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ACHTES KAPITEL

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Wenn Aarons auf Reisen war, konnte er jederzeit bei treuen Parteigenossen übernachten, aber er lehnte dies immer so höflich wie möglich ab. Bei seiner Aufgabe war es lebenswichtig, daß er in der Öffentlichkeit nie mit der Partei in Verbindung gebracht wurde.

An diesem Abend saß er in einem schäbigen, unmittelbar an der Straße von Los Angeles nach Las Vegas gelegenen Hotel. Er schaute auf seine Uhr. Der Mann, der ihn zu den Versammlungen fuhr, kam immer eine halbe Stunde zu spät. Dann klopfte es an der Tür, und sobald der Mann eintrat, wußte Aarons, daß irgend etwas nicht stimmte.

»Was ist los?«

»Eine Horde Schläger aus der Stadt ist zum Lager gezogen. Die sind auf Ärger aus, Andrej. Wir müssen die Versammlung heute abend absagen.«

»Brauchen unsere Leute Hilfe?«

»Wir haben rumtelefoniert, und zig Leute sind schon unterwegs.« Er stockte. »Wir haben zwei FBI-Agenten unter den Zuschauern entdeckt. Sie haben nichts unternommen. Bloß zugeschaut, als die hiesigen Radaubrüder ›Kommunistenschweine‹, ›Judenbengel‹ und ›Hurenpack‹ geschrien haben. Am besten, du gehst gar nicht erst hin.«

»Ich muß aber die Versammlung abhalten. Es ist wichtig.«

»Wie wär’s, wenn ich in zwei Tagen eine andere Versammlung organisiere? An einem anderen Ort und nur mit den örtlichen Parteispitzen. Auf die Weise könntest du ganz Kalifornien in einem Aufwasch erledigen.«

»Bringst du das fertig?«

»Sicher doch.«

»Vermutlich ist es so am besten. Wieso die Schläger?«

»Die wissen, daß wir eine Sommerschulung für Jugendleiter veranstalten, und es hat deswegen viel böses Blut unter den Einheimischen gegeben. Sie haben gedroht, die Schule kurz und klein zu schlagen, aber bislang haben sie noch nie was unternommen.«

»Dann warte ich also ab, bis ich wieder von dir höre.«

»Bist du sicher, daß du weitermachen willst? Du wirst allerhand Anfeindungen erleben. Unsere Leute sind ziemlich sauer auf Moskau.«

Aarons lächelte. »Das bin ich gewohnt, Genosse. Deswegen bin ich ja hier.«

Drei Tage dauerte es, bis sie alle beisammen hatten und Aarons hinaus zu der Jagdhütte fahren konnte, die sie für die Versammlung organisiert hatten.

Das lautstarke Stimmengewirr der zwölf um einen rohen Holztisch versammelten Genossen verstummte schlagartig, als Aarons in Begleitung seines Fahrers das Zimmer betrat. Er schaute sie reihum an, nachdem die Tür hinter ihm ins Schloß gefallen war, und sagte ruhig: »Wollen wir uns hinsetzen und miteinander reden.«

Als alle Platz genommen hatten, ergriff er das Wort. »Ich wäre euch dankbar, wenn ihr mir alle sagen würdet, wie ihr heißt und wen ihr vertretet.«

Außer ihm befanden sich zwei Frauen und elf Männer in dem Zimmer, und alle nannten ihren Namen und die Ortsgruppe, die sie vertraten. Andrej erkannte sofort, wer der Unruhestifter war. Ein gewisser Kaufmann. Kahlköpfig, Mitte Vierzig; er trug ein blau-weiß gestreiftes Hemd mit kurzen Ärmeln und rauchte einen Zigarillo. Leute wie Kaufmann hatte er überall schon erlebt. Die konnte man mit nichts überzeugen, weil sie mit Leib und Seele Querulanten waren. Sie waren anscheinend gegen jede Art von Recht und Ordnung. Oftmals bezeichneten sie sich als Weltbürger, womit sie nicht nur ihre Antipathie für das eigene Land, sondern auch für die Sowjetunion kaschieren wollten. Sie diskutierten nicht, sie stritten, und zwar so verbissen, als müßten sie allein die Partei verteidigen. Daß sie es dabei auf eine Zerreißprobe ankommen ließen, werteten sie nur als Beweis für ihre Ehrlichkeit. Aber Leuten wie Kaufmann war er mittlerweile schon oft begegnet, und er wußte, wie er mit ihnen umgehen mußte. Leute wie Kaufmann waren ganz nützlich, weil sie so aufdringlich und unverschämt waren, daß sich sogar ihre Gesinnungsgenossen daran stießen.

»Vielleicht darf ich kurz erklären, welche Überlegungen Moskau zu den jüngsten Schritten bewogen haben. Es gibt ...«

»Schenken wir uns den Quatsch, Genosse. Für das, was Moskau getan hat, gibt es keinerlei Entschuldigung.« Schweißperlen bildeten sich auf Kaufmanns kahlem Schädel.

Andrej schaute sich am Tisch um, ob es weitere Wortmeldungen gab. Kaufmann unterbrach ihn: »Ich spreche im Namen aller, die hier am Tisch sitzen.«

Diesen Fehler machten Leute wie Kaufmann immer. Andrej nahm sofort wahr, wie ablehnend die beiden Frauen reagierten.

Er blickte in die Runde. »Heißt das, daß alle hier dafür sind, daß wir die Versammlung auf der Stelle abbrechen?«

Es gab etliche Gegenstimmen, und eine der Frauen schrie: »Ich bin wegen dieser Versammlung fünfhundert Kilometer weit gefahren. Ich will hören, was du zu sagen hast.«

Andrej nickte. »Ist die Mehrheit dieser Ansicht?«

Bis auf zwei Mann hoben alle die Hände.

Andrej schloß einen Augenblick die Augen, machte sie dann wieder auf und fing an.

»Die Tatsache, daß Moskau durch den Pakt mit den Nazis von aller Welt wie ein Aussätziger behandelt wird, läßt sich nicht leugnen. Wir aber müssen uns jetzt dafür entscheiden, ob wir die Handlungsweise der Leute dort für so doppelbödig und unnachvollziehbar erachten, daß wir sie ebenfalls für Aussätzige halten.

Wir müssen also darüber befinden, ob die Männer und Frauen, die sich mit aller Kraft und unter so vielen Opfern für die Errichtung der ersten marxistisch-leninistischen Nation eingesetzt haben, entweder Scheinheilige oder Verräter waren. Doch wenn wir das tun, geben wir alles preis, woran wir glauben. Welche Möglichkeit gibt es noch? Daß die Sowjetunion möglicherweise von Feiglingen regiert wird?« Er hielt inne. »Trösten kann uns keine dieser beiden Erklärungen. Das hieße nämlich, daß wir wieder nach Hause fahren und uns damit abfinden können, daß Kapitalismus und Faschismus der richtige Weg sind.

Ich möchte euch um etwas bitten: Denkt doch mal an den dreißigsten September neunzehnhundertachtunddreißig. An diesem Tag unterzeichneten Chamberlain und Daladier ein Abkommen, mit dem sie Hitler die Tschechoslowakei überließen. Die Sowjetunion hatte sowohl die Engländer als auch die Franzosen wissen lassen, daß man die beiden Mächte bei allen Bemühungen zur Verteidigung der Tschechen unterstützen werde. Und die Tschechen hatten ihrerseits die stärkste Armee in ganz Europa. Das Angebot wurde nicht nur abgewiesen. Man ging überhaupt nicht darauf ein.

Wieso haben die Engländer und Franzosen die Tschechen an Hitler ausgeliefert?« Er schwieg einen Augenblick, »Weil sie Zeit brauchten. Zeit zur Planung und zum Bau von Kanonen. Zeit, um sich auf den unvermeidlichen Krieg mit Deutschland vorzubereiten. Sie wurden deswegen beschimpft. Auch von Ländern, die von einem Krieg in Europa nicht betroffen gewesen wären.

Vielleicht fragt ihr euch, wieso die Engländer und Franzosen nicht stark genug für einen Krieg waren.« Er holte tief Luft. »Weil es für ein Volk, das Frieden möchte und sich für den Frieden einsetzt, schwieriger ist, in aller Eile aufzurüsten. Sie wollten keinen Krieg mit Deutschland. Aber die Nazis wollten ihn. Und zu einem Krieg bedarf es nur einer Armee.

Die Engländer und die Franzosen haben die Tschechen also nur preisgegeben, um Zeit zu gewinnen. Damit sie ihrerseits bereit wären, wenn es zum Krieg mit Deutschland kommen sollte. Sie haben ein Jahr gewonnen. Ich hoffe, Moskau hat genausoviel Zeit herausgeschlagen.«

Er griff zu dem vor ihm stehenden Wasserglas. Rundum brandete Applaus auf.

Ein alter Mann stand auf. »Heißt das etwa, Genosse, daß Moskau nächstes Jahr um diese Zeit die Nazis angreift?«

Andrej lächelte. »Genau umgekehrt. Die Nazis werden uns angreifen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht früher. Ich weiß es nicht. Aber geschehen wird es ganz gewiß.«

Ein jüngerer Mann stand auf. »Dürfen wir das, was du uns gesagt hast, an unsere Leute weitergeben?«

»Aber ja. Ich möchte sogar, daß ihr es weitersagt. Aber erwartet nicht, daß die Außenwelt Verständnis dafür aufbringt. Es wird immer Leute geben wie diese Schläger, die vor ein paar Tagen das Sommerlager überfallen haben. Und andere, die zwar nicht gewalttätig sind, aber ebenfalls nicht unserer Meinung. Habt Geduld mit ihnen. Im Laufe der Zeit wird sich erweisen, daß wir recht haben.«

Andrej bemerkte, daß Kaufmann aufstand und das Zimmer verließ. Einige in der Runde lächelten, als er die Tür hinter sich zuknallte.

»Ihr müßt zugeben, daß er sich Gedanken macht«, sagte Andrej. »Aber er wird sich dabei immer von seinem Zorn leiten lassen. Solche Leute können eine wichtige Rolle spielen. Wir dürfen sie nicht abweisen.«

Er blieb noch zwei Stunden und redete mit den Leuten einzeln und in Gruppen. Ihre Fragen und ihre Begeisterung verrieten ihm, daß sie seine Erklärungen verstanden hatten.

Die ganze Reise hatte länger gedauert als erwartet, weshalb er zu dem Entschluß kam, daß er sich den Luxus leisten und nach New York zurückfliegen könne. Zwei Parteigenossen fuhren ihn zum Flughafen und leisteten ihm Gesellschaft, bis sein Flug aufgerufen wurde.

Gelöst und mit geschlossenen Augen saß er auf seinem Sitz und dachte über die Leute nach, die er kennengelernt hatte. Seltsame Leute waren sie, diese Amerikaner. Bis auf diejenigen, die erst unlängst eingewandert waren, wußten sie allem Anschein nach kaum, was auf der Welt vor sich ging. Und bei den Neueinwanderern war der Haß auf ihre Herkunftsländer mit einem tiefen Heimweh durchsetzt. Was dazu führte, daß sie genau die Länder verteidigten, aus denen sie hatten flüchten müssen. Und die Amerikaner der zweiten und dritten Generation scherten sich längst nicht mehr um Europa und die dortigen Machtverhältnisse. Seltsamerweise waren es ausgerechnet die Juden, die Opfer der Pogrome und Übergriffe, die allem Anschein nach als einzige die Verbindung zu Europa aufrechterhielten.

Er hatte sich am Flughafen eine billige Ausgabe von John Steinbecks Die Früchte des Zorns gekauft, und als er das Buch aus seiner Segeltuchtasche holen wollte, fiel ihm wieder die Zeitung ein, die er sich zusammen mit dem Buch besorgt hatte. Die wollte er zuerst lesen, bevor er mit dem Roman anfing.

Die Engländer kämpften offenbar weiter. Die Schlagzeile lautete »Luftschlacht um England«, und in dem Artikel stand, die Royal Air Force habe vor zwei Tagen 180 Maschinen der Luftwaffe abgeschossen. Sein Blick wanderte weiter nach unten, zum nächsten Artikel. Er war wie vor den Kopf geschlagen, als er die Überschrift und das Bild sah – Leon Trotzkij war in Mexico City ermordet worden. Jemand hatte ihm mit einem Eispickel den Schädel eingeschlagen. In dem Artikel stand außerdem, daß Trotzkij von einem Moskauer Gericht wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden war. Angeblich solle er an seiner Biographie gearbeitet haben, in der er Stalin für den Tod von über einer Million Sowjetbürgern verantwortlich machte. Andrej schloß die Augen und lauschte seinem Herzschlag. Sie machten es einem wirklich schwer, die Leute in Moskau. Fast kam es einem so vor, als wollten sie den Glauben ihrer Anhänger bewußt auf die Probe stellen, indem sie ihnen einen Schlag nach dem anderen versetzten. So etwas ließ sich kaum erklären. Trotzkij war ein in die Machtkämpfe verwickelter Abweichler. Und er hatte den kürzeren gezogen. Aber diese Erklärung würden Außenstehende niemals verstehen, geschweige denn hinnehmen.

Den Großteil des Fluges über schlief er. Er träumte, er ginge mit seinem Vater im Moskauer Regen spazieren und sein alter Herr deutete auf die Steinmetze, die die Namen der Zaren vom Obelisken in den Alexandrawskij-Gärten neben der Kremlmauer abmeißelten.

Ein echter Amerikaner

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