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Date mit einem Guru
Оглавлениеvon Necdet Öztürk
Ich treffe mich mit dem Mann, der sich selbst nur Dev nennt und eine Gruppe anführt, die unter dem Namen »connect« überall im Land mit ihren Kursen für Aufsehen sorgt.
Bilder von ihm zu finden ist leicht, an ihn persönlich heranzukommen deutlich schwieriger. Ich besuche ihn in seinem eigenen kleinen Reich, dem »Airfield« , einem ehemaligen Militärgelände, auf dem im Zweiten Weltkrieg Flugzeuge zusammengebaut wurden. Heute heben Leute hier nur noch geistig ab.
Ich bin gespannt auf diesen Mann, der es geschafft hat, an die 300 Leute auf dieses abgelegene Gelände zu locken, und zu dessen Workshops die Leute in Scharen rennen. Der erste Eindruck: überraschend normal. Wenn man ihn auf der Straße treffen würde, würde man ihn eher für einen Künstler oder Musiker halten als für den Anführer einer spirituellen Gruppe.
Das Auffälligste an ihm: die vielen Tätowierungen. Die Arme sind fast vollständig mit schwarzen Mustern bedeckt und als ihm beim Demonstrieren einiger Körperübungen das Hemd am Bauch hochrutscht, kann man erahnen, dass es an seinem Körper nicht viele Stellen gibt, die nicht mit Tinte und Nadel in Berührung gekommen sind.
Necdet: Dev, erstmal vorab: Wie lebt es sich so als Guru?
Dev (lacht): Ach eigentlich wie bei den meisten. Es gibt bessere und schlechtere Tage. Allerdings überwiegen bei mir die besseren.
N: Du hast anscheinend nichts dagegen, wenn man dich Guru nennt?
D: Nein, gar nicht. Aber ich weiß, wieso du danach fragst. Das Wort hat ja bei uns immer einen fiesen Beigeschmack, sowas irgendwie Unanständiges. Ein Guru ist in den Augen der Meisten manipulativ, ausbeuterisch und hält sich selbst nicht an die Regeln, die er predigt. Aber das ist kein Guru, das ist nur ein Betrüger. Der Begriff Guru setzt sich zusammen aus den Silben gu und ru. Gu bedeutet Dunkelheit und ru Licht. Ein Guru ist also erst mal nicht mehr als jemand, der Licht in die Dunkelheit bringt. Einem wirklichen Guru geht es nicht darum, seine Schüler auszubeuten, sondern ihnen dabei zu helfen, sich zu entwickeln und schließlich Erleuchtung zu finden. Aber um das klar zu stellen, ich würde mich selbst nicht als Guru bezeichnen. Ich habe nur kein Problem damit, wenn man mich so nennt.
N: Du bist ziemlich gut darin, dir Dinge so zurechtzubiegen, wie sie dir passen, oder?
D: Ja, natürlich. Machen wir das nicht alle? Nein, im Ernst, ich glaube nicht, dass es wirklich etwas mit zurechtbiegen zu tun hat. Ich würde es eher als Filter bezeichnen. Wir alle haben solche Filter, ohne die kämen wir gar nicht aus. Wir können unmöglich auf die Welt schauen und alle Perspektiven gleichzeitig einnehmen, unser Gehirn würde durchbrennen. Nehmen wir zum Beispiel dich. Du möchtest einen interessanten Artikel schreiben, deshalb betrachtest du mich durch einen Filter, der dir all meine möglichen Schwachstellen zeigt. Alle Punkte, an denen ich potenziell angreifbar wäre. Und auf die stürzt du dich. Natürlich. Wenn man Leute provoziert, zeigen sie Seiten von sich, die man sonst nicht zu sehen kriegen würde. Dein Filter hilft dir, deinen Job gut zu machen. Und genau so habe ich auch meine Filter, allerdings funktionieren die etwas anders als deine.
(So langsam beginne ich zu verstehen, wieso Leute sich anhören, was Dev zu sagen hat. Er schafft es, dass alles, was er sagt, einem völlig logisch erscheint.)
N: Okay, dann stürze ich mich gleich noch mal auf etwas anderes: Deine Anhänger. Für mich ist es ziemlich befremdlich zu sehen, dass es Leute gibt, die ihre Jobs kündigen, um mit dir hier im Wald zu leben. Also, versteh mich nicht falsch, das Gelände ist beeindruckend, aber du kannst doch nicht leugnen, dass das alles etwas merkwürdig ist.
D: Oh nein, natürlich nicht, das ist es. Ich finde deine Wortwahl übrigens interessant: merkwürdig. Das ist wieder so ein Wort, das von uns völlig fehlgedeutet wird. Eigentlich heißt es ja einfach nur: es ist würdig, gemerkt zu werden. Es ist also auf irgendeine Art außergewöhnlich. Und das ist das Airfield auf jeden Fall. Aber ich weiß, darauf wolltest du nicht hinaus. Also um deine Frage zu beantworten: Ja, unsere Art zu leben ist merkwürdig, aber eigentlich nur, wenn man sie durch den Filter des modernen Westeuropäers betrachtet. Schaut man sich die Menschheitsgeschichte mal genauer an, leben wir hier eigentlich nur so, wie die überwiegende Mehrheit der Menschen über Jahrtausende zusammengelebt hat. Man könnte das Airfield als eine Art Dorf betrachten. Und dann ist es eigentlich gar nicht mehr so seltsam, oder?
N: Aber in einem Dorf folgen ja nicht alle einem allwissenden Führer.
D (lacht laut): Und wer soll das bei uns sein? Nein, du hast eine falsche Vorstellung von mir. Für viele Mitglieder spiele ich gar keine besonders große Rolle. Sie sind nicht wegen mir hier, sondern weil ihnen die Idee von connect gefällt, weil ihnen die Art des Zusammenlebens gefällt. Meine Rolle könnte man vielleicht am ehesten mit der des Dorfpfarrers vergleichen. Jemand, der einem vielleicht mal einen Rat gibt, wenn man nicht weiter weiß, der einem einen Schubs in die richtige Richtung geben kann. (Er lacht wieder) Und dem man meistens nur mit halben Ohr zuhört, weil man mit den Gedanken woanders ist.
N: Also würdest du dich als Religionsführer bezeichnen?
D (schüttelt den Kopf, seufzt): Bei dir muss man wirklich auf seine Worte aufpassen. Nein, ich würde mich genauso wenig als Religionsführer bezeichnen, wie ich connect als Religion betrachte. Religionen sind für mich starre Konstruktionen. Unflexibel. Das ist das Letzte, was wir sein wollen. Außerdem geht es bei uns nicht um irgendein höheres Wesen, das es gibt oder nicht gibt. Wir sind viel profaner unterwegs. Uns geht es nicht um den Schöpfer, sondern um die Natur des Menschen. Und auch das ist wesentlich simpler, als es erstmal klingt, denn die Wissenschaft hat ja für uns schon die meiste Vorarbeit geleistet und einiges darüber herausgefunden, wie wir Menschen ticken. Alles, was wir bei connect tun ist, diese Erkenntnisse nutzbar zu machen und auszuprobieren, wie ein Leben aussehen kann, das unserer menschlichen Natur entspricht.
N: Aber ihr arbeitet doch auch viel mit Meditation und solchen Dingen. Würdest du nicht zustimmen, dass das zumindest etwas Spirituelles hat?
D: Doch, das schon. Aber das widerspricht nichts von dem, was ich vorher gesagt habe. Der Mensch ist ein zutiefst spirituelles Wesen. Wie sonst lässt sich erklären, dass es über alle Kulturen hinweg den Wunsch gibt, so etwas wie eine höhere Macht zu konstruieren. Alles was ich sage ist: Diese höhere Macht sind wir selbst. Diese höhere Macht ist die Verbindung zwischen uns, die tatsächlich etwas Übernatürliches hat. Und dieser Verbindung kann man in der Meditation auf die Spur kommen. Es ist ja nicht so, dass alles, was religiöse Gruppen entwickelt haben, Quatsch wäre. Ganz im Gegenteil. Das Singen von Mantras, das Beten von Rosenkränzen und natürlich Meditation, das alles hat ja einen Effekt, sonst hätten sich diese Techniken nicht über Jahrhunderte und Jahrtausende gehalten. Ich bin nur der Meinung, dass der Fokus bisher oft nicht stimmte. Diese Dinge funktionieren nicht deshalb, weil sie eine Verbindung zu einem höheren Wesen herstellen, sie funktionieren, weil sie eine Verbindung zwischen uns herstellen, die uns wie eine größere Macht erscheint. Und im Grunde gibt es ja auch in den Religionen immer wieder Hinweise darauf, dass es zumindest manche gab, die das genauso gesehen haben. Wenn die Rede davon ist, dass Gott in allem ist, dass Gott in uns ist, ist eigentlich genau das gemeint. Nur nenne ich es nicht Gott. Aber es ist eine Kraft, die größer ist als die Summe seiner Teile.
Hier bricht der Artikel ab. Der Rest wurde nicht mitfotografiert. Ava tippt den Titel des Artikels in die Suchmaschine, aber alles was sie findet, ist das Inhaltsverzeichnis des Magazins. Print only existiert wohl doch noch.
Die Tür öffnet sich und Mel trägt einen leichten Zigarettengeruch mit ins Büro. Sie schüttelt sich. »Letzte Woche meint man noch, es ist Sommer, und heute ist wieder Scheiß-Winter.« Sie schließt die Finger fest um ihre Kaffeetasse, als könnte sie sich daran wärmen. »Jan hat mich gerade abgefangen. Wir sollen zu ihm kommen für ein Briefing.«
Ava nickt, schließt das Browserfenster.