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Als Tully in die Stadt zurückkam, machte er Abbotts Buchhandlung ausfindig, in der er sich eigentlich mit dem Bürgermeister hatte treffen wollen. Er war verärgert und ein wenig beleidigt, als er den Laden geschlossen und an der Tür eine Notiz vorfand, die ihn in Kenntnis setzte, dass Ambrose Abbott sich für den Nachmittag abgesetzt hatte. Der Zettel wies Tully an, das Ratsmitglied Harlan King aufzusuchen, der ihn erwartete und ihm die Schlüssel seines neuen Quartiers übergeben würde. Tullys Laune besserte sich leicht, als er Kings Adresse sah: Sie war mit der Konditorei identisch, deren herrliche Düfte ihn schon zuvor beinahe verführt hatten.

Vor dem Geschäft nickte Tully einigen alten Männern zu, die den Tag rauchend, Kaffee trinkend und sich unterhaltend auf einer Bank verbrachten. Vor ihnen auf dem Boden stand eine leere, hellrote Schachtel mit dem Schriftzug der Konditorei. Das Gesamtbild war so urig, dass Norman Rockwell es nicht besser hätte malen können.

Die Konditorei war klein, aufgeräumt und makellos sauber. Ein halbes Dutzend Tische mit Stühlen säumte den Boden vor dem Panoramafenster. Deckenventilatoren rührten träge die Luft um, und der Geruch von frisch gebackenem Brot und Kuchen war unwiderstehlich. Es waren keine Kunden anwesend, und es stand auch niemand hinter der fleckenlosen Glastheke, doch aus der Backstube, die man durch eine weiße Schwingtür betreten konnte, ertönte ein fröhliches Pfeifen. Tully klopfte auf eine silberne Glocke, die auf der Theke stand, und sofort rief eine angenehme Stimme: »Einen Moment!« Dann kam ein weiß gekleideter Mann aus der Backstube, der ein Tablett mit frisch glasierten Donuts trug.

Tully lief das Wasser im Mund zusammen. Gebäckteile, besonders Donuts, waren sein Untergang. Er gab sich alle Mühe, dieses Laster zu verheimlichen, denn ein Cop, der auf Donuts stand, war dazu verdammt, am Spott seiner Kollegen zu sterben.

»Was darf’s denn sein?« Der Konditor war ein kräftiger, breitschultriger Mann über fünfzig, dem es allem Anschein nach Vergnügen machte, seine eigenen Produkte zu vertilgen. Er zog ein leeres Tablett aus dem Fach unter der Theke und schob das frische hinein. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und lächelte Tully an. Auf seinen rosigen Wangen bildeten sich Grübchen. Seine hellblauen Augen funkelten unter allmählich schütter werdendem sandfarbenem Haar.

»Sind Sie Harlan King?«

»Stets zu Diensten. Sind Sie vielleicht Zachary Tully?«

Tully nickte.

Kings Lächeln wurde breiter, dann kam er hinter der Theke hervor und schüttelte Tully die Hand. »Wir haben schon auf Sie gewartet. Kaffee?«

»Aber gern.«

King kehrte hinter die Theke zurück, füllte zwei Pappbecher mit Kaffee und reichte sie Tully. »Ich hoffe, Sie machen nicht gerade ’ne Diät«, sagte er, beugte sich vor und nahm ein paar Donuts. Tully folgte ihm an einen Ecktisch.

»Ich muss mich für Ambrose entschuldigen«, sagte King zwischen zwei Schlucken Kaffee. »Und auch für den Rest des Rates. Eigentlich wollten wir eine Art Heldenempfang für Sie vorbereiten, aber plötzlich hatten außer mir alle etwas Unaufschiebbares zu erledigen. Da wir nicht genau wussten, wann Sie kommen, hat Ambrose sich auf seinen Nachmittagsspaziergang begeben.« King verstummte, biss in einen Donut, und ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

»Ist kein Problem«, erwiderte Tully. Zucker kreiste in seinen Adern. Seine Geschmacksnerven vibrierten ekstatisch und tilgten die Nachwehen seiner Verärgerung über den Bürgermeister.

»Wir dachten, dass Sie sich vielleicht gern einen Tag nehmen, um sich einzuleben, bevor Sie den ganzen Stadtrat kennen lernen und Ihren Pflichten als Sheriff offiziell nachgehen, deswegen haben wir die Versammlung und den Amtseid für morgen Mittag im Gericht anberaumt. Mit anschließendem Mittagessen. Ist Ihnen das recht?«

»Absolut. Ich würde allerdings gern noch ins Revier rübergehen und meine Leute kennen lernen.«

»Natürlich.« Der Konditor lächelte. »Übrigens muss ich Ihnen noch dafür danken, dass Sie meine Lieblingsjournalistin in unser schönes Städtchen gelockt haben. Ich bin ein Fan ihrer Sendung.«

Tully gestattete sich ein Stöhnen. »Eine Journalistin?«, fragte er, während sich sein Magen zusammenzog.

»Seien Sie unbesorgt. Ambrose hat dafür gesorgt, dass Miss Rios versteht, dass nichts rauskommen darf, bevor Sie unsere gegenwärtigen Probleme nicht gelöst haben.«

Tully beschloss, sich jedes Kommentars zu enthalten. Stattdessen studierte er den ihm gegenübersitzenden Konditor. »Mr. King ...«, sagte er dann.

»Harlan.«

»Harlan. Ich habe ein paar Fragen.«

King schaute ihn erwartungsvoll an.

»Als ich mit Mr. Abbott gesprochen habe, hat er gesagt, Ihr letzter Sheriff wäre bei einem Unfall ums Leben gekommen. Aber der Chief der Highway Patrol in Horse Junction sagt, er sei ermordet worden. Und vor seinem Ableben habe es hier schon einen anderen Mord gegeben.« Tully sah King scharf an. »Was sollen die Lügen?«

Harlan King errötete und schüttelte den Kopf. »Ich habe gleich gesagt, es sei keine gute Idee, die Sache zu vertuschen, aber ich wurde überstimmt. Offen gesagt ... der Rat hat befürchtete, dass Sie nicht kommen würden, wenn Sie wüssten, wie viele unserer Sheriffs ermordet wurden.«

»Ich habe den Mann gemeint, den man im Gebirge gefunden hat, doch nun, da Sie es erwähnen ... Ich habe auch etwas über diesen Sheriff gehört. Er wurde bei einem Banküberfall erschossen?«

»Ja, genau. Offen gesagt haben im letzten Jahrhundert nur sehr wenige unserer Sheriffs das Rentenalter erreicht ... Wir wussten nicht, ob Sie in dieser Hinsicht vielleicht abergläubisch sind.«

Tully verzehrte den letzten Bissen seines Donuts. »Ich bin nicht abergläubisch. Aber wollen Sie mir ernsthaft erzählen, alle Ihre Sheriffs seien ermordet worden?«

»Sieht so aus. Einen hab ich selbst gefunden. Schreckliche Sache. Er hieß Reno Mullins und war wirklich ein zäher alter Knochen ... Er war ganz wild auf meine Zimtbrötchen. Ich hab ihm immer frühmorgens, bevor wir aufmachten, ein paar aufs Revier gebracht. Ich bin da also reinmarschiert – das war vor dem Umbau, als sein Schreibtisch noch ganz vorn war – und hab ihn gefunden. Sah abscheulich aus. Seitdem kann ich keine Zimtbrötchen mehr sehen.«

Tully nickte und beschloss, das Thema erst mal nicht weiter zu vertiefen. »Können Sie mir sagen, wer hier momentan der kommissarische Sheriff ist?«

»Ron Settles, der dienstälteste Deputy. Er ist ein echter Griesgram, aber sehr erfahren und zuverlässig.«

»Warum hat man ihn nicht zum Sheriff ernannt?«

»Er hat nicht die Persönlichkeit, die man braucht, um richtig mit den Touristen umzugehen.«

»Warum hat man mich angesprochen? Ich habe mich nie um den Posten beworben.«

»Sie wurden uns wärmstens empfohlen. Ihre Bewerbung lag uns vor.« King hielt inne. »Sie haben sich nicht beworben? Sie haben Ambrose das Ding gar nicht geschickt?«

»Nein.«

»Das ist merkwürdig«, sagte King nachdenklich. »Dann muss es jemand anders geschickt haben. Wenn Sie wollen, kann ich ihn danach fragen.«

»Ich kümmere mich schon selbst darum. Haben Sie eine Ahnung, wann er wieder da ist?«

»Normalerweise kommt er zurück, bevor es dunkel wird.« In Kings Stimme lag ein leiser Anflug von Nervosität. »Ich kann Ihnen sagen, dass Sie drei Deputys haben: Settles, Albert Stoker und Tim Hapscomb. Tim ist ziemlich neu hier. Außerdem haben Sie eine Tageskraft im Büro und jemanden, der nachts ans Telefon geht – falls sonst gerade niemand im Büro ist.«

»Chief Ladd sagt, es gäbe hier eine ziemlich hohe Kriminalitätsrate.«

»Er hat bestimmt einen Lobgesang auf uns angestimmt, was?« Kings Lachen klang gezwungen. »Na ja, es wäre uns lieber, wenn hier weniger passieren würde, aber ... Eternity ist eigentlich ziemlich friedlich. Wenn man davon absieht, dass wir Probleme mit diesem verfluchten Serienmörder hatten.« Er schüttelte den Kopf. »Wir konnten ihn nie erwischen, weder in diesem noch im letzten Jahrhundert. Und jetzt ist er wieder da. Er hat Frank Schreckliches angetan. Wollen Sie noch einen Donut?«

Tully nahm ihn an, ohne nachzudenken, biss hinein, ohne etwas zu schmecken. »Moment. Warten Sie mal.« Er deutete mit dem Gebäck auf King. »Sie haben seit über einem Jahrhundert Morde wie den im Fall Lawson und glauben, all diese Verbrechen seien vom selben Täter begangen worden?«

King zuckte die Achseln, lächelte rätselhaft und nahm sich einen weiteren Donut.

»Soll das heißen, dass andere Serienmorde in Eternitys Vergangenheit nach dem gleichen Modus Operandi ausgeführt wurden? Verstümmelung?«

King kaute und schluckte. »Nein, nein. Ganz und gar nicht. Sie sind alle anders. Unser Killer ist ... wie soll man es nennen ... verspielt? Phantasiereich? Ja, ich glaube, so kann man es bezeichnen.«

»Mr. King –«

»Harlan.«

»Harlan. Ich verstehe das nicht. Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft, dass der Killer seit über einem Jahrhundert aktiv ist.«

King musterte Tully von Kopf bis Fuß. »Nein, nein. Darüber können wir morgen reden.« Eine Küchenuhr klingelte, und King sprang von seinem Stuhl. »Entschuldigen Sie. Ich muss ein paar Brote aus dem Ofen nehmen.«

Er verschwand in der Backstube, und Tully stand auf und trat an die Theke, um seine Rückkehr abzuwarten. Je mehr Fragen er gestellt hatte, umso ängstlicher war Harlan King geworden. Vielleicht war an Jackson Coops geheimnisvollen Warnungen über die Machenschaften des Stadtrats ja wirklich etwas dran.

»Hier sind die Schlüssel zu Ihrem Haus«, sagte King, als er mit einem Schlüsselring und einem gefalteten Blatt Papier zurückkehrte. »Unsere Sheriffs haben immer dort gewohnt. Es ist komplett möbliert. Sehr gemütlich. Sheriff Lawsons Kleidung und die meisten persönlichen Dinge wurden an seine Familie geschickt, aber alles andere ist dortgeblieben – Bettzeug, Geschirr, Pfannen, Möbel, Küchengeräte. Die Vorratskammer ist gut bestückt. Ich glaube, dass Sie dort alles finden, was Sie brauchen, aber wenn es Probleme gibt, rufen Sie mich an.« Er lächelte entschuldigend, entfaltete das Blatt und enthüllte eine handgezeichnete Karte, die den Weg zum Haus beschrieb. »Ich würde Sie gern selbst hinbringen, aber mein Gehilfe ist heute leider krank.«

»Macht nichts«, sagte Tully. Die Glocke über der Eingangstür läutete, und eine ältere Frau betrat den Laden.

»Hallo, Miss Quince.« Harlan King schenke ihr ein strahlendes Lächeln. »Ich möchte Ihnen unseren neuen Sheriff vorstellen. Lizzie Quince, Zach Tully.«

Miss Quince feine Züge legten sich in tausend Fältchen, als sie Tully anlächelte. Sie hatte silbernes Haar und strahlende grüne Augen. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.« Sie reichte ihm eine behandschuhte Hand.

»Ebenfalls«, sagte Tully und fragte sich, ob sie vielleicht erwartete, dass er sie küsste. Doch er nahm ihre Hand nur in die seine und drückte sie leicht. »Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen«, sagte er. »Ich hab’s eilig.« Er nahm den Schlüsselring und den Lageplan und begab sich zur Tür.

Eternity - Stadt der Toten

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