Читать книгу EXIT NOW! - Teri Terry - Страница 13
SAM
ОглавлениеIch bin kaum im Zimmer, als es leise klopft. Mum kommt herein. Sie sieht … umwerfend aus: blaues Satinkleid, ihr Haar, so hellblond wie meines, ist hochgesteckt und sie ist komplett geschminkt. Smokey Eyes sollten einem so hellen Typ wie ihr eigentlich gar nicht stehen, tun sie aber trotzdem.
»Liebling.« Sie streckt mir die Hände entgegen und zieht mich zu sich. »Pass mit meinem Make-up auf!«, sagt sie. Küsschen in die Luft.
»Hi, Mum. Bist du gut nach Hause gekommen?«
»Bin ich. Oh, das war ja schrecklich gestern! Geht es dir denn gut?«
»Ja, alles okay.« Besser spät als nie. »Ich war schon ziemlich …«
»Wo hast du gesteckt? Ich habe dich mehrmals angerufen.«
»In der Schule? Du weißt schon, da wo man jeden Tag hinmuss, bis man achtzehn ist, um dieses ganze Zeug zu lernen.«
»Werd jetzt nicht frech. Warum kommst du ausgerechnet heute so spät? Wir gehen heute Abend auf eine Wohltätigkeitsveranstaltung für die Tate Modern, schon vergessen?«
»Ich war bei der Nachhilfe. Dad hat das organisiert. Anschließend habe ich vergessen, mein Handy wieder auf laut zu stellen. Sorry.«
Ungeduldig schüttelt sie den Kopf. »Was hat er sich nur dabei gedacht? Nun musst du dich aber wirklich beeilen. Penny hat dir die Sachen rausgelegt. Und Francesco ist hier, um Haare und Make-up zu machen. Er ist schon völlig mit den Nerven runter, weil er so wenig Zeit hat. In zwanzig Minuten kommt der Wagen.«
»Ich habe nicht gut geschlafen und bin total müde. Kannst du mich nicht entschuldigen?«
»Nein, Liebling. Vergiss nicht, wie gut wir es haben. Und hier bietet sich nun die Gelegenheit, eine wichtige Sache zu unterstützen. Mir ist besonders daran gelegen, dass du mich begleitest, weil dein Vater in Sitzungen ist. Zieh dich jetzt an. Und dann kommst du sofort zu mir ins Ankleidezimmer, da wartet Francesco auf dich.«
Mum rauscht aus dem Zimmer und ich lehne mich an die Tür. Da liegt wirklich ein Kleid auf meinem Bett. Es ist blassblau, sieht genauso aus wie Mums, nur dass es kürzer und nicht so tief ausgeschnitten ist. Mir kommt es nicht bekannt vor.
Ich schlüpfe hinein. Es passt, aber knapp. Die Kleider werden für mich von Mums Leuten immer nach Maß angefertigt – ich muss mich dringend mal wieder neu ausmessen lassen.
Ich hasse Strumpfhosen. Eine Nanosekunde lang überlege ich, ob ich auch mit bloßen Beinen gehen kann, aber dafür ist das Kleid zu kurz. Und die Schuhe, o Gott, wie hoch sind die denn? 10 cm? Schon wieder ein Abend in High Heels.
Es klopft an der Tür. Diesmal steckt Penny den Kopf durch die Tür, sie soll mich holen.
»Du siehst wunderschön aus«, sagt sie.
Auf dem Weg aus dem Zimmer werfe ich einen Blick in den Spiegel. Es ist ein bildhübsches Kleid, aber ich werde nichts essen können und in diesen Schuhen kann ich keinen Meter rennen. Francesco wird irgendwas mit meinem Haar anstellen, mich schminken und anschließend, wenn er fertig ist, werde ich vielleicht auch was Schönes an mir entdecken, aber es ist nicht echt. Es ist so falsch wie das Lächeln, das ich heute Abend aufsetzen werde.
Heute sind die Sicherheitsmaßnahmen gleich doppelt verschärft worden. Vor und hinter uns fährt Security und der Clou? Es sind keine Regierungsfahrzeuge. Glauben die wirklich, die Leute lassen sich so leicht täuschen, bloß weil die Fahrzeuge keine Nummernschilder der Regierung haben? Drei funkelnagelneue Autos mit getönten Scheiben. Hallo?
Als wir losfahren, habe ich ein beklommenes Gefühl, aber es ist kaum Verkehr auf den Straßen, und wir sausen ohne Zwischenfall dahin. Wir sollten sogar »pünktlich« da sein, zwanzig Minuten zu spät ist in Mums Welt genau richtig.
Nachdem wir das Sicherheitstor passiert haben, hilft man uns aus dem Wagen. Als Regen einsetzt, werden Schirme aufgespannt. Immer wieder werden wir von den Blitzlichtern der Kameras geblendet, ein Großaufgebot an Presse. Kein Wunder, dass Mum mich dabeihaben wollte.
Drinnen am Empfang erwartet uns die übliche Reihe von wichtigen Leuten, denen wir die Hand schütteln sollen. Manche kenne ich, andere nicht. Bei der heutigen Wohltätigkeitsveranstaltung geht es um die Förderung von Nachwuchskünstlern. Ein paar von ihnen sind auch gekommen, wirken auf gute Art fehl am Platz. Sie haben interessante Frisuren und Klamotten, werden von Frauen bewundert und von albernen Mädchen umschwärmt. Ich verdrehe die Augen. Mum muss es gemerkt haben, denn sie sticht mir mit dem Finger in die Rippen. Offenbar konnten sie keine Künstlerinnen finden oder das Wohltätigkeitskomitee, alles Freundinnen meiner Mutter, hatte andere Prioritäten.
Charlize ist mit ihren Eltern ebenfalls da. Sie stibitzt uns ein Glas Champagner und zieht mich auf einen Balkon. Nach ein paar Schlucken ist mir schon schwindelig, aber das Lächeln fällt leichter.
»Hast du gesehen, was Stella trägt?«, fragt sie. »O mein Gott. Und hast du diesen Lucas Sowieso schon getroffen? Der ist mit einem der Künstler gekommen. Voll scharf, oder?«
»Vielen Dank«, sagt jemand. Wir drehen uns um. Der Typ, der lachend hinter uns steht, muss wohl dieser Lucas sein.
Charlize nimmt eine interessante scharlachrote Farbe an, die selbst unter all der Schminke hervorleuchtet.
Ich schüttle den Kopf. »Charlize, du solltest mittlerweile echt mal verinnerlichen, dass man sich immer erst umschaut, bevor man so was sagt.«
Der Typ grinst und er ist wirklich scharf. Zumindest verstehe ich, warum Charlize es gesagt hat: lange, dunkle Locken, braune Augen, groß.
»Wer bist du?«, fragt er mich.
»Sam. Und du musst Lucas Sowieso sein.«
»Der einzig Wahre. Mein Onkel Gil ist der Künstler, ich bin mit ihm hier.«
»Sam ist auch eine Künstlerin«, sagt Charlize, die inzwischen ihre Fassung zurückgewonnen hat.
»Nein, bin ich nicht! Ich zeichne nur manchmal.«
»Malen tut sie aber auch.«
»Wollt ihr noch Champagner?«, fragt Lucas.
Wieder schüttle ich den Kopf. »Ja, gerne«, sagt Charlize und er verschwindet nach drinnen.
»Er hat mit dir geflirtet!« Sie grinst mich an. »Ich bin so nett und lasse dir den Vortritt.« Bevor ich widersprechen kann, tritt Lucas mit zwei Gläsern auf den Balkon.
»Sorry«, sagt Charlize. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich, ähm, noch was erledigen muss.« Und damit macht sie sich aus dem Staub.
Ich schlage mir die Hand vor die Stirn. »Das war ihre Idee. Ich habe damit nichts zu tun.«
»Verdammt.« Wieder grinst er und hält mir ein Glas hin. »Wäre doch schade, es zu vergeuden.« Und schon greife ich nach dem Champagner und trinke einen Schluck, nur einen Schluck, mehr nicht.
»Wie kommt es, dass du mit deinem Onkel hier bist?«
»Ich male auch ein wenig, also hat er mich gefragt, ob ich ihn begleiten will.«
»Wie alt bist du?«
»Sechzehn. Stellst du immer so viele Fragen?«
»Nein. Echt nicht. Muss an dem Sprudelzeug hier liegen.« Stirnrunzelnd betrachte ich mein Glas und nehme gleich noch einen Schluck, nur um sicherzugehen.
»Und du?«
»Was?«
»Wie alt bist du?«
»Fast sechzehn.«
»Gehst du oft auf Partys?«
»Und wer stellt hier jetzt viele Fragen? Nur wenn meine Mutter mich zwingt.«
Nun lacht er richtig.
»Was denn?«
»Mein Onkel hat mich zwar eingeladen, aber es war auch meine Mutter, die mich gezwungen hat, zu gehen. Auf dass wir die Party überstehen!« Er stößt mit mir an, da muss ich ja schließlich noch einen Schluck nehmen, oder? Das wäre sonst unhöflich.
Verwundert blicke ich auf mein Glas. »Mysteriöserweise ist mein Glas schon wieder leer.«
»Noch eins?«
»Nein. Auf keinen Fall.«
Durch die Glastür sehe ich, dass drinnen Bewegung in den Saal kommt. »Oh, oh. Sieht so aus, als würde es jetzt mit dem Essen losgehen.«
»Wollen wir zusammensitzen?«
Ich schüttle den Kopf. »Es gibt eine Sitzordnung. Garantiert bin ich am allerlangweiligsten Tisch gelandet.«
»War lustig mit dir, Sam«, sagt er und lächelt. Ich lächle zurück, erwidere aber nichts.
Drinnen entdecke ich Mum schon an unserem öden Tisch mit den wichtigen Leuten. Lucas lässt sich auf der anderen Seite des Saals mit dem Rücken zu mir nieder, war ja klar. Er sitzt bei Charlize, was mir gar nicht recht ist. Denn entweder befindet Charlize, dass Lucas nun Freiwild ist und der Nächste auf ihrer Liste, in den sie sich wahnsinnig verlieben wird, oder sie glaubt, mir helfen zu müssen, und erzählt ihm irgendwelche todpeinlichen Dinge über mich.
Wahrscheinlicher ist aber, dass sie ihn für sich will. Mit Lucas war es lustig und der Champagner hat sein Übriges getan, aber mehr war auch nicht.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Charlize ein schlechtes Gewissen plagt, schreibe ich ihr unterm Tisch eine Nachricht: Kannst ihn haben, Süße.
Das Essen sieht gut aus, wenn auch ein wenig auf Kunst getrimmt, aber so hungrig, wie ich bin, würde ich alles essen. Nur dass ich auch so schon in dem Kleid kaum Luft bekomme. Leise lache ich in mich hinein und stelle mir vor, wie ich auf den Pressefotos aus allen Nähten platze! Aber nachdem ich ein paar Bissen von der Vorspeise gegessen habe, wird mir schlecht, und ich schiebe die nächsten Gänge nur auf dem Teller herum.
Endlich ist es Zeit aufzubrechen. Auf dem Weg zum Wagen gibt es überall Küsschen hier, Küsschen da. Lucas steht etwas abseits, er nickt mir zu und lächelt.
Wieder Blitzlichtgewitter von der Presse. Uns werden die Autotüren aufgehalten. Sobald sie hinter uns zufallen, streife ich die Schuhe ab, hülle mich in meine Stola und öffne heimlich ein paar Knöpfe an meinem Kleid. Mum bemerkt es trotzdem und schüttelt den Kopf.
Mit geschlossenen Augen lehne ich mich im Sitz zurück. Mir pocht der Kopf vom vielen Champagner auf leeren Magen. Ich stelle mir vor, was ich mir zu Hause in der Küche alles reinstopfen kann. Ich bin halb verhungert.
Als der Fahrer ins Mikrofon spricht, bin ich schon fast eingenickt.
»Vor uns ist ein Unfall, also müssen wir eine andere Route nehmen. Die ist zwar als sicher ausgewiesen, könnte aber ein wenig … bunt werden.«
Mum seufzt. »Auch das noch!«
Sofort bin ich hellwach. Bunt? Was immer das heißen soll, ich will es sehen.
Anfangs wirkt alles wie immer, doch allmählich werden die Straßen schmaler, die Läden kleiner, manche haben kaputte Scheiben oder sind verrammelt. Vor den Häusern türmt sich der Müll. An die Hauswände sind Symbole gesprayt. A4A? Daneben Parolen, aber wir fahren zu schnell, als dass ich sie entziffern könnte. An der Straßenecke stehen Leute und trinken etwas, das sich in einer Tüte verbirgt. Sie mustern unsere Wagen mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung.
Hinter einer weiteren Kurve kauern Leute in Hauseingängen, liegen dort herum. Schlafen die auf der Straße? Ich mache große Augen.
An einer roten Ampel halten wir.
Eine Frau steht auf und tritt zu mir ans Fenster. Sie klopft dagegen. Durch das Spiegelglas sehe ich sie, aber sie mich nicht. Auf dem Arm hat sie ein kleines Kind, ein weiteres klammert sich an ihr Bein.
»Bitte helfen Sie mir, meine Kinder haben nichts zu essen«, sagt sie. »Bitte!« Die Augen des Kindes auf ihrem Arm sind halb geöffnet, es ist nur noch Haut und Knochen und elend, wie auch die Frau und das andere Kind. Ich bin entsetzt, mir ist übel, und ich kann nicht glauben, was ich sehe.
»Mum?«
Sie reagiert nicht.
»Mum!« Ausdruckslos starrt sie geradeaus. »Siehst du denn nicht! Können wir der Frau nicht helfen?«
Doch dann schaltet die Ampel um und wir brausen davon.