Читать книгу EXIT NOW! - Teri Terry - Страница 7

SAM

Оглавление

Wir sitzen in der Falle. Nichts als dünnes Glas und Metall trennen uns von Hass und Zorn; vor Angst ist meine Kehle zugeschnürt, ich bekomme keine Luft mehr.

Dad gibt dem Fahrer harsche Anweisungen, uns hier rauszubringen, aber was soll er machen? Wir sind umzingelt.

Wutverzerrte Gesichter. Krasse Beleidigungen. Als einer aus der Menge versucht, meine Seitenscheibe mit einem Stein einzuschlagen, schreie ich selbst fast los, aber das Glas hält, ist ja kugelsicher. Können sie es trotzdem zertrümmern? Wenn sie immer wieder auf die gleiche Stelle hämmern?

Jetzt schaukelt unser Wagen. Von allen Seiten packen sie das Auto und rütteln es durch.

Das Sirenengeheul kommt näher. Die Menge löst sich auf, die Leute rennen weg. Die Bereitschaftspolizei rückt mit Schutzschilden und Schlagstöcken vor. Menschen, Blut, alles durcheinander.

Neben meinem Fenster fällt ein Mädchen hin, während die Leute einfach weiterstürmen, die tun ihr noch weh, trampeln auf ihr rum. Ich richte mich ein wenig auf, aber ich sehe sie nicht mehr …

»Runter mit dir, Samantha!«, ruft Dad.

Reifen quietschen. Unser Fahrer wendet halb auf dem Gehweg, bahnt sich einen Weg durch den brüllenden Mob. Sobald wir wieder auf der Straße sind, geben wir Gas, soweit das im verstopften London möglich ist, wenn alle das gleiche Ziel haben: bloß weg von hier.

Dad hängt am Telefon, will wissen, wie es sein kann, dass man uns einfach so ohne Vorwarnung eingekesselt hat.

Nach dem Gespräch sagt er: »Samantha. Ich muss sofort ins Ministerium. Du kommst erst mal mit.«

Unterwegs haben wir grüne Welle. Ob die das extra für uns so einrichten? Als wir Westminster Palace erreichen, öffnen die Wachen die neu eingebauten Tore in dem hohen Zaun, sodass wir in den Innenhof einfahren können. Überall Wachen. Die Autotüren werden aufgerissen und wir werden im Eiltempo die Stufen zum Eingang hoch eskortiert. Das mit den Wachen hat was mit der Alarmstufe zu tun, das machen sie nur, wenn es ernst ist.

Nachdem Dad im Pulk verschwunden ist, bleibe ich verwundert allein zurück. Innerlich bin ich ganz ruhig – ein merkwürdiges Gefühl, als hätte jemand die Zeit angehalten oder als wäre ich gar nicht Teil des Geschehens, sondern würde bloß zusehen, wie sich alles um mich herum abspielt. Als wäre ich noch immer im Auto inmitten der Aufständischen.

Jemand berührt mich an der Schulter. Es ist Astrid Connor, sie ist Abgeordnete der Oppositionspartei und auch Schattenministerin für irgendwas. Ich kenne sie über ihre Tochter, die auf meine Schule geht.

»Samantha. Alles okay? Das muss ja ein Schock gewesen sein.« Ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln, das mich sicher beruhigen soll, aber eher das Gegenteil bewirkt.

Ich schlucke, weiß nicht, was ich sagen soll. »Kann ich nach Hause?«, frage ich schließlich. Mich nervt, dass meine Stimme so piepsig klingt.

»Keine Ahnung. Wir müssen bei den Wachposten fragen, ob dich jemand fahren kann.« Sie sieht sich suchend um und winkt dann eine Assistentin herbei. Dann wendet sie sich wieder mir zu. »Trink du so lange einen Tee, ich sorge dafür, dass sie dir jemanden schicken.«

Die Assistentin bringt mich ins Café und holt mir einen Tee. Ich halte die Tasse mit beiden Händen, damit ich nichts verschütte. Meine Finger zittern.

An der Wand hängt ein Fernseher. Auf BBC werden Ausschnitte von dem gezeigt, was ich gerade erlebt habe. Zwischenfall nennen sie es. Das Wort mögen sie. Wenn ich es jetzt so auf dem Bildschirm sehe, unseren Wagen in der tobenden Menge, bin ich sofort wieder mittendrin, als würde es noch mal von vorne losgehen. Nur schaue ich dieses Mal von oben drauf.

In der Berichterstattung heißt es, Vize-Premierminister Gregory sei in eine Protestkundgebung geraten und habe seine Tochter dabeigehabt. Dann erscheint ein Foto von uns. Es ist ein altes Bild, das kurz nach der Wahl vor einem Jahr aufgenommen wurde, da war ich vierzehn, und die hatten mich in ein schreckliches blaues Kleid gesteckt. Die Farbe würde so gut zu meinen Augen passen, meinte Mum, aber als sie mir dann auch noch mein hellblondes Haar zu Korkenzieherlocken gedreht hatten, sah ich viel jünger aus. Dad hat auf dem Foto sein ernstes Politikergesicht aufgesetzt. Damals schien es noch, als könnte er es jederzeit wieder absetzen, aber jetzt sieht er fast immer so aus, und sein kurzes dunkles Haar wird an den Schläfen auch mit jedem Zwischenfall grauer.

Nachdem unsere Namen genannt wurden, zähle ich langsam im Kopf: Eins, zwei, drei, vier … dann geht es los. Mein Telefon summt mit der ersten Nachricht.

Alles ok, Sam?

Ja.

Was ist passiert?

Guck’s dir im Fernsehen an. War in echt nur tausendmal lauter.

Wo bist du?

Westminster. Tee trinken.

Hast du gefilmt?

Ne, hatte andere Probleme.

Kommst du klar, Süße? Schule fällt heute aus, Daumen drücken für morgen!

Ja. Ja!!!

Hast du was gesehen? Hattest du Angst?

Ich zögere. Gerade waren wir noch auf dem Weg zur Schule und im nächsten Moment … brach die Hölle los. Eine Flut von Eindrücken stürmt auf mich ein: hasserfüllte Gesichter, Geschrei, der Stein an der Fensterscheibe, die Polizei und das Blut. Das Mädchen, das vor meinen Augen gestürzt ist und von der Menge überrannt wurde.

Und dann lüge ich:

Ich habe nichts gesehen.

Ständig bekomme ich neue Nachrichten. Schulfreunde texten mir, meine Kunstlehrerin, meine Cousins, sogar Sandy, die kleine Tochter des Oppositionsführers – Hinz und Kunz. Im Grunde immer: Alles okay? Geht’s dir gut? Und ich antworte Ja, Ja und abermals Ja. Geht mir wohl auch gut. Zumindest bin ich … unversehrt. Die Scheibe ist nicht zu Bruch gegangen. Was dann wohl passiert wäre? Aber ist sie ja nicht. Trotzdem geht es mir nicht gut.

Ich schreibe mir mit den Leuten, denen ich antworten will, während ich auf den einen Anruf warte, der nicht kommt. Schließlich kann ich mich nicht mehr bremsen und schreibe selbst: Hi Mum, mir geht es gut. Danke, dass du nicht fragst.

Keine Antwort.

EXIT NOW!

Подняться наверх