Читать книгу Liebesbrief an Unbekannt - Thomas Brezina - Страница 13

8

Оглавление

Es tat einfach gut, mit Patricia Zeit zu verbringen. Emma fühlte sich leichter, fast ein wenig beschwingt, als sie durch die Nacht nach Hause marschierte.

Ein angenehmer, frühlingswarmer Wind wehte ihr ins Gesicht. Die unerwartete Wärme um diese Zeit war wie ein Geschenk. Die Arme schwingend stapfte Emma durch die dunklen Straßen Richtung Meer, und die Umhängetasche, in der sie ihre wichtigsten Habseligkeiten immer bei sich trug, schlug bei jedem Schritt an ihr Hinterteil.

Beim Verabschieden, als sie sich Küsse auf die Wangen gehaucht hatten, hatte ihr Patricia noch ins Ohr geflüstert: »Träume, schreibe und glaube daran.«

Vielleicht würde Emma wirklich noch einen weiteren Brief an ihren zukünftigen Traummann schreiben. Nach zwei ziemlich großen und ziemlich vollen Gläsern Wein erschien ihr das Briefeschreiben wieder reizvoller.

Emma ging am Aquarium von Brighton und dem großen Bogentor vorbei, hinter dem sich der Pier ins Meer hinaus erstreckte. Sie steuerte die Kaimauer an und lief die Treppe hinunter zum Strand.

Dort, an die Mauer geschmiegt, gab es einige Bars und Cafés. Lucky Beach war eines der letzten Cafés, und auf Grund des milden Abends hatte es vielleicht noch geöffnet. Die Chancen standen um diese Jahreszeit nicht sehr gut, aber Emma wollte es trotzdem versuchen.

Sie hoffte, Eric zu treffen. Insgeheim vermutete sie, dass Lust und Mut mehr mit dem vielen Wein zu tun hatten als mit neuem Selbstvertrauen. Emma musste sich zwingen, nicht an das hässliche Unglücksentlein zu denken, als das sie sich seit längerem empfand.

Die ersten beiden Bars hatten die Rollbalken heruntergelassen. Außer Emma schien niemand mehr hier unterwegs zu sein.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, gab Emma an sich selbst als Parole aus.

Auf der Holzterrasse des Restaurants, das als nächstes kam, waren Tische und Stühle gestapelt und mit Stahlseilen verbunden, damit sie niemand stehlen konnte. Der Kiosk, wo man im Sommer Souvenirs, Strandspielzeug und Sonnencreme kaufen konnte, lag noch im Winterschlaf. Die Fenster waren sogar vernagelt.

Mit jedem Schritt sank Emmas Stimmung. Es wäre wirklich schön gewesen, Eric diesmal zu ihr nach Hause einzuladen und einen Drink mit ihm zu nehmen. Sie kannte vom Besuch im Fitzherbert die Marke seines Lieblingsbieres und hatte vorsorglich zwei Dosen davon gekauft und in den Kühlschrank gestellt.

Emma lief schneller, um Klarheit zu bekommen. Sie spürte eine Enttäuschung nahen und wollte den traurigen Moment so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Das Lucky Beach bot denselben verlassenen Anblick wie die anderen Lokale. Kam es ihr nur so vor, oder wurde die Nacht schlagartig dunkler? Auch das Rauschen der Wellen hatte seine sanfte, beruhigende Wirkung verloren. Emma hörte nur noch die Kiesel aneinanderschlagen, die das Wasser bewegte. Es war ein Knirschen, wie von Zähnen.

Einen Versuch war es wert gewesen, versuchte Emma sich zu trösten. Als sie allein vor dem verriegelten Café stand, überkam sie wieder diese schmerzhafte Einsamkeit. Sie neigte den Kopf nach hinten und blickte zum Himmel hoch, zu den Sternen, von denen hier, mit kleinem Abstand zur Beleuchtung der Küstenstraße, mehr zu sehen waren.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie energisch mit dem Handrücken wegwischte.

»Blöde Kuh«, schimpfte sie sich selbst. Es war ein Gefühl, als würde ihr jemand den Hals abschnüren, und selbst mehrfaches Schlucken half nichts. Die Traurigkeit, die sich in ihr aufgestaut hatte, zog sie hinunter und erfüllte ihren Körper wie schwarzes Blut.

Emma musste sich setzen. Sie holte einen Stuhl unter einem Tisch hervor. Das Stahlseil zur Sicherung war lang genug, um ihm Bewegungsspielraum zu geben. Die Kälte des Metalls drang durch den Stoff ihrer Hose. Sie hätte am liebsten losgeheult, aber sie konnte einfach nicht mehr. Die Verzweiflung steckte in ihr und bereitete ihr diese unendliche Qual.

Wie sollte ihr Leben weitergehen? Wie sollte ein Mensch, der einfach nur versagt hatte, jemals wieder Freude finden?

Die Luft hatte die salzige Frische, die früher in Brighton von Kranken zur Heilung gesucht worden war.

Für jemanden wie mich gibt es keine »Heilung« mehr, hing Emma den düsteren Gedanken nach. Sie wucherten in ihrem Kopf wie ein Geschwür. Emma spürte ihre Tasche am Rücken, zog sie vor und öffnete sie. Sie kramte in der Unordnung von Schlüsseln, Pass, Geldtasche, Taschentüchern, Kaugummi und einem Lippenstift ohne Kappe. Sie holte einen alten Plastikkugelschreiber und ein paar Papierumschläge heraus, die an diesem Tag durch den Briefschlitz geworfen worden waren. Emma hatte sie vom Boden aufgehoben und beim Verlassen des Hauses eingesteckt. Sie war zu faul gewesen, zurückzugehen und die Post in der Diele abzulegen.

Das Papier der Kuverts diente ihr nun zum Schreiben.

Lieber Wer-immer-du-bist,

eigentlich kann ich dich nur warnen. Komm nicht. Bleib mir fern, denn ich bringe nur Unglück.

Mir selbst

Dir

Allem, was ich anfasse.

Weißt du, was meine Mutter gesagt hat, einen Tag nach der Katastrophe? Ich habe bei ihr gesessen und war so zerstört, dass ich nicht einmal mehr weinen konnte.

»Ich will mich umbringen«, habe ich gesagt.

Darauf meine Mutter: »Lass das bleiben, denn es geht sicher daneben.«

Sie war nur mit dem verschwundenen Geld beschäftigt. Ein Wunder, dass sie nicht so weitergeredet hat: »Wenn du dich erschießt, kann ich wahrscheinlich dein Hirn von der Wand waschen. Wahrscheinlich triffst du auch nur den Sehnerv, lebst weiter und bist blind. Wenn du dich erhängst, dann machst du sicher dabei etwas kaputt. Wahrscheinlich reißt der Haken aus der Wand und hinterlässt ein Loch. Wenn du eine Überdosis Schlaftabletten nimmst, kotzt du sicherlich alles voll, und wer muss wieder putzen? Ich!«

Als Nächstes hätte meine Mutter sicher gesagt: »Wenn du dich vor einen Zug oder die U-Bahn wirfst, verursachst du bestimmt nur einen Unfall, bei dem viele Unschuldige ins Krankenhaus müssen, aber der Zug rollt über dich hinweg und du bleibst unverletzt.«

Mich lässt das jetzt nicht los, was sie sonst noch hätte sagen können.

• Wenn ich von einer Klippe springe, ist zwei Meter tiefer ein Felsvorsprung, auf dem ich lande. Von dort muss mich dann die Feuerwehr retten.

• Wenn ich vom Dach eines Hochhauses springe, dann bestimmt auf einen Balkon.

• Wenn ich Harakiri begehen will, bricht das Messer ab, weil ich zu viel trainiert habe und meine Bauchmuskeln zu fest sind (nein, meine Mutter würde sicher sagen, das Messer bleibt in meinem Speckbauch stecken).

Ich frage mich, wann ich in den Augen meiner Eltern eine solche Versagerin geworden bin? Als ich die Schule mehr als gut abgeschlossen habe? Als ich mein Studium, das ich nur ihretwegen gewählt habe, ebenfalls mit Erfolg geschafft habe? Als ich ihnen Philip vorgestellt habe, der damals einfach alles war, was man sich von einem zukünftigen Schwiegersohn erwarten konnte: höflich, gut aussehend, charmant, offenbar professionell in seinem Beruf, wohlhabend. Die Bitterkeit und der Zynismus meiner Mutter waren wie Ohrfeigen für mich, und was sie sagte, klang so, als hätte sie es sich schon lange gedacht.

Wieso bin ich für sie die große Enttäuschung, und meine kleine Schwester Amelie, die jetzt demnächst zehn Jahre studiert und bis heute nichts von Bedeutung im Leben geschafft hat, ist in ihren Augen der Star?

Sie haben sie immer mehr gemocht als mich. Immer, immer, immer. Ich habe tun können, was ich wollte (siehe meine Leistungen weiter oben), aber es war nie genug und nie das Richtige.

Ich bin überhaupt jemand, der es einfach nicht Recht machen kann. Scheinbar niemandem. Ich bin immer zu wenig und zu wenig gut.

Philip hat einmal mit einem alten Kumpel von der Schule telefoniert und dachte, ich wäre nicht daheim. Aber ich war da und habe jedes Wort gehört. Philip: »Mir ist es wenigstens gelungen, sie von einem schlappen Hering in eine saftige Makrele zu verwandeln.«

Was er damit meinte, habe ich zuerst nicht verstanden. Natürlich war klar, dass es eine Gemeinheit war, aber damals habe ich mich noch immer an dem Gedanken festgehalten, dass alles doch wieder in Ordnung kommen kann mit ihm und das, was er da sagt, nicht böse gemeint war. Irrtum.

Philip: »Sie war von Anfang an willig, ich habe nur schnippen müssen, und sie ist ins Bett gehüpft. Oder hat sich in die nächste Toilette ziehen lassen. Wir haben es sogar einmal im Wald getrieben, wo wir Spaziergänger reden gehört haben, so nahe waren sie. Aber sie ist einfach nie richtig abgegangen. Heute ist sie wenigstens ein wenig mehr Schlampe und nicht mehr dieses saubere Mäuschen. Aber sehr viel schärfer ist sie nicht geworden. Dafür weiter willig, und das nützt auch.«

Ich habe alles gehört und Philip nie zur Rede gestellt. Ich habe mich in der Abstellkammer versteckt und dort eine Stunde gewartet, bis er fort war, damit er nicht herausfand, dass ich gelauscht hatte.

Seit damals muss ich immer an fettige Makrelen denken, wenn so etwas wie Sex in der Luft liegt. Bisher ist der Sex immer in der Luft geblieben, und er wusste wohl, warum. Um mich macht er einen Bogen.

In der langen Liste meiner Schwächen ist das Thema Sex im guten Mittelfeld.

So, jetzt habe ich es dir gesagt, denn ich habe sicher einen Komplex, wenn es doch einmal zur Sache gehen sollte.

Alles klar, Eric, wenn du dir eine Sexgöttin erwartest, dann bist du bei mir falsch. Vielleicht hast du heute auch nur das einzig Richtige getan, was ich dir schon zu Beginn dieses Briefes geraten habe: Du hast die Flucht ergriffen.

Liebesbrief an Unbekannt

Подняться наверх