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VIERTES KAPITEL
ОглавлениеAllmählich hatten sie sich in Brighton Beach, das von seinen Bewohnern liebevoll »Odessa am Meer« genannt wurde, eingelebt, auch Chantal. Die anderen kamen sich ohnehin vor wie in Rußland. Wenn sie hörten, wie die Leute Jiddisch, Russisch und Polnisch miteinander sprachen, fühlten sie sich heimischer als in Paris.
In den ersten paar Wochen hatte er ihnen die Gegenden gezeigt, die sie bislang nur aus Illustrierten oder vom Kino her kannten. Den Central Park, den Times Square, die Fifth Avenue und die Park Avenue.
Er nahm sie mit ins Brooklyn Museum und zum Prospect Park. Der Prospect Park gefiel ihnen besser als der Central Park. Am Wochenende gingen sie nach Coney Island, wo sie sich wie Tausende anderer New Yorker Arbeiter an den Strand setzten und den Ausblick aufs Meer und die frische Luft genossen. Wie alle anderen amüsierten sie sich im Vergnügungspark und standen bei Nathans Würstchenbude an.
Sie gingen immer zu Fuß, und manchmal gönnten sie sich bei »Mrs Stahl’s Knisches« ein Knisch. Am liebsten aber aßen sie in einem der kleinen russischen Restaurants an der Brighton Beach Avenue, direkt unter der Hochbahn.
Doch dann traf ein in Mexico City abgestempelter Brief mit verschlüsselten Anweisungen ein, der ihr Leben nachhaltig verändern sollte. Und das galt nicht nur für Andrej, sondern auch für die anderen. Der ständige Moskauer Hickhack um Zuständigkeitsbereiche führte dazu, daß er nun sowohl für die Komintern als auch für den Nachrichtendienst tätig werden sollte. Nur er konnte die anspruchsvolle Arbeit für die Komintern leisten. Folglich mußte er den anderen gewisse Routineaufgaben übertragen, die die Leute vom Nachrichtendienst verlangten. Sie selbst sollten nicht zu nachrichtendienstlichen Tätigkeiten herangezogen werden, mußten aber in der Lage sein, ein Netz zu leiten, das Kurier- und Zwischenträgerdienste für sowjetische Agenten in New York übernehmen konnte, zumindest für die in Brooklyn ansässigen, aber auch für einige andere in Manhattan. Verlangt wurden neue »tote Briefkästen«, neue Verfahrensweisen und zumindest ein halbes Dutzend »sichere Häuser« für untergetauchte Agenten.
Mit einem Mal schien es so, als sei man in Moskau schlagartig vom strikten Neutralitätskurs gegenüber den Vereinigten Staaten abgekommen, als erwarte man aus irgendwelchen Gründen politische Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Er hatte in Moskau vorgefühlt und sich erkundigt, wie es zu diesem Meinungsumschwung kommen konnte, aber man war nicht auf seine Fragen eingegangen. Hider und Mussolini hatten gerade ein Abkommen geschlossen, das sie im Falle eines Krieges zu gegenseitiger politischer, wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung verpflichtete. Aber Aarons Ansicht nach war dieser Pakt bedeutungslos. Mussolini würde wegen Adolf Hider und der Nazis nicht sein neugewonnenes afrikanisches Imperium aufs Spiel setzen. Die beiden waren Rivalen, keine Verbündeten, jeder darauf bedacht, sich als der wahre faschistische Führer darzustellen.
Andrej hörte ihre hastigen Schritte auf der Holztreppe, und dann kamen Chantal und Anna ins Zimmer gestürmt. Sie lachten und kicherten derart, daß sie kaum sprechen konnten. Und dann platzte Chantal heraus: »Wir haben dich gerade im Kino gesehen, in einem Film.«
Als sie sah, wie erschrocken und verwirrt ihr Bruder darauf reagierte, sagte Anna: »Nicht dich. Aber der Hauptdarsteller war genau wie du. Es war großartig.«
Sichtlich erleichtert, versetzte Andrej: »Ich hoffe, er kann besser Englisch als ich. Was war das für ein Film?«
»Der Schauspieler hieß James Stewart, und der Film hieß ...« Sie wandte sich an Chantal. »... wie hat er doch gleich geheißen, Chantal?«
»Er hieß Mister Smith geht nach Washington.« Sie lachte. Und Englisch konnte er auch nicht besser als du. Wir haben kaum verstanden, was er gesagt hat. Aber auch er hat sich für die kleinen Leute und gegen die Politiker eingesetzt, genau wie du.«
»Wo ist Iwan? Weiß das irgendwer?«
»Was hat er angestellt?«
»Wer hat denn gesagt, daß er etwas angestellt hat?«
»Weil du das I nur so betonst, wenn er irgendwas angestellt hat.«
Andrej lächelte. »Ich möchte nach dem Essen eine Familienkonferenz einberufen, das ist alles.«
Als sie gegessen und die Frauen den Tisch abgeräumt hatten, schaute er einen nach dem anderen an, bevor er das Wort ergriff.
»Uns stehen ein paar Veränderungen ins Haus. Zunächst einmal habe ich dafür gesorgt, daß wir den Laden unten mieten. Wir werden eine Buchhandlung eröffnen. Russische, polnische und jiddische Bücher. Iwan, ich möchte, daß du dich mit Anna um den Laden kümmerst.«
Iwan runzelte die Stirn. »Was, zum Teufel, sollen wir mit einer Buchhandlung anfangen?«
»Ich möchte, daß wir das ganze Haus für uns haben, damit eventuelle Besucher nach Belieben kommen und gehen können, einen Ort, an dem gewisse Leute etwas hinterlassen oder Nachrichten weiterleiten können. Und von dir, Iwan, möchte ich noch etwas Besonderes. Wir sprechen später darüber.«
»Steht irgendwas bevor?« Die Frage kam von Iwan.
»Ich weiß es nicht, Iwan. Wieso hast du gefragt?«
»Jemand hat mir gesagt, daß Moskau einen Pakt mit den Engländern und den Franzosen schließen will.«
»Wer hat dir das gesagt?«
»Dein Freund im Café Arbat, an der Avenue. Der so tut, als wäre er Kellner, aber die Suppe auf dem ganzen Tisch verschüttet.«
»Der weiß gar nichts, Iwan.«
»Er wird von der Partei bezahlt. Er hat mir seine Papiere gezeigt.«
»Dann ist er ein Dummkopf. Ich werde mit ihm reden.« Er wandte sich an Chantal. »Hast du noch etwas Bohnenkaffee, Darling?«
Sie lachte. »Du bist ja schon ein richtiger Amerikaner. Darling sagt er zu mir. Gefällt mir aber. Ja. Ich hole uns Kaffee.«