Читать книгу connect - Thea Mengeler - Страница 16
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ОглавлениеAvas Handy vibriert und ohne erst zu schauen, von wem die Nachricht ist, hat sie sie bereits geöffnet. Ein Bild, geschickt von Tante Gela, aus der Zeitung abfotografiert. Leitung Stadtmarketing (m/w/d). »Das klingt nach einer tollen Stelle.«
Eine tolle Stelle. Eine tolle Stelle für jemanden, der Marketing studiert und kein Problem damit hat, bis an sein Lebensende in irgendeiner Behörde seine Zeit abzusitzen. Gela versteht Ava nicht, kennt sie nicht, sonst würde sie ihr so was nicht schicken. In Avas Kopf läuft das nächste Streitgespräch mit ihrer Tante an und sie muss sich zwingen, es zu unterbrechen. Sie atmet langsam und bewusst ein und aus.
»Klingt gut, aber ich fürchte, das passt für mich nicht ganz«, tippt sie schließlich. »Trotzdem danke.«
Gela tippt. Braucht lange. »Ok, ich dachte nur, vielleicht wäre es ja etwas für dich.« Und natürlich kann sie es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »Denk aber zumindest mal drüber nach. Da hättest du vielleicht sogar die Chance auf eine Verbeamtung.«
Es hat wenig Sinn, Gela zu sagen, dass eine Verbeamtung nichts bringt, wenn man einen ganz anderen Job macht. Sie hat nie wirklich verstanden, was genau Ava tut. Vielleicht würde Gela sich davon überzeugen lassen, dass Ava in der freien Wirtschaft viel mehr verdient als im Staatsdienst, zumindest auf lange Sicht. Aber die Sicherheit! Gelas Lieblingsargument, die Sicherheit. Ava dagegen würde lieber jedes Jahr den Arbeitgeber wechseln als dreißig Jahre lang im gleichen Büro zu hocken. Aber weil diese Diskussionen sowieso nichts nützen, antwortet sie bloß »Ok, mach ich« und »Grüß mama«, stellt das Handy auf lautlos.
»Wer ist die Beste?«, Mel hat ihren Kopf durch die Tür geschoben, schaut Liz und Ava erwartungsvoll an.
Ava tut, als müsse sie angestrengt nachdenken. »Hab ich nur die Wahl zwischen lebenden Personen, oder zählen auch Tote? Dann wäre ich nämlich eindeutig bei Frida Kahlo.«
Mel verdreht die Augen. »Frida ist ja cool und so. Aber bringt Frida euch auch Geschenke?« Sie stößt die Tür jetzt ganz auf, hält drei Pappkartons im Arm, von denen sie Liz und Ava je einen in die Hand drückt.
»Gymnastikbälle!«, quietscht Liz, reißt ihren Karton auf und zieht einen pinken Lappen daraus hervor. »Oh mein Gott! Pink! Ich liebe dich!«
Mel nickt zufrieden »Das klingt schon besser.«
Auch Ava öffnet jetzt ihren Karton. »Schwarz wie deine Seele«, kommentiert Mel. Ava lacht. »Und welche Farbe hat deiner?«
Mel lässt sich auf ihren Stuhl fallen. »Gelb natürlich. Passend zu meinem sonnigen Gemüt.« Sie verzieht keine Miene, als Ava und Liz in Gelächter ausbrechen. »Lacht schön weiter, vielleicht verirren sich dann ein paar Heftzwecken unter eure Bälle.«
»Oh nein, bitte nicht!« Liz hat bereits die kleine Handpumpe aus ihrem Karton gezogen und ein leichtes Zischen deutet darauf hin, dass ihr Ball sich tatsächlich mit Luft füllt, auch wenn er noch immer unverändert schlaff auf ihrem Schoß liegt.
»Wie hast du die denn gekriegt?«, fragt Ava, während auch sie ihre Luftpumpe aus der Packung zieht.
»Natürlich mit meinem unwiderstehlichen Charme«, zwinkert Mel. Sie richtet sich übertrieben gerade auf, lässt ihre Stimme ein paar Nuancen höher werden. Die Stimmlage, die sie selbst immer »das todesniedliche Rehkitz« nennt. »Oh Jan, wir haben solche Rückenschmerzen, wenn wir den ganzen Tag sitzen. Oh Jan, könnten wir bitte bitte Gymnastikbälle bekommen? Das ist ja sooo gesund für den Rücken. Oh Jan, dann können wir auch noch viel länger am Schreibtisch sitzen.« Sie klimpert mit den Augen einem imaginären Jan entgegen. Ava prustet los. Nicht nur wegen Mels Performance, sondern auch wegen Liz, die so sehr mit ihrem Ball beschäftigt ist, dass sie davon gar nichts mitbekommt. Wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Der Rest des Hauses könnte unbemerkt abbrennen.
Auch der formlose Lappen auf Avas Schoß füllt sich langsam mit Luft, wird praller, bis das Schwarz schließlich durchlässig wird, sich zu einem ungleichmäßigen Dunkelgrau verfärbt. Kurz zischt die Luft wieder aus dem Ball, als Ava die Pumpe herauszieht, um den Verschluss hineinzustopfen. Liz hüpft bereits auf ihrem Ball auf und ab. »Mach ein Bild von mir!«, verlangt sie und drückt Mel ihr Handy in die Hand, balanciert auf ihrem Ball, die Füße elegant in die Luft gestreckt.
Schon ein paar Minuten später ploppt eine Benachrichtigung auf Avas Handy auf. »TheIncredibleLiz hat dich in einem Beitrag markiert. #worklifebalance #bestjobever #myagencylife.«
Ava liked das Bild, aber zwanzig Leute sind ihr bereits zuvorgekommen. »Deine Follower sind echt schnell«, meint Ava und das Lächeln von Liz wird noch ein bisschen breiter.
Auch Ava kann nicht anders, als zu lachen, wann immer sie den Rest des Tages zu Liz hinschaut, die mit seligem Ausdruck hinter ihrem Bildschirm auf und ab wippt wie ein Korken auf dem Wasser. Wenn Liz etwas kann, dann sich begeistern. Ihre Freude hat eine unwiderstehliche Maßlosigkeit. Wenn man Liz anschaut, könnte man meinen, dass es überhaupt nichts Schlechtes gibt auf der Welt. Eine Naivität, auf die man beinahe neidisch sein könnte. Vielleicht ist es das, was ihre Follower so fasziniert, anders lässt es sich kaum erklären, dass sie mit ihrem Blog fast so viel Geld verdient wie mit ihrem Vollzeit-Job. Die Mischung aus Mode-Tipps, DIY-Tutorials und Berichten aus ihrem Berufsleben allein können es jedenfalls nicht sein, immerhin gibt es Tausende, die gleiche oder ähnliche Inhalte posten. Also muss es wohl diese Begeisterungsfähigkeit sein, die die Leute anzieht, und von der, wenn sie ehrlich ist, auch Ava gern etwas mehr hätte.
Es ist Liz, die vorschlägt, dass sie nach Feierabend noch bleiben, um Goldideen zu machen. »Ich glaube, der Ball bringt meinen Kopf in Bewegung«, strahlt sie und Ava will ihr die Freude nicht verderben. Und warum auch nicht, morgen ist Samstag und es ist schon einige Wochen her, dass sie irgendetwas zu dritt unternommen haben. Also bleibt sie und spinnt mit Mel und Liz Ideen, erst mit Hilfe des Bierkühlschranks, später durchforsten sie die Küche nach Schnapsresten von der letzten Party. Ein bisschen Kräuterschnaps, ein Rest Martini, etwas Wodka. Um zehn bestellen sie Pizza auf Agenturkosten, um elf hüpfen sie auf ihren Bällen den langen Flur entlang um die Wette. Ava rutscht auf halben Weg vom Ball und bleibt kichernd auf dem Teppich liegen, während Mel mit ihren langen Beinen davonhüpft und am Ende des Flurs krachend mit der Wand kollidiert. Eine Viertelflasche Gin später schmeißen sie Darts durch die gesamte Küche. Nur einer von zehn Pfeilen landet tatsächlich in der Scheibe, der Rest bleibt in Wand und Boden stecken.
Als sie schließlich mit leichtem Kopf durch die Nacht nach Hause radelt, weiß Ava, dass genau solche Nächte der Grund sind, warum sie, wenn überhaupt irgendwo, dann nur an einem solchen Ort arbeiten will. Dass sie woanders nie würde arbeiten können. Schon gar nicht in irgendeiner Behörde.