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Der Plural von Prolaps

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Als meine Nackenschmerzen immer schlimmer werden und ich meinen linken Arm nicht mehr richtig bewegen kann, schleift mein Mann mich nun doch zum Orthopäden. Wir gehen gemeinsam in das Behandlungszimmer. Alleine traue ich mich nicht.

Der Orthopäde fragt, wo der Schuh drückt. Ich schildere meine Beschwerden. „Hm“, sagt er. „Da müssen wir als erstes was gegen die Schmerzen machen.“

Er gibt mir zwei Spritzen in den Nacken, schreibt mich eine Woche krank und bestellt mich noch mal zum Nachgucken. Zu Hause lassen die Schmerzen etwas nach. Der Arm bleibt widerspenstig.

In der folgenden Nacht renne ich wie auf Speed durch die Wohnung. Wiege mich bis frühmorgens um vier nach den schönsten 80er-Jahre-Liedern von einem Bein aufs andere, um mich zu beruhigen. Als mein Mann wach wird und mich mit meinen Kopfhörern im Wohnzimmer stehen sieht, legt er die Stirn in Falten und guckt mich komisch an. Er ist ja einiges gewohnt, aber jetzt macht er sich Sorgen. Mir wurscht, ich fühl‘ mich ja super. „Nowhere girl, you never go outside. Nowhere girl, cause you prefer to hide“, singe ich laut und falsch mit geschlossenen Augen.

Zwei Tage später ist alles noch schlimmer und ich habe im ganzen Rücken, den Beinen, im Kiefer und im Kopf Schmerzen. Fühle mich wie gegen die Wand gerotzt. Kortison, einer der Wirkstoffe in der Spritze, kann so was machen, wie ich später erfahre. Warum sagt einem das niemand? Ich fühle mich in meinem Urteil über Orthopäden bestätigt, hintergangen und ein bisschen wie vergewaltigt.

In meiner Patientenakte, die ich nach ellenlangem Hin und Her später in Händen halte, steht: „Nach erfolgter Aufklärung.“ Das ist glatt gelogen, aber ich kann es nicht beweisen. Obwohl mein Mann mit im Raum war, stünde Aussage gegen Aussage, denn die Arzthelferin (namentlich als anwesend in der Patientenakte vermerkt) war mit im Zimmer und wird natürlich den Teufel tun, und ihren Chef in die Pfanne hauen.

Leider bleibt das nicht der einzige Fehltritt in dieser Praxis. Damit muss ich mich aber jetzt arrangieren, denn weder in einer Woche Urlaub, die ich mit Halskrause an der Ostsee verbringe, noch der Besuch bei der HNO-Ärztin, die ich wegen des Schwindels und meinen Ohrgeräuschen aufsuche, verbessert sich mein Zustand. Nach weiteren fünf Wochen Arbeitsunfähigkeit und einem MRT steht fest: Bandscheibenvorfälle in zwei Segmenten plus Vorwölbungen in zwei weiteren Segmenten der im übrigen steil gestellt degenerierten Halswirbelsäule. Der Spinalkanal ist leicht eingeengt. Das erklärt einige meiner Beschwerden. Sogar noch etwas besser als die Diagnose meines TCM-Internisten, der ja auf „Psyche“ (als Synonym für Simulation und Anstellerei) gesetzt hatte.

Obwohl die Diagnose Bandscheibenvorfall nicht schön ist, ist ein Teil von mir erleichtert. Endlich weiß ich, womit ich’s zu tun habe. Endlich kann ich zielgerichtet etwas dagegen tun. Endlich weiß ich, dass ich nicht spinne. Endlich bin ich nicht mehr der Simulant. Endlich lassen die Selbstzweifel nach. Zumindest für kurze Zeit.

Trotzdem habe ich Schuldgefühle. Mein Osteopath, Herr R., hatte mich gewarnt und ich hab‘ es nicht geschafft, das zu verhindern. Also: selber schuld. Hätte einfach mehr entspannen und länger schlafen müssen, ich Versager.

Heul ruhig

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