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Prolog

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Vor ein paar Jahren kaufte ich mir von meiner ersten Erwerbsminderungsrente ein kleines Ultraleicht-Notebook und ein Seitenschläferkissen. Damit konnte ich auch im Liegen schreiben, denn länger als zehn Minuten sitzen, war nicht mehr drin. Texte sprach und tippte ich zunächst in mein Smartphone. Mit den neuen Hilfsmitteln funktionierte das Nachbearbeiten am größeren Bildschirm dann immer besser. Nun ging es los: Mein Blog wurde geboren.

Zuerst quälte ich mich rum mit diesem Entschluss, aber es fühlte sich mit jeder Zeile richtiger an. Die Dinge mussten raus. Meine Geschichte musste sichtbar werden. ICH musste sichtbar werden, und zwar so, wie ich bin. Bisher hatte ich es immer vermieden, mein Gesicht irgendwo im Internet zu verbreiten. Ich bin nicht wichtig, hatte ich gelernt. Bedeutungslos, unerwünscht und ohne Relevanz. Damit war jetzt Schluss. Jetzt bekamen andere innere Anteile ihre Chance. Das wollte ich. Das brauchte ich. Es mussten Punkte hinter so viele Geschichten gemacht werden: auf dem Bildschirm und im realen Leben. Es gab für mich keinen leichten, versteckten Weg – das hatte ich schon gelernt.

Trauma, Angst und Schmerzen hatten mich zum Frührentner gemacht, aber Panik, Verzweiflung und Leid hatten es nicht geschafft, mich kleinzukriegen – im Gegenteil. Ich kann nur keiner geregelten Arbeit mehr nachgehen, und das ist keine Schande. Das wollte ich sagen und zeigen. Ich bin ein Mensch wie alle anderen. Es gab keinen objektiv plausiblen Grund, warum ich mich nicht zeigen sollte. Ich war es einfach leid, mich zu verstecken. War es leid, nach innen zu leiden. Ich war das Leiden leid. Wenn ich irgendwann wieder in Balance kommen wollte, musste ich nun auch mal ein Stück „nach außen abgeben“, ob mir das gefallen hat oder nicht – ob das anderen gefallen würde oder nicht - so viel war klar.

Auf die „Über mich-Seite“ meiner Webseite (mit einem Riesen-Foto von mir) schrieb ich schließlich: BÄM! [wegen des Fotos :-)] So klein, unbedeutend und schwach wie ich mich meistens fühle, so großkopfert, wichtig und hilfreich muten manche meiner Ideen an. Dem wollte ich den passenden Ausdruck verleihen. Mit dem Bloggen befolgte ich sogar einen ärztlichen Rat. Ok, Doc F. hatte von „Buch“ gesprochen, aber Blog is‘ auch ok, dachte ich damals. Ich wusste, dass das alles andere als schön für mich wird. Ich würde mich über mein Arbeitstempo, meine zwischenzeitlich miserabel gewordene Orthografie, meinen geringen Output und die schreckliche Angst vor Konflikt und Kontrollverlust ärgern, wenn meine Texte irgendwo im Internet rumschwirren. Es ging schon mit dem ersten Blogbeitrag los: bis ich den „Veröffentlichen“-Button anklickte, vergingen Tage - aber das war ok. Trotz allem hatte ich das Gefühl (immerhin empfand ich mittlerweile so was), dass dies der einzige Weg für mich war, den ich noch eigenständig gehen konnte. Den ich gehen WOLLTE! Obwohl etwas in mir mich permanent anschrie: „Bist du noch zu retten? Was geht das die Leute an? Was glaubst du, wer du bist? Die werden wohl alle grad auf dich gewartet haben. Dein Kram interessiert doch niemanden. Guck, mal, jetzt macht’se auf Blogger … usw. usf.“

Nein, auf mich wartete niemand und es interessierte sich auch keiner von den Menschen, die mich „von früher“ kannten. Jedenfalls keiner, von denen ich das erwartet hätte. Wie weit mein Schicksal anderen am Arsch vorbei ging, hatte man mir eindrücklich und nachhaltig vermittelt - im Büro zum Beispiel. Und das war gut so. Ich lernte wichtige Lektionen. Eine der Ersten war, dass ich mich nicht darüber beschweren darf, dass mich niemand sieht, wenn ich mich nicht zeige. „Also bitte sehr, da bin ich“, dachte ich, und fand ein passendes Pseudonym: myyzilla – die winzigkleine Königin der riesengroßen Monster. („myy“: gesprochen mü=(µ) = winzig klein + „zilla“ von Godzilla = König(in) der Monster).

Mein Alter-Ego mit dem schönen Namen erblickte fast unbemerkt zwischen Befundkopien fürs Versorgungsamt und diversen Krankenkassen-Formularen irgendwann im Frühjahr des Jahres 2016 das Licht der Welt. Gerade hatte ich - wenn auch knapp - eine ambulante ganztägige Rehamaßnahme überlebt. „Überlebt“ ist natürlich maßlos übertrieben. Meine Krankheiten sind alle nicht unmittelbar lebensbedrohlich. Sie fühlen sich nur so an.

Zu diesem Zeitpunkt entwickelte ich also eine Ahnung davon, dass das größtenteils unfreiwillig angesammelte Wissen über Krankheiten, fachliche und menschliche Vollversager und unser Sozial- und Gesundheitssystem irgendwann mal dokumentiert sein wollte. So fing ich an, die Eindrücke und Erlebnisse auf meinem Weg zu sammeln und aufzuschreiben.

Dass ich dabei fast unmerklich zwar nicht gesünder, aber langsam immer stärker wurde, konnte ich zu Beginn meiner „Bloggerkarriere“ nicht ahnen. Aber so ist es. Und das ist gut so.

Mittlerweile platzt mein Blog "Daueraua.de" aus allen Nähten und entwickelt sich mehr und mehr zur Informationsplattform. Meine persönliche Geschichte dahinter erzähle ich Dir jetzt exklusiv in diesem Buch. In dieser komplett überarbeiteten und besser „am Stück“ lesbaren Version einiger meiner Blogbeiträge kannst Du mitverfolgen, wie Trauma, Angst und Schmerzen mein Leben (zum Positiven) veränderten, und was ich über und durch meine Krankheiten gelernt habe.

Es grüßt Dich

myyzilla

Heul ruhig

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