Читать книгу Goldmond - Tamara Glück - Страница 17

LEANDER

Оглавление

Ich erwachte mit dem Gefühl, dass irgendetwas ganz fürchterlich schief gegangen war. Ich fühlte mich so … anders. Sollte das so sein?

Dann erinnerte ich mich wieder. Unsterblichkeit. Ich versuchte, mich an die letzten paar Stunden zu erinnern, aber das Letzte, das ich noch wusste, war, wie Maria sich über mich gebeugt und gesagt hatte: »Mach einfach die Augen zu. Vertrau mir.« Ich hatte zwar die große Spritze in ihrer Hand kritisch beäugt, aber dann hatte ich an meinen disziplinierten Vater gedacht und die Zähne zusammengebissen. Meine Lider schlossen sich und dann … nichts. Ich wusste es nicht mehr. Hoffentlich war alles gut gegangen.

Ich atmete tief durch, wobei ich bemerkte, wie anders das klang. Ich konnte hören und spüren, wie die Luft meinen Hals hinauf und hinunter strömte. Dann öffnete ich meine Augen.

Ich lag in einem anderen Zimmer. Vermutlich hatte Maria mich die Wendeltreppe hinaufgetragen, denn links von mir erstreckte sich eine Glasfront. Ich lag in einem bequemen Bett und Maria saß am anderen Ende des Raumes. Wieder sagte sie nichts. Sie sah mir einfach nur zu. Ich blinzelte noch einmal. Alles war so … detailreich. Es war kein großer Unterschied, aber ich konnte sehen, wie sich die Lichtstrahlen an den Glasscheiben brachen. Wie sich Marias Brust beim Atmen hob und senkte. Ich konnte im Holzboden ganz neue Muster entdecken.

Die Lampe, die genauso aussah wie die im Zimmer darunter, schien einzelne Lichtstrahlen zu werfen und nicht nur einen Lichtkegel. Maria blinzelte. Ich konnte aus fünf Metern Entfernung hören, wie sie Luft holte.

»Guten Nachmittag«, sagte sie leise. Ich konnte sie ganz klar hören. Intuitiv merkte ich mir, an welchen Stellen ihre Stimme nach oben ging und an welchen nach unten. Maria lächelte und legte den Kopf schräg.

Ohne darüber nachzudenken, analysierte ich den Winkel zwischen ihrem Kopf, ihren Schultern und ihren Mundwinkeln.

Dann stand sie auf und zog die hauchdünnen Vorhänge auf. Meine Augen beobachteten jeden ihrer Schritte. Ich analysierte, wie sie ihre Füße abrollte. Wie sie ihr Gewicht verteilte. Doch dann sah ich hinaus und alles war vergessen.

Ich konnte jedes Blatt auf dem Baum vor dem Fenster sehen. Ich konnte auf die nächsten 500 Meter jede Baumart bestimmen. Ich konnte abschätzen, auf wie viel Meter Seehöhe die Hügel lagen. Ich konnte trotz der unterschiedlichen Entfernungen ganz klar sagen, welcher Baum der höchste im ganzen Wald war. Es war eine Kiefer, vielleicht siebzig Jahre alt. Ich wusste, welcher Berg der höchste war. Ich konnte sehen, wie die Sonnenstrahlen, die von der Hauswand reflektiert wurden, in den Wald zurückfielen. Es war nur eine Andeutung. Eine hellere Stelle, aber das genügte meinen scharfen Augen.

Ich sah zu Maria. Sie hatte sich wieder in den Couchsessel gesetzt. Ich hatte das nicht aktiv bemerkt, aber es überraschte mich auch nicht. Vermutlich hatte mein Unterbewusstsein registriert, dass sie sich hingesetzt hatte.

»Es ist viel zu verarbeiten. Ich weiß. Lass dir ruhig Zeit.«

Ich nickte und passte mich dabei automatisch ihrem für mich jetzt zu langsamen Tempo an. »Ist … Ist alles gut gegangen?«

Sie sah kurz zu Boden. Ich hörte, wie mir die Luft im Hals steckenblieb.

»Es gab eine kleine Komplikation. Aber es scheint alles zu stimmen. Deine Vitalwerte sind normal. Aber ich werde dich nachher noch einmal untersuchen müssen.« Sie rang sich ein Lächeln ab. Ich sah, wie künstlich es wirkte. »Du wirst wohl noch etwas hierbleiben müssen.« Diesmal wirkte ihr Lächeln echter. Ich war trotzdem nicht beruhigt. Ich sah aus dem Fenster.

»Es tut mir leid«, murmelte sie. Ich drehte mich zu ihr um. Wieder hatte sie den Kopf gesenkt. Ich hörte, wie sie ganz bewusst tief Luft holte.

»Was ist passiert?«, fragte ich.

Sie schluckte und sah auf. Sie machte eine müde Geste mit der Hand. »Die Technik hatte einen Ausfall. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich hatte Glück, dass ich es rechtzeitig bemerkt habe. Wenn nicht …« Sie sprach nicht weiter, doch schließlich murmelte sie so leise, dass ich es vor ein paar Stunden sicher nicht einmal bemerkt hätte: »Das wäre unschön gewesen.«

Sie sah wieder zu Boden. Ich schwieg. Diesmal war die Stille schwer wie Blei. Ich schluckte noch einmal. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre … Ich wollte gar nicht daran denken. Ich dachte daran, dass sich vorher alles so schrecklich falsch angefühlt hatte.

Ich hörte etwas, das wie ein Schluchzen klang. Ich sah Maria an. Sie hatte ihr Gesicht in die Hände gelegt. Ich wartete ein paar Minuten, doch langsam bekam sie sich wieder in den Griff.

»Hey, es ist ja nicht deine Schuld. Ich hatte Glück, dass du da warst.«

Sie sagte nichts, doch ihr Atem normalisierte sich.

»Wenn du so weit bist, dann würde ich gerne ein paar Tests durchführen.«

Ich nickte und schlug die Decke zurück. Ich ging die Wendeltreppe hinunter und Maria folgte mir. Ich erkannte am Klang, dass es Holzstufen waren. Komisch, früher hätte ich meine jetzt so leisen Schritte auf keinen Fall gehört. Ich schüttelte den Kopf.

Konzentration, mahnte ich mich. Dann setzte ich mich auf den Sessel. Um mich herum erschienen holografische Bildschirme und zeigten meinen Herzschlag, meinen Atemrhythmus und alle möglichen anderen Vitalzeichen.

Maria warf einen schnellen Blick auf die Bildschirme, ihre Augen scannten jeden einzelnen und blieben schließlich an mir hängen. Sie lächelte unsicher.

»Sieht alles ganz gut aus.«

»Siehst du?«, sagte ich, obwohl auch mir eine Last von den Schultern fiel.

»Ich hatte es mir ohnehin gedacht, aber …« Sie beendete ihren Satz nicht. »Na ja … So, fangen wir an. Wir wollen alle Möglichkeiten ausschließen.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich konnte es auf dem Bildschirm sehen. Ich atmete tief durch. Er normalisierte sich wieder. Trotzdem fühlte ich mich nervöser als zuvor.

»Also …«, fing Maria an, »halte bitte den Atem an.«

Neben ihrer Hand schwebte ein holografisches Tablet, das eine Stoppuhr zeigte.

Mein Atem setzte aus.

Goldmond

Подняться наверх