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Niccy besuchte Kurt immer häufiger im Krankenhaus, half ihm beim Training und sie redeten über Gott und die Welt. Sie lernten sich immer besser kennen, erkannten einige gemeinsame Ansichten und Interessen, die sie in der High School nie festgestellt hatten. Sie saßen in Gärten, auf Parkbänken, in Cafés, im Kino, in Bars. Kurt erzählte ihr über seine Kindheit, seine Familie, ihre gemeinsame Schulzeit, wie er verprügelt wurde und stellte mit jedem Mal, wenn er darüber redete, sicherer fest, dass ihn diese Dinge weniger schmerzten. Sie machten neuen, unbekannten Erkenntnissen Platz, rückten weiter in den Hintergrund. Schon eine kleine, unscheinbare Berührung von Niccy dämpfte alle schlechten Erinnerungen.

Sie erzählte ihm ihrerseits ihre Erfahrungen nach der Schule, wie sie mit Mark zusammen gekommen war, wie sie sich eine Zeit lang nur gestritten hatten und sie vor Kummer beinahe ausgerissen wäre, wie sich wieder alles eingerenkt hatte, wie sie nach dem Abschluss keine Wohnung gefunden und nach der Pleite in Vegas monatelang in Marks Cadillac gewohnt hatten.

Wochen vergingen. Kurt hatte Niccy mittlerweile bei Smoolers Werkstatt in der Verwaltung untergebracht, als Buchhalterin. Er selbst konnte noch nicht arbeiten, Smooler hatte bereits zwei andere Mechaniker eingestellt, hatte Kurt aber versichert, dass sein Platz dort sicher wäre, sobald er wieder körperlich einsatzfähig sei. So konnte sich Niccy wenigstens vorübergehend über Wasser halten und Kurt musste auch nicht um seine Existenz bangen.

Niccy und Kurt sahen sich immer regelmäßiger. Eines Abends, saßen sie in einem Restaurant bei einer Flasche Wein. Kurt hatte sich schon gut erholt und musste nur noch selten zur Kontrolle ins Krankenhaus. Sie sprachen über ihre Zukunft, Niccy meinte, sie wolle eine Ausbildung als Therapeutin beginnen, wolle Menschen helfen, die sich nicht selbst helfen konnten. Das hatte sie durch Kurt erfahren. Sie meinte es wirklich ernst, es lag ihr sehr am Herzen. Kurt berührte, ohne weiter darauf einzugehen, zärtlich ihren Hals mit seiner rechten Hand und küsste Niccy.

Sie wehrte sich nicht im Geringsten.

Nach dem Kuss waren beide erst sehr verlegen und unsicher, weshalb Niccy schnell das Gesprächsthema auf das erste Thema lenkte, das ihr einfiel: Mark, passenderweise.

Niccy erzählte, sie wäre am Tag der Explosion beim Frauenarzt gewesen und hätte danach lange über eine Abtreibung – die Methode war zu diesem Zeitpunkt noch unerprobt, oft gefährlich und sehr schmerzhaft – nachgedacht, und sich letztlich dagegen entschieden. Sie hatte dieses Kind wirklich haben wollen und wollte Mark fragen, wie er dazu stand.

Stunden davor war sie mit schwerem Herzen und unschlüssigem Kopf durch die Stadt gewandert, auf der rastlosen Suche nach einer Antwort, die sie schließlich fand, als sie eine Frau mit ihrem fünfjährigem Kind an der Hand an ihr vorbei spazieren sah, zu einem kleinen Park hin und das Kind mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen lachend auf Niccy zugelaufen kam und sie umarmte, ohne sie überhaupt zu kennen.

Daraufhin hatte sie sich mit hüpfendem Herzen, noch immer das Kinderlachen im Ohr, ohne viel weiter darüber zu grübeln, auf den Weg zu Marks Arbeit gemacht. Trotz ihrer wunderschönen Eingebung – die sie für sich als Schicksal einordnete – hatte sie ein unruhiges, unbehagliches Kribbeln in der Magengegend, wie eine böse Vorahnung.

Kurz bevor Niccy die Werkstatt betrat, fegte sie die Druckwelle einer Explosion – die aus einem hinteren Raum des Gebäudes kam - von den Füßen. Die Explosion, die von einer Zigarette ausgelöst wurde, die irgendein Vollidiot direkt neben einem vollen, offenen Benzintank geraucht hatte. Sie wurde zwar nicht körperlich verletzt, doch die folgenden Ereignisse rissen eine tiefe, klaffende Wunde in ihr Herz, die sich bis zu ihrem eigenen, tragischen Tod nicht schließen sollte.


Das Blut der Auserwählten

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