten, überdeckten die Buchseiten wieder die Tasse. Mein Vater saß mir gegenüber und räusperte sich. Sein Gesicht ersetzte die Buchseiten und ich setzte widerwillig die Elektrodenspange ab. Er hatte soeben sein Besteck ordentlich auf den Teller gelegt. Nun musterte er mich mit seinen grauen Augen.

»Leander, ich würde gerne nach dem Frühstück mit dir sprechen, wenn es nicht gerade sehr ungelegen kommt.«

Ich sah sehnsüchtig auf meinen Lesestein. Ich las gerade alte Klassiker – aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Na ja, mein Vater nannte sie Klassiker, aber eigentlich waren es Fantasy-Bücher. Und ich war gerade mitten im dritten Harry-Potter-Band.

»Klar, Dad. Das sollte kein Problem sein«, sagte ich und lächelte. Er nickte zufrieden, dann lehnte er sich zurück und wartete darauf, dass Henry seinen Teller abdeckte.

Ich aß unter den strengen Augen meines Vaters auf und schickte Merlin, um die Küche aufzuräumen. Dann schnappte ich mir meinen Lesestein und folgte meinem Vater in sein Arbeitszimmer.

Sein Büro war ganz anders eingerichtet als das meiner Mutter. Sie hatte es hauptsächlich in Gelb gehalten, damit es heller wirkte. Ihr Sofa war orange und ihr Schreibtisch rotbraun. Es sah sehr sonnig, warm und freundlich aus. Es spiegelte ihren Charakter wider. Das war auch bei dem Büro meines Vaters so, doch es war weiß und wirkte stets klinisch sauber. Der große Lehnstuhl war mit grauem Kunstfaserstoff bezogen und sein geräumiger Schreibtisch war ebenfalls weiß und makellos. Meine Mutter hatte eine kleine Taschentuchbox für mich, ein paar Stifte, die sorgfältig in einem Becher steckten, und eine rote Lampe. Bei meinem Vater war alles farblos und fast schon pedantisch geordnet.

»Setz dich«, sagte mein Vater und ging hinüber zu seinem grauen Schreibtischstuhl. Ich setzte mich in seinen Lehnstuhl und wartete. Er würde schon mit dem herausrücken, was er von mir wollte. Was immer es war.

»Leander, ich wollte noch mit dir über die Planung der nächsten paar Wochen reden. Nächste Woche ist der große Tag, wie du weißt, aber ich wollte dich fragen, wann du den Zug ins Felix Austria nimmst. Es fährt einer drei Tage danach, eine Woche danach oder zehn Tage danach.« Er pausierte kurz und legte dann die Spitzen seiner blassen, eleganten Hände aneinander, wie es die Detektive in den alten Romanen immer taten. »Selbstverständlich kannst du auch erst später fahren, wenn du möchtest. Es eilt schließlich nicht.«

»Ich denke, dass Norman den zweiten Zug nimmt, also werde ich den auch nehmen, er geht schließlich auch ins Felix Austria.«

»Natürlich. Dann ist das also geklärt, aber ich wollte dich noch fragen, ob du schon fertig gepackt hast …« Er wurde immer leiser und sah zur Tür. Ich drehte meinen Kopf und sah, dass meine Mutter ihren Kopf hereingesteckt hatte. Auf ihrer Stirn waren tiefe Sorgenfalten zu sehen.

»Was ist, Mary?«, fragte mein Vater und stand in einer flüssigen Bewegung auf, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen.

»Es geht um Merlin. Er ist abgestürzt. Ich habe Sally schon gebeten, ihn zu reparieren, aber er schaltet sich immer wieder ab.« Sie seufzte. Die Falten auf ihrer Stirn wurden ausgeprägter.

»Ich werde es mir ansehen. Leander, hast du nun schon gepackt, oder noch nicht?«

»Merlin hat bereits alles, was ich nicht mehr benötige, eingepackt. Den Rest werde ich wohl ohne Merlin einpacken müssen … Aber ich denke, dass ich das schaffen werde.«

Mein Vater nickte und ging ins Wohnzimmer, um sich Merlin anzusehen. Ich folgte ihm, doch meine Mutter packte mich nach ein paar Schritten am Arm. »Sag ihm, dass er Henry um Hilfe bitten soll. Er kennt sich da gut aus.«

Ich nickte und eilte dann hinaus. Henry war der begabteste Roboter in unserer Familie, was Reparaturen anbelangte. Obwohl er ziemlich alt war, da mein Vater alte Sachen liebte, war er von guter Qualität. Mein Vater hatte sich geweigert, unser Haus komplett gedankensteuerbar zu machen und fand, dass ein Roboter ein Freund fürs Leben und nicht ein gedankengesteuerter Körper sein sollte. Freund fürs Leben. Ich seufzte.

Ich fand meinen Vater im Wohnzimmer. Er und Henry standen über Merlins starren Körper gebeugt und wirkten hochkonzentriert. Also hatte mein Vater die gleiche Idee gehabt wie meine Mutter. Seelenverwandte, dachte ich. Lächelnd schüttelte ich den Kopf und ging dann in mein Zimmer, um meine restlichen Sachen einzupacken.

Ich machte mir zwar ein bisschen Sorgen, dass Merlin bis zur Abreise nicht repariert sein würde, aber ich konnte ihn immer noch bitten, nachzukommen, oder im schlimmsten Fall selbst später fahren. Es würde niemanden stören. Ob in den Kursen 20 oder 21 Leute saßen, machte kaum einen Unterschied. Zum Glück gab es keinen einheitlichen Zeitpunkt, zu dem das Schuljahr anfing oder aufhörte. So konnte jeder – und jetzt auch ich – kommen, wann er wollte.

Ich seufzte und begann, meine Kleider in einen Koffer zu packen. Hoffentlich konnte Andy, Normans Roboter, mir helfen, den Koffer in den Zug zu heben. Er war ganz schön schwer.

***

Einige Zeit später kam Henry herein und bat mich, mit nach draußen zu kommen. Er und mein Vater hatten einen Virus entdeckt. Ich folgte Henry bis zu dem Wrack, zu dem Merlin geworden war und das hoffentlich bald wieder mein bester Freund sein würde.

»Du kennst ihn am besten, Leander. Ich wollte, dass du mir hilfst, ihn neu zu starten«, sagte mein Vater, ohne sich umzudrehen. Ich fragte mich, woher er wusste, dass ich schon da war. Supergehör vermutlich. »Wenn wir Glück haben, dann startet er einfach neu, ohne uns Fragen zu stellen, aber ich weiß nicht, wie viel der Virus beschädigt hat. Ich habe ihn deinstalliert, aber Merlin hat sich zum Schutz abgeschaltet …« Mein Vater redete weiter, doch ich war mir nicht mehr sicher, ob er nicht mit sich selbst redete.

Schließlich drückte mein Vater den Einschaltknopf am Rücken des Roboters und Merlin erwachte zum Leben. Seine blauen Augen öffneten sich und er blickte uns einem nach dem anderen ins Gesicht. »Systemneustart. Bitte geben Sie Ihr Passwort ein.« Mein Vater seufzte. »Leander?«

Ich kniete mich hin und gab auf der holografischen Tastatur mein Passwort ein. »Sie sind eingeloggt als Leander Soleil Merrywith. Ihre Daten werden geladen.« Merlin machte eine kurze Pause und mein Vater bemerkte: »Wirkt ganz gut. Immerhin ist das Personalgedächtnis noch intakt. Gut, dass er sich von selbst abgeschaltet hat, sonst hätten wir jetzt ein ernsthaftes Problem. Bleib aber bitte trotzdem noch da, Leander. Er wird dich identifizieren wollen. Du weißt schon, Iris-Scan und so weiter.« Ich nickte.

Die nächsten paar Stunden brachte ich damit zu, Merlin mein Gesicht scannen zu lassen, Merlins Fragen zu beantworten und Virenscans durchzuführen. Merlin schien einwandfrei zu funktionieren. Ich konnte nur hoffen, dass das auch so bleiben würde.

Goldmond

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