Читать книгу Heul ruhig - Tanja Götten - Страница 15

Der Dodo in mir – Über Dummheit und Selbsthass

Оглавление

Nach etwa vier Monaten Arbeitsunfähigkeit schleppe ich mich mit meinen zwei Bandscheibenvorfällen, einer zünftigen Bronchitis, obernervigen Gastritis und den Ausläufern der Wochenend-Migräne in die dritte Woche eines Wiedereingliederungsversuchs, den ich selbst initiiert habe. Ich will wieder funktionieren. Vollgestopft bis obenhin mit Medikamenten aller Art will ich meine Pflicht erfüllen. Andere haben schließlich auch Probleme.

Die Freude der Kollegen, mich nach dieser langen Zeit wiederzusehen, hält sich in Grenzen. Hatte ich etwas anderes erwartet? Im Grunde nicht. Aber wie „herzlich“ der Empfang wirklich ist, beeindruckt mich dann doch.

Man hat zwischenzeitlich eine neue Kollegen-Whatsapp-Gruppe eingerichtet, in der ich nicht mehr Mitglied bin. Hierüber tauscht man sich rege auch über gemeinschaftliche Teamunternehmungen aus oder lästert über Kollegen anderer Abteilungen, die gerade den Raum betreten haben – vielleicht auch über mich. Das weiß ich nicht und offenkundig ist das exakt das, was die „Kollegin“, die hier den Ton angibt, bezwecken wollte. Glückwunsch.

Den Gipfel der Liebenswürdigkeiten erlebe ich mit dieser Kollegin, von der ich mal gedacht – nein, mir eingeredet hatte, sie hätte (trotz aller Verfehlungen) zumindest eine Art Grundanstand, als wir kurz alleine im Raum sind. Wie gründlich man sich doch irren kann.

„DU brauchst dir doch über deine Rente keine Sorgen zu machen, DU bist doch verheiratet“, sagt die zehn Jahre jüngere, äußerlich hübsche, körperlich gesunde Blondine mit glücklicher Kindheit und einem seit zig Jahren bestehenden Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst zu mir.

„Wie bitte?!“ Ich zweifle an meiner Wahrnehmung. Falscher Film.

Es entsteht ein bizarres Gespräch darüber, wer nun das härtere Los gezogen hat. Irgendwann frage ich sie: „Sag mal, bist du etwa neidisch?“

„Ja, sicher bin ich neidisch. DU hast ja einen Mann und ein Kind.“

Ich bin fassungslos und sehr wütend. Wütend über das unendlich dumme Geschwätz dieses Menschen, aber vor allem über meine eigene unendliche Dummheit. Mein selbstzerstörerischer Hang, mich immer wieder mit Menschen zu umgeben, die mir nicht guttun, macht mich fertig. Ich bin wie einer dieser Dronten-Vögel, die Dodos, die einst auf der schönen Insel Mauritius ihren Schlächtern treuselig und gutgläubig immer wieder in die Arme gelaufen und schlussendlich von ihnen ausgerottet worden sind. Auch äußerlich gibt es gewissen Ähnlichkeiten zwischen mir und dem pummeligen Vogel mit dem watschelnden Gang. Zufall? Unwahrscheinlich. Wie ein treudoofer Dodo renne ich immer und immer wieder zu Menschen, die mir nicht nur einmal bewiesen haben, wie egal ich ihnen bin. Ich entschuldige, bagatellisiere, rechtfertige ihr Verhalten. Ich Vollidiot.

Hinrennen, Fresse polieren lassen, wieder hinrennen, wieder Fresse polieren lassen, noch mal hinrennen bis man den finalen Stoß bekommt. Jeder normale Mensch hätte spätestens nach den diversen Vertrauensbrüchen, die dieser Mensch begangen hat, kapieren müssen, dass hier was grundsätzlich schief läuft. Ich hab’s nicht geschnallt oder wollte es nicht schnallen. Wie ein dösiger Dodo hab‘ ich ihr weiter alles Mögliche anvertraut, obwohl ich sicher war, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts davon unter uns geblieben ist. Garniert mit Spitzfindigkeiten, Unwahrheiten und Abwertungen. So wie sie es mit allen macht. Auch ich habe eine Menge über andere Kollegen von ihr erfahren. Es tut mir heute leid, dass ich den ein oder anderen nicht gewarnt habe. Ich war zu beschäftigt mit mir selbst.

Und diese Person erzählt MIR jetzt, dass sie neidisch auf MEIN Glück ist. Im Grunde zum Totlachen. Wenigstens ist das ehrlich. Dass überhaupt jemand auf MICH neidisch sein könnte, darauf wäre ich im Traum nicht gekommen. Man schaue mich doch mal an. Ich bin dick, krank und fast pleite. Habe nach einer längeren, absolut toxischen Beziehung den ganzen Ärger, den so was mit sich bringt am Hals und keine Chance auf Besserung in Sicht. Mein Selbstbild taugt nicht annähernd für einen Neidfaktor höher null.

Aber klar, in IHRER Wahrnehmung bin ich jemand, dem alles „zufliegt“, was sie so gerne hätte: Liebe. Geborgenheit. Glück. Und sie versteht nicht mal, warum das bei ihr alles nicht so läuft – so wie alle Neider, Hater und andere unzufriedenen Geister. Die Probleme, das Leid, die Qualen der anderen sieht keiner von ihnen. WILL keiner sehen. Diese Menschen kann ich nicht ändern, das weiß ich wohl. Aber es ärgert mich, dass ich nicht besser auf mich aufpassen kann. Diese Menschen beweisen nicht nur mir oft genug, dass die Worte liebensWERT und liebensWÜRDIG nicht von ungefähr kommen. Und trotzdem renne ich ins offene Messer. Immer und immer wieder. Scheiße auf eigene Grenzen, lasse alles in mir niederknüppeln ohne Widerworte.

Dafür hasse ich mich manchmal. Denn das ist nicht gut. Nicht gesund. Das muss ich noch lernen. Blöd, dass das so schwierig ist, wenn die Angst vor Konflikt und Kontrollverlust dich 24/7 im Schwitzkasten hat. Aber so ist das mit dem Trauma-Scheiß.

Heul ruhig

Подняться наверх