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Zwei Wochen später brach die Krise in Kurts Kopf aus.

Er kam, wie an jedem anderen Tag auch, betrunken nach Hause, um sich von Niccy eine Standpauke darüber an zu hören, dass er seinen väterlichen Verpflichtungen nicht im Geringsten nachkäme (obwohl sie selbst vor Brandons Geburt diesen allein aufziehen wollte).

Oder dass sein Lebensstil (nichts als arbeiten und sich betrinken) wirklich nicht gesund sei und sie sich Sorgen um ihn mache; oder dass sie endlich mal in eine größere Wohnung umziehen könnten, wie Kurt es ihnen schon vor Monaten versprochen hätte, weil solche Umstände müsse sie sich als praktisch allein erziehende Mutter ja wirklich nicht gefallen lassen.

Niccy entwickelte sich immer mehr zur radikalen Feministin – manchmal sogar bis zur BH verbrennenden Aktivistin. Und das mit einer wunderbaren Doppelmoral: nach außen gab sie sich zwar als die selbstbewusste, unabhängige, starke Frau und Mutter, die ihren Sohn allein aufzog und ließ sich dabei hinter geschlossenen Türen schön das von Kurt verdiente Geld in den Ausschnitt stecken.

Viele Männer kamen mit der revoltierenden Frauenbewegung damals nicht zurecht, doch Kurt störte es nicht besonders. Er hatte alles, was er brauchte und Niccys Spiele machten ihm nichts aus, solange sie, wenn sie allein waren, die zuckersüße, liebende Ehefrau spielte, weil sie nie vorhatte, selbst zu arbeiten. Kurt empfand eine gewisse Befriedigung bei dem Gedanken, dass Niccy trotz aller Emanzipation noch immer abhängig von ihm war.

Niccy wiederum verstand nicht, warum sie als gestresste Mutter, die nur versuchte, ihrem Kind ein schönes Leben zu ermöglichen, in solch einem Loch wohnen musste. Und warum sie als (zumindest praktisch) allein erziehende Mutter auch noch arbeiten gehen sollte, wo sie doch schon genug Verpflichtungen am Hals hatte.

In ihr klaffte ein tiefer Zwiespalt, der ihr mehr und mehr den Verstand raubte. Einerseits plante sie, Brandon ohne fremde Hilfe – und schon gar nicht mithilfe irgendeines primitiven, chauvinistischen Mannes –, auf zu ziehen. Andererseits wollte sie nicht akzeptieren, dass Kurt keinerlei Interesse hatte, sich um seinen Sohn zu kümmern.

Alles, was Niccy wollte, war etwas mehr Platz und einen Mann, der sich um sie sorgte und nach ihrer Pfeife tanzte, wie sie es wollte. Der sie verstand, der sie achtete. Aber dass er nach ihrer Pfeife tanzte, das war das Wichtigste. Ein Mann, der für sie alles tat, was sie sich gerade in den Kopf gesetzt hatte. Sie hatte es immerhin verdient. Zumindest ihrer eigenen Meinung nach.

Natürlich machte sie sich auch genauso Sorgen um Kurt, wie sich seine körperliche Verfassung entwickeln würde, wenn er noch lange so weiter machte. Jedoch nicht in erster Linie wegen Kurt selbst, sondern mehr, weil sie dann den größten Teil ihrer Existenzsicherung verlieren würde. Trotz ihrer Unzufriedenheit verspürte sie noch immer etwas Ähnliches wie Liebe zu ihm, wie eine dankbare, aber trotzdem entfernte Freundschaft für seine Hilfe in ihrem härtesten Lebensabschnitt.

Sie war wirklich dankbar, irgendwie.

Einiges davon, was in Niccy vorging, spürte Kurt, anderes konnte er nicht sehen. Er wusste nicht, wie oder warum er es spüren konnte, aber das änderte nichts. Er glaubte, er konnte sich nie besonders gut in die Gefühlslage anderer versetzen - er tat sich ja mit seiner eigenen schon schwer –, was aber ganz und gar nicht zutraf. Er hatte ganz im Gegenteil zum Beispiel einen Instinkt dafür, wenn ihn jemand belog, nur tat er diesen Instinkt immer als Einbildung ab.

Aber egal, welche Gefühle sie für ihn hegte, Niccy würde bezahlen. Egal, ob es für ihre Respektlosigkeit ihm gegenüber, für ausgleichende Gerechtigkeit (natürlich nur Kurts subjektive) oder für rein gar nichts war, aber Kurt war sauer. Brodelnd sauer. Er wollte Blut. So konnte er nicht weiter machen.

Sie würde dafür bezahlen.


Das Blut der Auserwählten

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