Читать книгу connect - Thea Mengeler - Страница 15

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Ava weiß nicht genau, wann sie aufgehört hat, sich die Frage zu stellen, ob sie freitags in die Halle fahren soll. Es dauert nicht lange, bis die Halle so unbedingt das Ende der Woche markiert, dass es anders gar nicht mehr zu denken ist. Freitags ist offiziell ab 16 Uhr Feierabend, jedenfalls wenn man es vorher geschafft hat, seine Jobs abzuschließen. Ava muss also nicht allzu viele Fragen beantworten, wenn sie um 18 Uhr geht.

Mel und Liz erzählt sie, sie gehe zum Yoga. Mel verbucht das als Erfolg für sich. Sie wollte Ava schon lange dazu bringen, Yoga zu machen. »Seit ich meditiere, hab ich viel bessere Ideen. Und deine Rückenschmerzen wären bestimmt auch weg, wenn du Yoga machen würdest.«

Ihre Rückenschmerzen sind tatsächlich verschwunden, auch wenn es nicht ganz Yoga ist, was jede Woche in der Halle passiert, so ist es doch ähnlich genug, um die gleichen – jedenfalls die gleichen körperlichen – Effekte zu erzielen. Es als Yoga zu verkaufen ist deshalb keine Lüge, bloß eine vereinfachte Darstellung, weil »connect« zu sagen, mit Sicherheit eine Diskussion auslösen würde. Mel meint immer, sie wäre total offen. Aber eben nur für die Dinge, die in ihr Weltbild passen.

Doch es gibt Momente, in denen Ava sich fragt, ob es wirklich an Mel liegt, dass sie das Gespräch über connect vermeidet. Vielleicht liegt es auch bloß daran, dass Ava nicht umhin kann, sich zu fragen, wie sie selbst darauf reagieren würde, wenn ihr jemand von connect erzählte. Sicher wäre sie skeptisch. Mindestens.

Sie weiß, dass connect ihr gut tut, aber sie glaubt, noch nicht sicher genug zu sein, um dieses Wissen auch anderen gegenüber zuzugeben. Vor allem nicht gegenüber Mel. Bei Liz hat sie weniger Bedenken, nur kann die nichts für sich behalten. Also geht sie eben zum »Yoga« und spart sich die Diskussionen.

Ava ist überrascht, als Luca sie eines Abends mit Namen anspricht. »Mir ist aufgefallen, dass du schon öfter bei uns warst. Ich hoffe, das heißt, dass du dich bei uns wohl fühlst.«

Es ist nicht wirklich eine Frage, aber Lucas forschender Blick scheint eine Reaktion zu erwarten. Ava nickt. Sie hätte nicht gedacht, dass Luca ihre Anwesenheit überhaupt aufgefallen ist.

»Das freut mich«, das Lächeln lässt Lucas Gesicht jünger aussehen, weicher. »Ich wollte dir noch mal persönlich sagen, dass du natürlich immer zu mir kommen kannst, wenn du irgendwelche Fragen hast.«

»Danke«, Ava zögert. »Vielleicht hätte ich wirklich eine Frage.«

Luca ermutigt sie mit einem Nicken zum Weitersprechen.

»Vor ein paar Wochen hast du über Social Media gesprochen und darüber, dass es uns nicht verbindet, sondern isoliert.« Luca nickt erneut. »Naja«, wie kann sie es am besten formulieren, ohne dass es wie ein Vorwurf klingt? »Ich habe mir vor ein paar Tagen mal die Social-Media-Kanäle von connect angeschaut.«

»Und jetzt fragst du dich, warum wir da so aktiv sind, wenn Social Media doch angeblich böse ist«, ergänzt Luca, als Ava nicht gleich weiterspricht.

»Ja«, sagt Ava, »so ungefähr.«

Zu ihrer Überraschung fängt Luca an zu lachen. »Wirkt ziemlich widersprüchlich, oder? Aber vielleicht habe ich mich beim letzten Mal nicht ganz klar ausgedrückt. Es ist nicht so, dass connect die Sozialen Medien grundsätzlich ablehnt. Das wäre ziemlich weltfremd. Nein, eigentlich begreifen wir das alles sogar als große Chance. Wir können über diese Kanäle Menschen erreichen, die sonst nie die Möglichkeit hätten, von connect zu erfahren.«

Luca schweigt einen Moment, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt.

»Eins sollte ich wahrscheinlich auch noch mal ganz klar sagen: Wir machen hier niemandem Vorschriften, wie er oder sie zu leben hat. Wir machen nur Vorschläge, regen zum Nachdenken an. Es ist zum Beispiel nicht so, dass wir der Meinung sind, jeder müsse grundsätzlich auf Soziale Medien verzichten. Wir sind nur der Meinung, dass man sich immer wieder die Frage stellen sollte, wie man sie nutzt. Wenn man darüber zum Beispiel mit anderen kommuniziert, wenn man online wirklich bedeutsame Gespräche führt, dann wäre es ja Wahnsinn, darauf zu verzichten.«

Ja, das wäre es. Ava denkt einen Moment über Lucas Worte nach. »Und warum hast du dich dann entschieden, darauf zu verzichten?«

Luca lacht. »Fehlende Selbstkontrolle«, sie hebt die Hände, wie in einer entschuldigenden Geste, und Ava entdeckt, dass die Tattoos auf ihren Unterarmen denen von Dev gleichen, die sie auf einigen Fotos gesehen hat. Aus winzigen Punkten zusammengesetzte, feine Linien und Formen. »Ich schaffe es einfach nicht, damit so umzugehen, dass es gesund für mich wäre«, fährt Luca fort. »Es ist wie mit Alkohol. Ein bisschen ist natürlich nicht schädlich, aber rund um die Uhr besoffen zu sein, ist nicht die beste Idee.«

Etwas übertrieben, denkt Ava, und Luca liest ihr die Gedanken wohl vom Gesicht ab, denn sie legt den Kopf schief und schaut Ava forschend an. »Nicht überzeugt?« Ava spürt, wie ihr die Hitze ins Gesicht steigt. Sie hat ihre Mimik nicht besonders gut unter Kontrolle, hatte sie nie. »Naja«, druckst sie, »der Vergleich ist ein bisschen extrem, oder?«

»Ja, das meint man, oder? Aber es war auch mal normal, sich in der Mittagspause mit den Kollegen ne Flasche Schnaps zu teilen. Würde heute keiner mehr machen. Und ich glaube, in ein paar Jahren wird es mit unserem Medienkonsum genauso sein.«

Ava nickt langsam. »Ja vielleicht, aber die Folgen sind doch etwas andere, oder?«

Luca wiegt den Kopf. »Du meinst, weil man sich nicht die Leber oder irgendwelche anderen Organe zerschießt, nur weil man ein paar Stunden am Tag am PC oder Handy verbringt?«

Ava nickt wieder.

»Das stimmt natürlich. Aber um ehrlich zu sein, sind für mich die körperlichen Konsequenzen noch das geringste Problem. Das Schlimmste ist, dass einem das eigene Leben entgleitet. Man verliert die Beziehung zu sich selbst, weil man so sehr darauf fokussiert ist, ein Bedürfnis zu erfüllen, das sowieso nie gestillt sein wird. Man hat nie genug getrunken, man hat nie genug gesehen und gelesen.«

Vielleicht. Ja. Vielleicht stimmt das tatsächlich, wenn man es übertreibt. Aber nicht alle, die viel trinken, sind Alkoholiker und nicht alle, die viel online sind, internetsüchtig.

»Vielleicht ist meine Sicht etwas extrem«, räumt Luca ein. »Vielleicht bin ich auch einfach besonders anfällig für Suchtverhalten. Ich kann Dinge schlecht nur halb machen, deshalb ist es wichtig, dass ich mir die richtigen Suchtmittel aussuche. Das heißt natürlich nicht, dass es bei dir genauso ist.« Luca überlegt einen Moment. »Aber darf ich dir etwas vorschlagen?«

»Klar, warum nicht.«

»Achte in den nächsten Tagen doch einfach mal darauf, wie es dir geht, nachdem du online warst. Fühlst du dich inspiriert oder deprimiert? Das klingt jetzt furchtbar vereinfacht, aber manchmal ist es so simpel. Ich kenne Menschen, die nutzen das Internet wahnsinnig produktiv, aber nur du kannst wirklich beurteilen, ob das bei dir auch so ist.« Luca fährt sich mit der Hand durch das kurzgeschorene Haar. »Das war jetzt ein ganz schöner Vortrag von mir, ich hoffe, ich habe dich damit nicht verschreckt.«

Ava schüttelt langsam den Kopf, ist mit den Gedanken noch bei Lucas Vorschlag. »Nein. Nein, gar nicht.« Wie ist es denn bei ihr? Sie nutzt das Internet doch, um sich zu inspirieren, oder nicht? Und sie braucht es doch für die Arbeit. Aber wie sieht es mit ihrer Freizeit aus, wie mit Social Media?

Ihr Abschied von Luca gerät etwas fahrig, und auch den Rest des Abends bringt sie mehr in ihrem eigenen Kopf zu als im Gespräch mit anderen.

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