Читать книгу connect - Thea Mengeler - Страница 6
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ОглавлениеAva kann nicht atmen. Sie drückt die Handflächen gegen die Wände der engen Toilettenkabine, als könnte das die Welt davon abhalten, unter ihr wegzukippen. Hände und Füße sind wie in Eiswasser getaucht und in ihren Ohren rauschen Millionen Wasserfälle. Sie weiß nicht, ob da noch jemand ist in den Kabinen neben ihr, weiß nur, dass Luft in ihre Lungen muss, weiß nur, dass sie nicht ohnmächtig werden darf. Als wäre alles endgültig vorbei, wenn sie auch noch diesen Rest von Kontrolle verlöre.
Atmen, denkt sie. Hätte sie noch Luft übrig, würde sie darüber lachen, dass ihr Körper nicht mehr weiß, wie etwas so Selbstverständliches funktioniert. Atmen.
Es dauert Stunden, Tage, Jahre, bis ihr Atem endlich wieder tiefer geht, das Rauschen in ihren Ohren nachlässt. Vorsichtig löst sie die Hände von den Wänden, die Welt kippt nicht weg und sie ist noch immer hier.
Sie lauscht auf Geräusche aus den anderen Kabinen, hört nichts. Draußen auf dem Gang Schritte, irgendwo klingelt ein Telefon. Sie entriegelt die Tür, geht mit unsicherem Schritt zum Waschbecken, lässt warmes Wasser über ihre unterkühlten Hände laufen.
Im Spiegel sieht sie noch die Schatten der Angst. Sie versucht, ihr Gesicht wieder in Ordnung zu bringen. Die Mundwinkel weiter nach oben, viel weiter, die Augen weniger aufgerissen. Ein Muskel in ihrer Wange zuckt.
Sie schöpft sich Wasser ins Gesicht, probiert es noch einmal. Schon besser. Eine Weile noch betrachtet sie ihr Gesicht im Spiegel, als fände sie darin eine Antwort. Dann kehrt sie zurück ins Büro.
Sie hat das Gefühl, ewig weg gewesen zu sein, doch Mel und Liz sagen nichts zu ihrer Abwesenheit. Es muss weniger Zeit vergangen sein, als sie dachte.
Liz ist aufgedreht, zappelig, als wäre sie diejenige, die befördert worden ist. Mel ist noch dabei, ihr die Einzelheiten von dem Gespräch mit Jan zu erzählen. Dass sie minimal weniger Gehalt bekommen, als sie gefordert hatten. Dass Jan natürlich betonen musste, mit der Beförderung käme auch mehr Arbeit auf sie zu. »Als Senioren habt ihr schließlich mehr Verantwortung«, äfft Mel ihn nach. »Als ob wir das nicht wüssten. Aber das ist wieder so typisch. Sie kommen nicht drum herum, uns zu befördern, aber damit wir unter unserem plötzlich aufgeblähten Ego bloß nicht zusammenbrechen, wollen sie dafür sorgen, dass wir uns ein kleines bisschen überfordert vorkommen.« Mel lacht. »Das ist so armselig.«
Die Luft fühlt sich leergeatmet an. Ava öffnet das Fenster.
Für Mel ist jeder Versuch, ihr Vorankommen zu boykottieren, nur ein weiterer Ansporn. Als wäre ihr Triumph umso größer, je mehr Widerstand sich ihr entgegenstellt.
Ein fast synchrones »Pling« ertönt aus allen drei Rechnern.
Betr.: »Work hard, party harder«
Eine gute Nachricht für alle Bierliebhaber: Ab sofort könnt ihr es nicht nur trinken, sondern auch Werbung dafür machen! Wir haben den »What the beer«-Etat gewonnen! Darauf müssen wir anstoßen. Heute. Ab 18.00. Dachterrasse. Hunger ist keine Ausrede, nicht aufzutauchen, immerhin ersetzen sieben Bier eine Mahlzeit (und für alle, denen das nicht reicht, gibt es auch Pizza).
Bis später!
Die Geschäftsführung aka Dave, Matthias und Tobi
»Perfektes Timing!« Mel hat die Mail auch gelesen und sofort beschlossen, eine inoffizielle Beförderungs-Party daraus zu machen. Widerstand zwecklos.
Ava will allein sein. Sie will auf keinen Fall allein sein. Vielleicht wird sie verrückt.
»Ab auf die Terrasse«, ruft Mel und klappt ihren Laptop zu.