Читать книгу Heul ruhig - Tanja Götten - Страница 18
Krank aber glücklich
ОглавлениеNach der Magenspiegelung und einer Schlussvisite nimmt der kahlköpfige, nette Doktor das Damokles-Schwert des Hirninfarktes über mir endgültig weg. Die Diagnose steht nun fest: Basilarismigräne (bzw. Migräne vom Basilaristyp oder ganz aktuell Migräne mit Hirnstammaura). Therapie: Wahrscheinlich nicht möglich, aber ich solle es mal mit einer Prophylaxe probieren. Propranolol – einen Betablocker schlagen die Ärzte vor. Und dringend zu einem Facharzt zur Weiterbehandlung soll ich. Ok.
„Was mache ich, wenn das wieder losgeht?“, frage ich den netten Oberarzt noch.
„Hinlegen und abwarten“, sagt er aufmunternd lächelnd bevor er mit wehendem Kittel und seiner kleinen Entourage aus Schwestern und den zwei netten Assistenzärztinnen das Zimmer verlässt, um meine Entlassungspapiere fertig zu machen.
Eine viertel Stunde später steht meine Tasche für den morgigen Auszug gepackt neben meinem Bett. Wenn ich wüsste, was die letzte Nacht hier noch bringt, würde ich sofort und auf der Stelle in Schlappen und Jogginghose nach Hause gehen - zu Fuß und auf allen Vieren, wenn es sein muss.
Stattdessen liege ich abends nichts ahnend mit dem Plüschfrosch da und höre Michaela beim Brummen zu. Mein Gesicht brennt, pocht und sieht nach der ganzen Aufregung und den Medikamenten aus wie ein Schälchen billiger Lachs-Ersatz … ausgekotzt … vor 3 Tagen. Der schöne Name Rosacea, den diese Hautkrankheit hat, täuscht – es sieht nicht schön aus!
Einer der Männer im Nebenzimmer brüllt laut, er hätte eine Bombe im Kopf.
Linda fängt plötzlich an zu zappeln. Krampft. Ich versuche, schnell das Gitter an ihrem Bett mit Kissen zu polstern, damit sie sich nicht weh tut, und klingle nach der Schwester. Minutenlang passiert nichts. Keine Ahnung, was ich machen soll. Als mir alles zu viel wird, renne ich im Nachthemd auf den Flur zum Schwesternzimmer. Zwei mir unbekannte Pfleger stehen da und gucken mich gelangweilt an.
„Können sie bitte schnell kommen, meine Zimmernachbarin hat einen epileptischen Anfall“, sage ich aufgeregt.
„Jo, wir guckn gleich mal“, sagt das Jüngelchen mit der pickligen Stirn und rührt unbeeindruckt in seinem Joghurt rum.
„Nein, sie gucken JETZT. Ich bin damit total überfordert. Ich hab‘ Angst. Die fällt aus dem Bett!“, herrsche ich ihn an.
Der andere verdreht die Augen, schlurft dann aber los in unser Zimmer. Linda zappelt immer noch. Die Wasserflasche und das Telefon hat sie vom Tisch gefegt. Der Pfleger friemelt ihr ein kleines Plättchen in den Mund. Tavor (ein Beruhigungsmittel), wie ich später erfahre. Nach ein paar Minuten hört Linda auf zu zappeln und schläft ein.
Michaela brummt. Mein Ohr fiepst. Ich will nur noch weg. Nur noch nach Hause. Als irgendwann endlich Ruhe ist, wiege ich mich mit meinem nach Lavendel-duftenden Plüsch-Frosch im Arm, sehr leise singend vor und zurück. „Mein Vati hat drei grunzende Schweine“, singe ich in mich hinein. In Dauerschleife. 'Wenn mich jetzt einer sieht, komm‘ ich hier nie wieder raus‘, denke ich.
Linda schnarcht jetzt. Michaela wird unruhig. Ich singe etwas lauter. Sie brummt wieder. Dann schläft sie ein. Ich glaub‘, ich auch.
Um 8:30 Uhr ist es vorbei. Ich gehe nach Hause. Zum Abschied gebe ich Linda meinen Akupunktur-Ring, je zwei frische T-Shirts, Jogging- und Unterhosen zum Wechseln. Sie bedankt sich freundlich aber emotionslos. Wir wünschen uns alles Gute. Im Auto breche ich in Tränen aus. Nur noch weg hier. Zu Hause gibt es Gruppenkuscheln mit Mann und Kind. Unter der Dusche sehe ich, wie meine Haare büschelweise ausfallen. Ich bin krank, aber unendlich glücklich in diesem Moment.