Читать книгу Liebesbrief an Unbekannt - Thomas Brezina - Страница 15
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ОглавлениеPatricia hob nicht ab. Emma hatte mindestens zehn Mal die Kurzwahl auf ihrem Handy gedrückt, war aber immer sofort auf Patricias Mobilbox gekommen. Also war das Handy abgeschaltet. Patricia brauchte ihren Schlaf, weil sie sonst untertags nicht genug Konzentration für ihre Arbeit hatte. Kein Wunder, es war kurz nach Mitternacht.
Sie war die Einzige, mit der Emma jetzt sprechen wollte und konnte. Sie war vom Lucky Beach zurück zu New Steine gerannt und hatte den Brief die ganze Zeit mit beiden Händen gegen ihre Brust gepresst.
Unten am Strand hatte sie es nicht gewagt, den Brief zu öffnen.
Wer hatte ihn geschickt?
Eric? War es Eric gewesen? Aber wieso wusste er von ihrer Schreiberei an den Traummann der Zukunft? Sie hatte keine Silbe darüber gesprochen. Er konnte es nicht wissen.
Noch ein Versuch, Patricia ans Handy zu bekommen, und wieder hörte Emma nur die Ansage der Mobilbox, die sehr knapp gehalten war.
»Patricia hier, offen für schöne Neuigkeiten, allergisch gegen alles andere.«
Es war Patricias privates Handy. Für ihre Kunden hatte sie eine eigene Nummer. Als Emma das einfiel, lief sie an den Computer im Arbeitszimmer und googelte Patricia, die Wahrsagerin von Brighton. Sie tippte die Geschäftsnummer ein und hörte gleich darauf die Ansage: Der Teilnehmer spricht gerade. Haben sie einen Augenblick Geduld.
Also »arbeitete« Patricia noch. Sie war wach, und Emma musste mit ihr reden. Weil sie das berufliche Telefonat nicht stören wollte, legte sie auf und schickte eine SMS an diese Nummer.
Emma
Dringend! Brief
von Unbekannt
bekommen!
Emma lief im Wohnzimmer unruhig auf und ab. Der Raum war, wie alle anderen im Haus, mit alten Möbeln bestückt, die einen traurigen und lieblosen Eindruck machten. Zwei kleine Chesterfield-Sofas aus fleckigem Stoff, ein Lehnstuhl, ein Buchregal, ein offener Kamin mit Gasfeuer und Marmoreinfassung, auf der drei staubige Glasvasen mit trockenen Ästen standen.
Auf das Kaminsims hatte Emma den Umschlag gestellt. Wie ein Tiger wanderte sie davor hin und her, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Wieso meldete sich Patricia nicht? Kannte sie die Bedeutung von »dringend« nicht?
Emma nahm den Brief zum gefühlt hundertsten Mal mit spitzen Fingern und drehte ihn.
Für Alptraumfrau Emma
Absender:
Wer-immer-ich-bin
Je länger sie nicht zurückrief, desto mehr war Emma überzeugt, dass Patricia hinter der Sache steckte. Sie hatte den Brief geschickt, damit Emma Hoffnung schöpfte. Das war wirklich sehr besorgt und lieb von ihr, andererseits auch enttäuschend. Es bedeutete, sie glaubte selbst nicht an ihre eigenen Empfehlungen.
Beim nächsten Gedanken musste sich Emma setzen: Patricia konnte nicht die Briefschreiberin sein, da Emma ihr erst am vergangenen Abend erzählt hatte, dass sie mit dem Briefeschreiben an Unbekannt begonnen hatte. Der Brief an sie war aber am Nachmittag eingeworfen worden.
Lange hielt Emma die Spannung nicht mehr aus. Sie wollte den Brief aufreißen und lesen, was drinnen stand. Wieso brauchte sie dazu Patricias Einwilligung? Das konnte sie doch auch einfach so machen. Sie streckte die Hand aus, als ihr Handy zu vibrieren begann.
PATRICIA stand auf der Anzeige.
Emma hob ab und rief ins Handy: »Ich habe einen Brief von ihm bekommen!«
»Darling, ich habe jetzt gerade zwei Stunden einen Börsianer beruhigt, der fürchtet, dass morgen der große Crash kommt und er alles verliert. Ich will ins Bett.«
»Patricia, ich habe einen Brief in der Post gehabt. An mich, von meinem Mann der Zukunft.«
Kurze Pause am anderen Ende. »Das ist kein Scherz?«
»Nein.«
»Was steht drinnen?«
»Ich traue mich nicht, ihn aufzumachen.«
»Sitzt du davor und starrst ihn an?«
»Ja.«
»Was steht auf dem Umschlag?«
Emma las Patricia Adresse und Absender vor.
»Wieso Absender: Wer immer du bist?«
»Das habe ich in meinen Briefen so geschrieben: Lieber Wer-immer-du-bist.«
Eine Pause trat ein, diesmal länger. Emma konnte durch das Telefon fühlen, wie Patricia nachdachte.
»Wem hast du von den Briefen erzählt?«
»Niemandem. Keiner Menschenseele.«
»Sicher. Ich meine, du trinkst doch gerne mal was.«
»Nein, ich war nicht betrunken und habe nicht im Rausch alles ausgeplaudert.«
»Irgendein Liebesgeflüster oder so, bei dem du dich vielleicht verplappert hast?«
»Liebesgeflüster? Was soll das denn heißen? Ich habe dir doch heute erzählt, dass es da nur Eric gibt und mit dem ist alles weit von Liebesgeflüster entfernt. Wir hatten nur ein Bier. Nein, zwei. Oder drei.«
»Eben. Kann es dabei geschehen sein? Kann das ein getarnter Liebesbrief von ihm sein?«
»Nein, nein, nein und noch einmal nein!« Emma schrie fast ins Telefon.
»Mach ihn auf und lies mir vor, was drinnen steht.«
»Das kann ich nicht.«
»Wieso schon wieder nicht?«
»Weil ich enttäuscht sein könnte.«
»Emma, du kannst vielleicht auch zu jubeln beginnen.«
Daran glaubte Emma aber einfach nicht. Besser in Ungewissheit bleiben. »Ich lasse den Brief einfach hier am Kamin stehen.«
Patricia sagte nichts drauf.
»Ich schlafe und sehe ihn mir morgen an.«
»Wenn du das aushältst.«
Emma fand die Vorstellung aufregend. Die Spannung und Neugier waren ein wenig wie Weihnachten, wenn sie die verpackten Geschenke am Bettende fand und an der Form nicht erraten konnte, was sie enthielten. Etwas aber musste sie Patricia unbedingt fragen.
»Ist das schon einmal geschehen? Hat jemand einen Brief von Unbekannt bekommen?«
»Nein. Das habe ich noch nie gehört.«
»Hast du sonst irgendeine Erklärung?«
»Nein.«
»Sicher nicht?« Vielleicht »sah« Patricia etwas, das sie Emma nicht verraten wollte, ging Emma durch den Kopf.
»Wir treffen uns im Marmalade. Zum Frühstück«, schlug Patricia vor. Das Marmalade war ein trendiges Café am Ende von Kemptown, das die besten Sandwiches, Croissants und den größten Cappuccino servierte. Weil Emma nicht sofort reagierte, sagte Patricia schnell: »Meine Einladung natürlich. Wenn ich dir schon das Briefschreiben an Unbekannt empfehle, dann übernehme ich die volle Haftung.«
Emma war dankbar, dass Patricia in diesem Fall ihre Gedanken gelesen hatte. Sie war so knapp bei Kasse, dass selbst ein Besuch im Marmalade derzeit für sie Luxus war.
Sie verabschiedete sich von Patricia und legte auf. Noch einmal griff sie nach dem Brief. Sie roch am Papier und war ein wenig enttäuscht. Das Einzige, was sie riechen konnte, war Zigarettenrauch. Wer ihn angefasst hatte, war also Raucher.
Sie hasste Rauch und konnte sich niemals vorstellen, einen Raucher zu küssen. Die erste Enttäuschung war schon eingetreten, und bei ihrem Pech würden weitere bestimmt folgen.