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Sally – Der Hund mit dem Knickohr

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Sally, eine dunkelgraue Schäferhündin, kam mit eineinhalb Jahren vom Züchter zu uns. Wir hatten Sally nur wegen ihres Knickohrs bekommen, denn aufgrund dieses kleinen Schönheitsfehlers hatte sich bisher noch niemand für sie interessiert. Uns war dieser Schönheitsfehler egal, für uns zählten das Wesen und die Gesundheit des Hundes.

Sally brachte beides mit, sie war gesund und zeigte sich im Wesenstest freundlich und aufgeschlossen. Sally war in vielen Verhaltensweisen ein außergewöhnlicher Schäferhund. Bisher hatte ich die Erfahrung gemacht, dass Schäferhündinnen immer etwas problematisch mit anderen Hunden waren. Schäferhunde neigen allgemein zum Mobben und haben häufiger mal ein Problem mit anderen Hündinnen. Das führt dann oftmals zu an sich harmlosen Balgereien, wird aber von den anderen Hundebesitzern als ernste Auseinandersetzung angesehen, was für den Besitzer des Schäferhundes dann auf Dauer einfach anstrengend sein kann. Darüber hinaus bringen Schäferhunde oft mehr Jagdinteresse mit, als für die Arbeit als Blindenführhund gut ist.

Sally hatte nur die guten Eigenschaften des Schäferhundes.

Sie war sehr gelehrig, ordnete sich gerne unter, zeigte kein übersteigertes Jagdinteresse und war freundlich gegenüber anderen Hunden. Sie war der ideale Schäferhund zum Ausbilden. Es machte sehr viel Freude ihre Fortschritte zu sehen und ihre Entwicklung war sensationell. Sie führte mit viel Engagement und freute sich jedes Mal, wenn sie wieder etwas Neues lernen konnte. Das selbstständige Arbeiten lag ihr und sie zeigte im Umgehen von Hindernissen und Baustellen ihre ganze Kreativität: War ein Gehweg durch eine Baustelle versperrt, dann schaute sie sich zuerst die Situation an und suchte danach den sichersten Weg um die Baustelle herum.

Wenn die Baustelle sehr lang war, zeigte Sally vor Beginn der Baustelle den Bordstein an und führte dann auf die andere Straßenseite.

So ersparte sie der Blinden den gefährlicheren Weg auf der Straße an der Baustelle entlang.

Nach der Einschulung mit ihrer sehbehinderten Besitzerin in Frankfurt am Main und der bestandenen Gespannprüfung waren sie nun täglich in der Großstadt unterwegs. Sally meisterte ihre Führarbeit in der Stadt mit viel Gelassenheit. In ihrer Freizeit tobte sie im Park mit anderen Hunden und es kam dabei nie zu einer ernsthaften Rauferei. Wenn ihr ein Hund aggressiv begegnete, wendete sie sich ab und lies ihn einfach stehen. Außerdem war es erstaunlich, dass die Sehbehinderte Sally auf einer Mittelinsel in Frankfurt frei laufen lassen konnte, obwohl rechts und links auf jeweils drei Fahrspuren der Verkehr vorbei donnerte. Sally entfernte sich nie weit weg von ihrer Besitzerin und blieb vor jeder Straßenüberquerung stehen, auch wenn sie frei lief.

Dass ein Blindenführhund durch die Ausbildung den Verkehr mit mehr Umsicht wahrnimmt, mag ja noch sein, aber dass ein Hund deshalb auch im Freilauf vor der Straßenüberquerung stehen bleibt, ist schon sehr außergewöhnlich. Ich habe in den fast zehn Jahren, in denen ich Blindenführhunde ausbilde, nie wieder so eine faszinierende und souveräne Schäferhündin erlebt!

Nicht streicheln, ich arbeite

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