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TEIL 1 | SELBSTVERANTWORTUNG

V or mir sitzt Gabi, eine engagierte Leiterin unserer Gemeinde. Gabi ist frustriert, weil sie mit Silvan, einem ihrer Mitleiter, einfach nicht zurechtkommt. Er hinterfragt da und dort ihre Entscheidungen und Argumente, aber nicht anders, als er es auch mir und anderen gegenüber tut. Er tut es nicht mit böser Absicht, aber zeitweise mit einer gewissen Hartnäckigkeit. Er bringt regelmäßig neue, andere Vorschläge ein. Das stresst Gabi. Sie hat das Gefühl, dass Silvan sie sabotiert. Dass er etwas gegen sie hat und sie nicht akzeptiert. Im Laufe der letzten Wochen ist Gabi zur Überzeugung gelangt, dass Silvan am falschen Platz ist und versetzt werden sollte. Sie spricht über schwerwiegende charakterliche Mängel, die sie bei ihm vermutet. Davon, dass er wohl auch im Glauben einige Probleme habe. Einmal mehr bittet sie mich, als verantwortlicher Pastor einzugreifen und etwas zu unternehmen.

Ich kenne Gabi seit einigen Jahren. Ich weiß, dass sie immer dann in dieses Verhaltensmuster fällt, wenn sie sich von ihrem Gegenüber nicht vorbehaltlos unterstützt fühlt. Sie hat ganz bestimmte Vorstellungen, wie diese Unterstützung aussehen sollte. Kritische Rückfragen gehören nicht dazu. Auch keine Verbesserungsvorschläge. Die verunsichern sie nämlich zutiefst. Sie fühlt sich dann abgelehnt und angegriffen. Zuerst geht sie in den Verteidigungsmodus und dann zum Gegenangriff über. Dieser sieht meist so aus, dass sie mit allen Mitteln versucht, die Person, die ihr das Leben so schwer macht, loszuwerden.

Ich führe mit Gabi viele Gespräche. Von Mal zu Mal ist sie aufgewühlter. Stundenlang höre ich ihr zu, versuche zu verstehen und ihren Blick in neue Richtungen zu lenken. Versuche, ihr zu helfen, aus der Opferhaltung herauszukommen. Versuche, ihr zu helfen, ihre Feindbilder gegenüber Menschen abzulegen, die gar nichts gegen sie haben, sondern nur offen ihre Meinung sagen. Es gelingt mir nicht. Für Gabi gibt es nur ein Entweder-Oder: „Entweder geht Silvan, oder ich gehe.“

Nach einigen Monaten geht Gabi und sucht sich eine neue Gemeinde. Ich bin erleichtert und traurig zugleich. Erleichtert, weil es so nicht weitergehen konnte. Traurig deshalb, weil Gabi viele wertvolle Fähigkeiten hat und in einer Gemeinde ein großer Segen sein könnte – wenn nur diese inneren Feindbilder nicht wären …

Die Hintergründe von Gabis Empfinden und Verhalten sind vielschichtig. Was mir in meinen Gesprächen mit ihr immer wieder auffällt, ist ihre Weigerung, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Geht es um reine Leitungsaufgaben, klappt es vorzüglich. Sie leitete aufwendige Programme und mehrere Teams. Sobald es aber um ihre Person geht, weist sie jede Verantwortung von sich. Wenn es einen Konflikt, eine Kritik, eine Meinungsverschiedenheit gibt, dann ist meist die andere Person das Problem, nicht sie selbst. Wenn sie sich angegriffen fühlt, dann ist ihr Gegenüber schuld daran, dass es ihr schlecht geht. Dass sie selbst so fühlt, so interpretiert, eine so starke innere Infragestellung aufbaut, das kann oder will sie sich nicht eingestehen.

Ich kann Gabi ein Stück weit verstehen. Wir alle tragen diese Tendenz zu einem gewissen Maß in uns. Auch ich. Wenn es mir nicht gut geht, dann richte ich bei der Suche nach den Ursachen meinen Blick lieber nach außen, auf die Umstände und andere Menschen, statt mich selbst zu hinterfragen. Wenn etwas schiefläuft, schiebe ich die Verantwortung lieber auf andere, als sie (oder einen Teil davon) auf mich zu nehmen. Es ist eine ur-menschliche Tendenz: Wir scheuen selbstverantwortliches Leben – vor allem in schwierigen Zeiten und in herausfordernden Beziehungen.

Selbstverantwortung ist die erste Aufgabe in unserer Selbstführung. Ich habe sie im letzten Kapitel so definiert: Ich bejahe die Verantwortung für mein Ergehen und Verhalten in allen wesentlichen Bereichen meines Lebens.

Nicht wahrgenommene Selbstverantwortung ist die wichtigste Ursache für fehlende Selbstführung. Wer die primäre Zuständigkeit und Verantwortung für sein eigenes Fühlen, Ergehen und Verhalten von sich weist, sucht die Gründe für seinen Schmerz, seinen Stress, seine Probleme immer in den Umständen und bei anderen Menschen. Und weigert sich in der Folge, sich um jene Person zu kümmern, auf welche er den größten Einfluss hat: sich selbst.

Ich kenne keine bessere Anleitung zu einem selbstverantwortlichen Leben als die Bibel. Sie lehrt uns in faszinierender Weise, uns vorbehaltlos Gott anzuvertrauen und zugleich Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Beides ist uns deshalb möglich, weil Gott uns überreich beschenkt und uns mit der Fähigkeit zu selbstverantwortlichem Handeln ausgestattet hat. In den folgenden Zeilen lade ich Sie ein, mit mir zusammen zu entdecken, wie deutlich dieses Anliegen, zusammen mit der Selbstführung insgesamt, in der Bibel verankert ist. Gottes Wort führt uns aber auch vor Augen, wie schnell und leicht wir vor dieser Verantwortung fliehen. Ich versuche zu zeigen, weshalb das so ist. Anschließend möchte ich darstellen, welche Auswirkungen die Christusnachfolge auf unsere Selbstführung hat. Das Neue Testament gibt uns wertvolle Anhaltspunkte, wie wir uns in Übereinstimmung mit Gottes Anliegen und Zielen selbst gut führen können.

Von der Kunst, sich selbst zu führen

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